Schienennetz EU-Parlament zementiert Monopolstellung der Staatsbahnen

Eine Bahnreform sollte den Wettbewerb stärken, doch die Hoffnung kleiner Eisenbahnunternehmen blieb ungehört. Das EU-Parlament votierte heute gegen eine Trennung der Schienennetze. Die Kunden werden dafür teuer zahlen.

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EU-Verkehrskommissar Siim Kallas wollte das Schienennetz vom Deutsche-Bahn-Konzern abkoppeln - doch das Europäische Parlament stimmte gegen den Vorschlag. Quelle: dpa

Die groß angelegte Demonstration hat sich dann am Ende ausgezahlt. Rund 4000 Eisenbahner aus ganz Europa demonstrierten gestern vor dem Europäischen Parlament in Straßburg, um das wichtigste Reformvorhaben der EU-Kommission für den Eisenbahnverkehr in Europa zu verhindern. Brüssel wollte die Staatskonzerne umstrukturieren, das Schienennetz mit samt seinen Bahnhöfen sollte unabhängiger werden. Mitarbeiter und Gewerkschafter befürchteten dadurch „erhebliche Nachteile". Mit 24 Bussen reisten die Beschäftigten aus Deutschland nach Frankreich.

Nun hat sich das Parlament in Straßburg mit einer Mehrheit auf die Seite der Gewerkschaften und der Deutschen Bahn gestellt. Die Abgeordneten lehnten die Forderung von EU-Verkehrskommissar Siim Kallas ab, der sich dafür stark gemacht hatte, "chinesische Mauern" zwischen Netz und Bahn-Betrieb zu errichten. Dagegen argumentierten EU-Abgeordnete der CDU, dass das Beispiel Großbritanniens die Nachteile solch einer Aufspaltung gezeigt habe.

Die Entscheidung ist ein Rückschritt auf dem Weg zu mehr Wettbewerb auf der Schiene in Europa. Unternehmen wie Hamburg-Köln-Express (HKX) oder Veolia kritisieren seit langem die intransparenten Strukturen der Netzbetreiber. Die Preise etwa in Deutschland für die Trassen- und Stationsnutzung sind für sie kaum nachvollziehbar, die Vertriebsprovisionen wirken diskriminierend und üppige Rabatte für den Bahnstrom galten lange Zeit nur für die großen Monopolisten. Selbst die Bundesnetzagentur, Wächter des Wettbewerbs auf der Schiene in Deutschland, kann angesichts fehlender Kontrollmöglichkeiten nur bedingt eingreifen. Eine stärkere Unabhängigkeit des Netzes wäre hilfreich gewesen.

Schienengüterverkehr - Planzahlen und Kennziffern

Doch die Staatsbahnen wussten dies zu verhindern, obwohl de facto von einer Zerschlagung der integrierten Konzerne – wie ursprünglich geplant - schon gar nicht mehr die Rede war. Der Verkehrsausschuss des Europäischen Parlaments hatte das Konzept der EU-Kommission schon im Januar abgemildert. Am Ende blieben folgende Forderungen: Gewinne aus dem Schienennetz sollten wieder in das Netz zurückfließen, die Netz AG sollte auch personell unabhängiger werden und Direktvergaben wären nur noch in ganz engen Grenzen möglich gewesen. Diese Vorschläge hätten vor allem die Wettbewerber unterstützt.

Doch mit ihrem „Nein“ blockierten die EU-Parlamentarier die Liberalisierung der Eisenbahnmärkte. Gewinner sind die Eisenbahner-Gewerkschaften und die Staatsbahnen wie Deutsche Bahn, SNCF aus Frankreich oder Trenitalia in Italien. Verlierer sind die kleinen Konkurrenten – und vor allem die Kunden.

Denn die Folge der Ablehnung ist, dass sich in Europa immer weniger Unternehmen dafür interessieren werden, in den Eisenbahnmarkt einzusteigen. Der Wettbewerb im Nahverkehr funktioniert in Deutschland zwar ganz gut, auch im Güterverkehr buhlen zahlreiche Unternehmen um Kundschaft. Doch im Fernverkehr wird die Monopolstellung der Staatsbahnen zementiert. Deutsche Bahn und SNCF verfügen über einen Marktanteil von 99 Prozent.

