Etwa einmal im Monat fährt Schornsteinfegermeister Wolfgang Frei von seinem Sieben-Mitarbeiter-Betrieb in der Kleinstadt Buchen nach Landau. Dort kontrolliert er die Heizung der öffentlichen Gebäude und kehrt deren Kamine. Der 47-Jährige genießt die Arbeit in der pfälzischen Kleinstadt eine Autostunde entfernt. „Ich mag die Experimentierungsfreude hier“, sagt Frei.
Der Endvierziger gehört zu einer seltenen Spezies in Deutschland. Frei zählt sich zu den wenigen Hundert freien Schornsteinfegern hierzulande. So nennen sich die Angehörigen der schwarzen Zunft, die ihre Arbeiten deutschlandweit anbieten und keinen festen Bezirk haben. Und Landau ist die erste Stadt, die hierzulande Schornsteinfegerleistungen öffentlich ausschrieb und einen freien Anbieter beauftrage, seit vor eineinhalb Jahren das Kehrmonopol fiel. Vorher kehrte jeder Schornsteinfeger nur in seinem eigenen Bezirk. Die Kunden mussten sich mit diesem einen Anbieter zufriedengeben, Konkurrenz unter den Schornsteinfegern gab es nicht.
Heute darf sich jeder Hausbesitzer oder Vermieter aussuchen, wer seinen Kamin kehren darf. Schornsteinfeger Frei etwa arbeitet mit seinem Unternehmen Frei’e Schornsteinfeger mittlerweile für Kunden in fünf Bundesländern.
Abnahme neuer Kamine
Doch die Liberalisierung stockt. Viele Schornsteinfeger pflegen ihre Kunden aus Monopolzeiten und kümmern sich nicht um neue Auftraggeber. Kunden nutzen die neue Wahlfreiheit am Kamin nicht. Höchstens fünf Prozent hätten ihren Schornsteinfeger gewechselt, schätzt der Zentralinnungsverband des Schornsteinfegerhandwerks (ZIV), der private Zusammenschluss von Zunftangehörigen.
Das Problem sind die hoheitlichen Aufgaben, die vom Wettbewerb ausgeschlossen sind. Dazu zählen die Abnahme neuer Kamine und die zweimal in sieben Jahren fällige Feuerstättenschau, bei der alle Heizungen und Öfen im Haus kontrolliert werden müssen. Die sind den sogenannten bevollmächtigten Bezirksschornsteinfegern vorbehalten, die bisher das Monopol innehatten. Dadurch behalten die einstigen Platzhirsche ihre starke Stellung. Zwar machen die hoheitlichen Aufgaben nur etwa 20 Prozent aller Schornsteinfegertätigkeiten aus, schätzt der ZIV. Doch die bevollmächtigten Bezirksfeger haben so bei den Kunden einen Fuß in der Tür – und können Eindringlinge leicht vertreiben.
Viermal vor Gericht
„Das Monopol ist zum Kartell geworden“, klagt Roman Heit, einer der wenigen freien Schornsteinfeger in Berlin. Der 48-Jährige versucht schon seit 2011, in Berlin Kunden zu gewinnen, zunächst als Angestellter eines österreichischen Schornsteinfegerbetriebs. Anbieter aus der EU durften schon vor dem Fall des Monopols in Deutschland aktiv werden. Schon damals bekam Heit die Abwehr seiner Kollegen zu spüren. „Ick wurde richtig anjefeindet“, sagt er in breitem Hauptstadt-Dialekt.
Heits Bilanz der vergangenen drei Jahre ist erschreckend. Insgesamt viermal musste er vor Gericht. Zweimal hatte ihn die Senatsverwaltung verklagt. Beide Male zog die Behörde ihre Klage während des Prozesses zurück. In den anderen zwei Fällen steckte hinter den Attacken die Organisation Rußtizia, ein Abmahn-Verein der Berliner Schornsteinfegerinnung. Rußtizia warf Heit vor, seine Tätigkeit für den österreichischen Betrieb verstoße gegen deutsches Recht. In zweiter Instanz gab das Kammergericht Heit recht. „Mich vom Markt zu drängen, det is deren einziges Ziel“, schimpft er.
Offenbar ist Berlin überall. Auch in anderen Bundesländern haben es die freien Feger gegen die alteingesessenen Anbieter schwer. Mehr als die Hälfte der 16 Landeskartellämter bestätigten auf Anfrage der WirtschaftsWoche die Beschwerden von Kunden oder Kaminkehrern wegen Wettbewerbsbehinderungen. Ein Wettbewerb sei nicht spürbar, klagen das hessische und das bayrische Landeskartellamt. Aus Sicht der niedersächsischen Schwesterbehörde wird „die Liberalisierung zumindest nicht flächendeckend gelebt“.
