Auf Nachfrage zu den Durchsuchungen ließ Wild seinen neuen Sprecher Kocks den Sachverhalt nun im Grundsatz erneut bestätigen, jegliche Betrugsabsicht aber zurückweisen.
„Herr Wild ist einem Verbotsirrtum unterlegen“, sagte Kocks der WirtschaftsWoche. „Die Kunstsammlung ist unstreitig weitaus mehr wert als der Betrag, mit dem sie vorher schon beliehen war. Deshalb dachte Herr Wild, er könne sie erneut beleihen, so lange der Gesamtwert nicht überschritten wird.“ Das sei rechtlich wohl nicht einwandfrei gewesen, dennoch habe es „weder eine betrügerische Absicht noch einen Geschädigten gegeben.“
Der Sprecher der Insolvenzverwalter, Pietro Nuvoloni von der Kölner PR-Agentur dictum law, bestritt auf Anfrage der WirtschaftsWoche, dass es auch in der Kanzlei von Lieser eine Durchsuchung gegeben habe. Lieser „hat der Staatsanwaltschaft lediglich auf Anfordernis vordefinierte Unterlagen übergeben“, teilte Nuvoloni mit. Und weiter: „Nach unserer Kenntnis läuft weder gegen den Sanierungsgeschäftsführer, Prof. Dr. Dr. Thomas B. Schmidt, noch gegen den Sachwalter Jens Lieser ein Ermittlungsverfahren.“ Staatsanwalt Kruse sagte auf Nachfrage, dass auch bei der Kanzlei Lieser eine Durchsuchung stattgefunden habe, allerdings habe es sich dabei um eine Durchsuchung bei Dritten gehandelt, Lieser sei nicht selbst Beschuldigter.
Verkaufsprozess wird schlagartig heiß
Unmittelbar Betroffener der Durchsuchungen ist Lieser also nicht, Leidtragender könnte er aber dennoch werden. Denn der Paukenschlag an diesem kalten Januarfreitag sorgt dafür, dass der Kampf um die Zulässigkeit des Verkaufsprozesses schlagartig wieder heiß wird. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Koblenz wegen Kreditbetrugs gegen Capricorn-Chef Wild befeuern die Beschwerden der unterlegenen Bieter, nach deren Auffassung bei dem von Lieser/Schmidt und KPMG organisierten Verkaufsprozess nicht alles mit rechten Dingen zugegangen war.
Oberstaatsanwalt Kruse betont zwar: „Das hier geführte Verfahren betrifft ausschließlich den Verdacht des Kreditbetruges im Zusammenhang mit der möglichen Doppelübereignung der Kunstsammlung, nicht jedoch den Verkaufsprozess „Nürburgring“ als Ganzes. Diesbezüglich ist hier kein Ermittlungsverfahren anhängig.“ Doch das deutsche Strafrecht ist nicht der Maßstab, auf den es europarechtlich ankommt. Was im deutschen Strafrecht erlaubt ist oder auch nicht, hat nichts damit zu tun, was das Europarecht zulässt und was nicht. Indirekt betrifft das neue Ermittlungsverfahren den Verkaufsprozess somit sehr wohl: Gerade die Stundungsvereinbarung hat europarechtlich Sprengpotenzial.
Weil die EU-Kommission bereits 2012 ein Beihilfeverfahren wegen Investitionen des Landes Rheinland-Pfalz eingeleitet hatte – das Land als früherer Hauptgesellschafter der Nürburgring GmbH versenkte in der Ära von Ex-Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) rund eine halbe Milliarde Euro an der Rennstrecke – musste der Verkauf europarechtskonform erfolgen. Dass dies tatsächlich auch so war, bezweifeln jedoch die unterlegenen Bieter. Bei der EU-Kommission waren aus diesem Grund eine Reihe von Beschwerden gegen den Zuschlag eingegangen, vom US-Finanzinvestor HIG Capital, vom ADAC, vom gemeinnützigen Verein „Ja zum Nürburgring e.V.“ um ADAC-Ehrenpräsident Otto Flimm und vom US-Technologieunternehmen Nexovation.
Kritik an Kommissionsbeschluss von Anfang an
Bislang war die Kommission nicht geneigt, den Beschwerden zu folgen. Sie schloss sich in ihrer Entscheidung am 1. Oktober 2014 der Argumentation der Nürburgring-Insolvenzverwalter Lieser und Schmidt an, wonach der Verkaufsprozess im Einklang mit dem Europarecht abgelaufen sei. Der CDU-Europaabgeordnete Werner Langen, der aus dem Norden von Rheinland-Pfalz kommt und den Nürburgring in seinem Wahlkreis hat, vermutete von Anfang an eine mehr politisch gesteuerte denn juristisch begründete Haltung der Kommission.
„Die Kommission hat sich auf das Lügengebäude der Konkursverwalter verlassen“, sagte Langen der WirtschaftsWoche und warf dem spanischen Sozialisten Joaquin Almunia als damaligem Wettbewerbskommissar zudem per Pressemitteilung vor, den Sozialdemokraten in Rheinland-Pfalz mit der Zustimmung zum Verkauf ein parteipolitisch motiviertes Geschenk gemacht zu haben.
Verkaufsprozess mit vielen Fragezeichen
Nachdem die WirtschaftsWoche wenig später im November 2014 zahlreiche pikante Details des Weiterverkaufs an die Investorengruppe um Charitonin enthüllt hatte, legten die unterlegenen Bieter weitere Beschwerden bei der Kommission ein. Sie kritisieren erstens, dass Capricorn von Anfang an keine gesicherte Finanzierung für den Nürburgring-Kauf vorzuweisen hatte, das zentrale Zuschlagskriterium „Transaktionssicherheit“ somit zu keinem Zeitpunkt gegeben war, zweitens dass die Insolvenzverwalter sowie KPMG in den Weiterverkauf an Charitonin intensiv involviert gewesen seien und damit ein unzulässiger Zweitverkauf vorgelegen habe, und drittens dass die Kommission über beide Sachverhalte nicht korrekt informiert worden sei.
Wiederum hat die Kommission allerdings bisher offensichtlich keine Lust, sich der Sache anzunehmen. Der WirtschaftsWoche liegt ein Schreiben der neuen Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager aus Dänemark vor, das sie an Langen geschickt hat. Zudem hat der Chef des Nürburgring-Fallbearbeiterteams in der Wettbewerbsdirektion, der Niederländer Ewoud Sakkers, unterlegene Bieter angeschrieben. Tenor der Schreiben: Die Kommission sieht keinen Anlass, ihre Entscheidung vom 1. Oktober zu widerrufen und den Fall neu aufzurollen. Auf die Sachargumente der Beschwerdeführer gehen beide Schreiben dabei nicht ein, sondern versuchen sich mit schwerlich nachvollziehbaren verfahrensrechtlichen Argumenten vor der Verantwortung zu drücken: Die Kommission sei für die Prüfung nicht zuständig.