Rohe Faszination Das Geschäft mit dem Mittelalter

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Internationale Unterhaltungskonzerne profitieren von den Ritterfesten

Das Gelände der Schlossbrauerei bietet mit Schlösschen, Fachwerkhäusern, Scheunen und einem Waldstück den perfekten Rahmen für das mittelalterliche Treiben. Einmal am von zwei Wachtürmen gesäumten Tor vorbei, verlassen Besucher das 21. Jahrhundert. Die Laserpistole, mit der die Security den Strichcode der Eintrittskarten erfasst, ist das letzte Aufblitzen der digitalen Welt. Dann wird es Mittelalter.

Der scharf-würzige Geruch der Lagerfeuer steigt in die Nase, mischt sich mit allem, was sich darauf braten und backen lässt: geräuchertem Fisch, Spanferkel, Würsten und Brot. Edelleute, Dienstmägde, Ritter und Burgfräulein – einige mit Kinderwagen, die hier so fremd wirken wie ein Kamel im Supermarkt – schieben sich vorbei an Fachwerkhütten. Töpfer, Buchbinder, Kräuterhexen und Knödeldreher bieten ihre Ware feil. Drei Taler für einen Krug Met, vier für einen Pfannkuchen, zubereitet nach dem Originalrezept der Hildegard von Bingen. „Wohl bekomm’s, holdes Fräulein“, wünscht die Köchin im bodenlangen, weinroten Rock und weißer Haube.

Auf einer kleinen Lichtung scharen sich Kinder um einen Märchenerzähler mit grüner Samtmütze und passendem Wams – ein Uhu und eine Schleiereule, die gelangweilt auf ihren Pfählen sitzen, beäugen ihn. Auf der Waldbühne startet derweil das Gauklerprogramm.

Eine eigens erbaute Arena fasst knapp 10.000 Zuschauer. Der Kampf beginnt. Schwerter klirren, Lanzen bersten, Pferde jagen im wilden Galopp über den Sand. Schön brutal – und alles live. Das Volk kreischt „Jubeeeel!“, Rauch und Donner erfüllen die Luft. Spätestens, wenn die Special Effects zünden, ist man wieder im Hier und Heute – das Ritterturnier ist eine mächtige Show und in etwa so authentisch mittelalterlich wie ein Smartphone.

Doch die Leute mögen das Spektakel, sagt Prinz Luitpold – auch wenn es dabei nicht streng historisch korrekt zugeht. Rund 1200 Mitwirkende und Mitarbeiter – vom Stuntman bis zum Markthändler – muss der Mittelalterpionier finanzieren. Neben Personalausgaben schlagen vor allem die Sicherheitsauflagen, etwa zu Flucht- und Evakuierungswegen, zu Buche. Etwa drei Millionen Euro kostet die Großveranstaltung im Jahr; die Eintrittspreise reichen von 23 Euro für eine Geländekarte bis 67 Euro für einen Logenplatz. Prinz Luitpold: „In einigen Jahren haben wir auch schon draufgezahlt, besonders bei schlechtem Wetter.“

Neben Kaltenberg zählen die nordrhein-westfälische Burg Satzvey und die hessische Ronneburg zu den Marktführern bei Ritterturnieren. Deren Zahl und die der Mittelaltermärkte ist kaum noch überschaubar, das drückt auf die Marge jedes einzelnen. Die Grenzen des Marktes musste auch Prinz Luitpold erkennen: Eine vor Jahren geplante Tournee seiner Ritterspiele hat er gestrichen – zu einer Show in der Stuttgarter Schleyer-Halle 2007 mit 250 Mitwirkenden kamen zu wenige Besucher. Unter dem Hallendach kam bei dem Ritter-Sport keine rechte Stimmung auf.

Steigende Kosten, die wachsende Konkurrenz und das schlechte Wetter machen vor allem kleineren Veranstaltern zu schaffen. „Große Anbieter sowie die Märkte von Agenturen mit Dutzenden Veranstaltungen im Jahr wie Coex aus Cottbus, MPS aus Drensteinfurt bei Münster oder Sündenfrei aus Erfurt erwirtschaften in der Regel noch Gewinne“, sagt „Karfunkel“-Chefredakteurin Beckers-Dohlen. „Kleinere Anbieter kommen gerade auf ihre Unkosten und verschwinden meist nach wenigen Jahren wieder.“

Die mittelalterlichen Handwerker, die auf den Märkten ihr Publikum mit Schmiedearbeiten oder als Seifensieder begeistern, leben oft am Existenzminimum: „Das sind häufig arbeitslose Handwerker oder Frührentner“, sagt Beckers-Dohlen, „in der Regel haben sie kein zweites Standbein.“

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