Kartellermittlungen und Gerichtsstreit
Besonders hartnäckig scheinen die Altmonopolisten in Nordrhein-Westfalen um ihren angestammten Bereich zu kämpfen. Gleich nach dem Fall des Monopols durchsuchte das Landeskartellamt in Köln Akten und Schränke von Schornsteinfegerbetrieben. Die Kaminkehrer, so der Verdacht, hätten in einem Ehrenkodex verabredet, geschäftliche Aktivitäten weiterhin auf ihre alten Bezirke zu beschränken und außerhalb nicht auf Kundenfang zu gehen. Mittlerweile laufen die Ermittlungen in insgesamt drei Landkreisen. Ein Ergebnis liegt nach Angaben des zuständigen Landeswirtschaftsministeriums noch nicht vor.
Wenigstens ein mit den Kartellermittlungen verbundener Fall landete inzwischen vor Gericht. Als ein Kölner Schornsteinfeger in der Nachbarstadt Pulheim Prospekte verteilte, um Kunden zu werben, drohte der dortige Bezirkskehrer seinen abgewanderten Kunden schriftlich: Der Konkurrent aus der Domstadt sei nicht berechtigt, die Arbeiten auszuführen. Dem Kölner blieb nur, den Lügner mit einer einstweiligen richterlichen Verfügung zu stoppen.
Arbeiten kontrollieren
Auch zwischen freien Schornsteinfegern und ihren bevollmächtigten Kollegen gibt es Streit. Denn die Bezirksschornsteinfeger müssen die Arbeiten ihrer freien Kollegen kontrollieren. „Einige der Bevollmächtigten nutzen ihre Position aus“, behauptet Feger Frei. Dazu bedienen sie sich zum Beispiel des Bescheids, der alle wichtigen Daten über eine Feuerstätte enthält und in dem die bevollmächtigten Bezirkskehrer auch die Fristen festlegen, in denen bestimmte Arbeiten an Kaminen und Öfen wie Abgasuntersuchung oder Kehrungen zu erledigen sind. „Das wird ganz klar genutzt, um den Markt zu lenken“, ärgert sich Frei. So könne der Bezirksfeger die Terminplanung der freien Kollegen durcheinanderbringen, indem er zum Beispiel alle Termine auf den Januar lege, statt sie auf das Jahr zu verteilen.
Die Kunden verunsichert der Streit in der Zunft. „Sobald ein bevollmächtigter Schornsteinfeger Ärger andeutet, kriegen die Kunden Panik und zucken sofort zurück“, sagt Freis Kollege Heit.
Die Innungen spielen die Probleme herunter. Einzelfälle, sagt ZIV-Präsident Hans-Günther Beyerstedt, „Betroffene können jederzeit bei den Innungen Beschwerde einlegen.“ Die Kunden seien offenbar zufrieden, deshalb seien die Wechselquoten so niedrig.
Das dürfte allerdings auch daran liegen, dass es noch keinen Billiganbieter in der Branche gibt, der Deutschland etwa mit einer Discount-Schornsteinfeger-Kette überziehen könnte. „Der Verbraucher kann bisher nicht wirklich viel sparen“, sagt Horst-Ulrich Frank von der Verbraucherschutzzentrale Mecklenburg-Vorpommern. Mehr als fünf Euro seien bei einem Privathaus mit Kosten zwischen 60 und 100 Euro im Jahr kaum drin.
Geringe Preisunterschiede
Für große Immobilieneigentümer lohnt sich der Wechsel trotz der geringen Preisunterschiede. Die Stadt Landau etwa spart 2014 durch die Ausschreibung und Vergabe des Auftrags an Frei brutto 2800 Euro, das sind rund 13 Prozent der Vorjahreskosten. Doch ein Großteil der Kommunen hat ihre Schornsteinfegerarbeiten bisher nicht einmal ausgeschrieben. Auch die großen Wohnungsgesellschaften halten sich zurück. Zwar beauftragte die Deutsche Annington nach dem Fall des Monopols Schornsteinfegermeister Wolfgang Frei damit, die Schlote von insgesamt 7000 Wohnungen in Baden-Württemberg, Essen und Dortmund zu betreuen. Doch die Konkurrenz sieht in solchen Projekten bisher keinen Sinn. Auch sind nur wenige Schornsteinbetriebe in der Lage, größere Aufträge anzunehmen.
Frei hofft nun, über ein Internet-Portal mehr Bewegung vor die Kamine zu bringen. Auf der Internet-Seite kaminia.de, die in den kommenden Tagen online gehen soll, können Kunden anonym Aufträge ausschreiben und Schornsteinfeger anonym Angebote abgeben. Der Schornsteinfeger muss lediglich seinen Meisterbrief und seine Handwerkskarte dem Portal gegenüber vorweisen. Alteingesessene Wettbewerber haben so keine Chance herauszufinden, wer hinter einem Angebot steckt. Frei hat das Projekt initiiert. „Vielleicht trauen sich dann ein paar mehr Kollegen, auch außerhalb ihres Bezirks Aufträge anzunehmen“, hofft Frei.