Sinkende Preise sind nicht zu erwarten

Diese Ziele hat die Deutsche Bahn verfehlt
Ziel nicht erreicht: Pünktlichkeit95 Prozent aller Personenzüge waren laut Bahn-Statistik in diesem Jahr maximal sechs Minuten verspätet. Das ist besser als im Vorjahr, dank des Regionalverkehrs. Doch die Fernzüge waren wie 2011 nur zu 80 Prozent pünktlich, mit der Tendenz zu mehr Verspätung. Von Juli bis Oktober sank die Pünktlichkeit teilweise unter 75 Prozent, Zugausfälle nicht eingerechnet. Als Begründung nennt die Bahn unter anderem „Baugeschehen“. Quelle: dpa
Ziel nicht erreicht: AchsenSeit Sommer 2008 muss die Deutsche Bahn ihre Radsatzwellen etwa zehn Mal häufiger auf Risse kontrollieren als bislang. Für einen ICE 3 bedeutet das einen mehrstündigen Werkstattaufenthalt nach 30.000 statt 300.000 Kilometern. Dadurch sind ständig fünf Prozent der ICE-Flotte weniger unterwegs. Der Einbau neuer Achsen beginnt frühestens 2013. Entspannung ist allenfalls für 2014 zu erwarten. Quelle: dapd
Ziel nicht erreicht: FlotteWeil Hersteller nicht wie bestellt liefern, fehlen der Deutschen Bahn weitere Züge. Siemens wollte bis Ende 2011 neue ICE-Züge bauen, die nach Frankreich und Belgien fahren können – Fehlanzeige. Zum Fahrplanwechsel am 9. Dezember wollte Siemens acht der bestellten 16 Züge liefern und einen ICE später gratis – die Flitzer erhielten wegen Softwarefehlern keine Zulassung, ein Termin ist offen. Anders ist die Situation bei den ICEVorgängern, den Intercity-Zügen. Einige haben 40 Jahre auf dem Buckel – und wirken entsprechend schäbig. Zwar modernisiert die Deutsche Bahn nun 800 Wagen. Doch weil es keine Ersatzzüge gibt, muss sie ständig rund 150 Wagen aus dem laufenden Betrieb nehmen, die dann dort fehlen. Das verschärft den Mangel an Fahrzeugen weiter. Die aufgemöbelten Waggons ähneln den ICE – Velours in der zweiten, Leder in der ersten Klasse. Bis 2014 soll die 200-Millionen- Euro-Modernisierung laufen. Erste renovierte Züge fahren allerdings zwischen Köln und Hamburg, wo die Bahn neuerdings gegen private Konkurrenz antritt – ein Schelm, der Böses dabei denkt. Quelle: obs
Ziel nicht erreicht: Fernziel London2012 wollte die Deutsche Bahn die britische Hauptstadt anfahren. Daraus wird auf absehbare Zeit nichts, denn der Bahn fehlen geeignete Züge. Selbst die 17 neuen ICE-Züge von Siemens, deren Einsatz sich nun weiter verzögert, fahren maximal bis zum Tunnel unter dem Ärmelkanal. Eine Zulassung für England ist nicht absehbar. Quelle: REUTERS
Ziel teilweise erreicht: Komfort2010 kamen Reisende wegen Überhitzung ins Krankenhaus. Seitdem modernisiert die Bahn die Klimaanlagen ihrer 44 ICE der zweiten Generation. 32 sind fertig und trotzten den Temperaturen an dem heißen Wochenende im September. Im Juli 2013 sollen alle 44 ICE 2 so weit sein. Die Intercity- Züge dagegen bleiben anfällig. Ihre Klimaanlagen laufen weiterhin immer wieder heiß, bei 40 Grad an einem Sonntag im August fielen rund fünf Prozent aus. Besserung ist nur langsam in Sicht. Neue Verdichter, Verflüssigungsaggregate und gereinigte Klimakanäle sollen bis Ende 2014 Abhilfe schaffen. Auch die Bordrestaurants haben Probleme: Im Sommer fielen reihenweise Kühlschränke aus, weil der Temperaturfühler streikte. Die Ursachen sind nur teilweise behoben. Unzuverlässig arbeiten auch die Geräte, die das Essen erhitzen. Sie laufen ab und zu über und setzen ganze Restaurants unter Wasser. Ebenso geben Spülmaschinen in aller Regelmäßigkeit den Geist auf. Die Folge: Benutztes Geschirr wird an Bahnhöfen gegen sauberes ausgetauscht. Die Bahn hat inzwischen den Hersteller gewechselt. Immerhin werden mittlerweile auch Vegetarier satt. Flexibler und kundenfreundlicher sollen die neuen ICx-Züge werden, die ab 2016 einen Teil der Fernverkehrsflotte ablösen. Experten der Nahverkehrsberatung Südwest haben aber gleichzeitig auch weniger Platz für die Reisenden errechnet. Rund 2,5 Sitze pro Quadratmeter quetscht die Bahn in den neuen ICx. Bei den aktuellen ICE-Zügen sind es weniger als zwei. Der neue ICE bekommt beim Komfort von den Consultern daher nur die Note ausreichend. Gut schnitten die ersten ICE-Generationen ab. Quelle: dapd
Ziel nicht erreicht: Internet im ZugErst ein Drittel der Hochgeschwindigkeitsstrecken und ein Drittel der ICE-Flotte sind so ausgerüstet, dass Internet-Empfang über einen Hot-Spot möglich ist. Auch der bloße Mobilfunkempfang ist oft mangelhaft. Erst 2014 sollen alle ICE-Züge mit WLAN ausgerüstet sein. Nahverkehrszüge und die modernisierten Intercitys bleiben empfangsfrei. Der Thalys, ein Gemeinschaftszug der belgischen, niederländischen und französischen Bahn, bietet zwischen Köln und Brüssel WLAN an – die Deutsche Bahn nicht. Quelle: REUTERS
Ziel erreicht: SympathieBahn-Chef Grube sorgte bei den Beschäftigten für bessere Stimmung. Unter den beliebtesten Arbeitgebern Deutschlands stieg die Bahn bei Wirtschaftswissenschaftler von Rang 57 auf Rang 37 und bei Ingenieuren von Rang 21 auf Rang 19. Bis 2020 soll die Bahn nach Grubes Willen zu den Top Ten gehören. Kunden loben, wie die Bahn über Facebook und Twitter mit den Fahrgästen kommuniziert. Quelle: dapd

Sinkende Preise sind daher auf absehbare Zeit nicht zu erwarten. Vor allem Wettbewerb schafft Preisdruck und diszipliniert die Marktführer. Als HKX auf der Strecke Hamburg-Köln 2012 mit drei täglichen Verbindungen gestartet ist, dauerte es nicht lange, als die Deutsche Bahn ihre dreckigen Intercity-Züge gegen modernisierte Wagen austauschte. In Italien, Österreich und der Tschechischen Republik haben junge Wettbewerber dafür gesorgt, dass die behäbigen Staatsbahnen Preise senkten und in die Züge investierten.

Wer argumentiert, dass diese Beispiele zeigen, dass Wettbewerb auf der Schiene bereits heute funktioniere, dem sei gesagt, dass dies allenfalls dort möglich ist, wo die Qualität der Staatsbahnen unterirdisch war. In Deutschland und Frankreich etwa ist die Qualität der Züge immerhin so gut, dass sich kaum ein Unternehmen traut, mit Milliardeninvestitionen in den Wettbewerb einzusteigen. Hinzu kommen die Wettbewerbsschranken. HKX tut sich neben hausgemachten Fehlern auch deshalb schwer im Markt, weil die Vorteile eindeutig bei der Deutschen Bahn liegen.

Die Deutsche Bahn indes freut sich über die Straßburger Entscheidung. Der Konzern begrüße das Votum der Mitglieder des Europäischen Parlaments zur Organisation von Bahnunternehmen, heißt es in einer Presseerklärung, und schiebt nach: „Gleichzeitig tragen die Beschlüsse dazu bei, die Unabhängigkeit von Schieneninfrastrukturbetreibern zu stärken, die Transparenz von Finanzflüssen in Bahnunternehmen zu verbessern und insgesamt die Regulierung zu stärken.“ Mehr Scheinheiligkeit geht nicht. Die Deutsche Bahn hat ja nicht nur in Brüssel und Straßburg gegen Trennungsvorschläge opponiert. Auch in Deutschland lobbyierte der Konzern im vergangenen Jahr erfolgreich gegen eine Novelle des Eisenbahnregulierungsgesetzes, das eine stärkere Kontrolle des Konzerns zur Folge gehabt hätte. Wie nun das Straßburger Votum Transparenz erhöhen und die Regulierung stärken soll, ist nicht erkennbar.

Es bleibt damit alles so, wie es ist. Leider. Einziger Lichtblick ist der vereinfachte Zulassungsprozess von Zügen, die über Ländergrenzen hinweg unterwegs sind. Künftig soll die Genehmigung der Europäischen Eisenbahnagentur (ERA) ausreichen. Doch das ändert nichts an der Tatsache, dass Europa auf absehbare Zeit im Fernverkehr eine weitestgehend wettbewerbsfreie Zone bleibt. Eine Situation wie im Luftverkehr mit Dutzenden Alternativen für Verbraucher auf einzelnen Strecken wird es nicht geben. Die EU-Parlamentarier in Straßburg, die sich schon so oft auf die Seite der Konsumenten geschlagen haben, haben dieses Mal eine historische Chance vertan.

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