Sie starrt auf die blinkenden und leuchtenden Zitronen, Orangen und Pflaumen, die schnell über den Monitor wandern. Dann drückt sie wieder auf den Start-Button. Die einzelnen Früchte drehen sich. Werden sie in einer Reihe stehen bleiben? Die Dame in der Merkur-Spielhalle nahe des Düsseldorfer Hauptbahnhofs ist Ende 40, trägt ein gepflegtes Kostüm, dazu elegante Lederschuhe. Sie ist allein gekommen. Fast regungslos starrt sie auf die Früchte auf dem Automaten vor ihren Augen, harrt ein ums andere Mal ihrer Chance zum großen Glück. Ein Plakat eines Prunkhotels in Las Vegas haucht dem tristen Raum vergeblich etwas von dem Glitzer-Glamour und Kitsch der US- Casino-Metropole ein.
Das große Glück ist der einsamen Dame heute nicht hold. Gewonnen hat wieder ein anderer, diesmal noch: Paul Gauselmann, Deutschlands König der Spielautomaten, dem die Merkur-Halle am Düsseldorfer Bahnhof und alle gleichnamigen Etablissements in Deutschland gehören. Der 78-Jährige regiert von dem ostwestfälischen Espelkamp aus, eine Autostunde entfernt von Bielefeld, das größte Glücksspielimperium republikweit.
Der schlanke Endsiebziger mit dem Polizistenbart sitzt in seinem Büro und ärgert sich. Es riecht wie in seinen Spielhallen nach kaltem Rauch, allerdings nicht von Zigaretten sondern von kubanischen Edelzigarillos der Marke Cohiba mit vergoldeter Spitze, die Gauselmann bevorzugt. Der Milliardär aus der Provinz kann sich das leisten. Er stellt in Deutschland die meisten Spielautomaten her, entwickelt die Spielesoftware und betreibt dazu 230 Spielhallen in Deutschland und 150 im Ausland – Markenzeichen: eine strahlende Sonne.
Reich am Abgrund
Doch der Glanz des Zentralgestirns ist in Gefahr. Mit List, Fleiß und Siegeswillen hat sich Gauselmann ein Imperium mit einem Umsatz von 1,7 Milliarden Euro geschaffen, das nun vor dem Abgrund steht. Der Westfale ist nicht nur erneut in den Verdacht geraten, illegale Parteispenden geleistet zu haben.
Kürzlich berichtete das ARD-Magazin „Monitor“, dass Herbert Schlottmann, Berater der Gauselmann-Gruppe und gleichzeitig Vorstandsmitglied der Gauselmann-Stiftung, 2,5 Millionen Euro in FDP-Tochterunternehmen investiert haben soll, von denen ein Teil an die FDP geflossen sei. Gauselmann weist alle Vorwürfe von sich: „Mehr will ich dazu nicht sagen, die FDP ist am Zuge, dies aufzuklären.“ Auch FDP-Generalsekretär Patrick Döring hatte die Vorwürfe zurückgewiesen.
Zu allem Politgezänk gerät Gauselmann auch noch wirtschaftlich massiv unter Druck. Der kommt zum einen von den in Deutschland illegalen Online-Casinos, die meist von Malta, Gibraltar oder den Cayman Islands aus via Internet rund um die Uhr ungehindert in deutsche Wohnzimmer streben – mit fast unbegrenzten Gewinn- und Verlustmöglichkeiten.
Zum anderen sieht sich Gauselmann als Opfer der Politiker, deren Gunst er jahrzehntelang sicher war. Denn Ende vergangenen Jahres beschlossen die Ministerpräsidenten der Länder mit Ausnahme von Schleswig-Holstein die Änderung des Glücksspielstaatsvertrags. Damit öffnen sie mit der Vergabe von 20 Lizenzen den Markt für private Sportwettenanbieter.
Spiele ohne Grenzen
Während die Länder die Spiele ohne Grenzen zulassen, begrenzt der Vertrag andererseits die privaten Spielhallenbetreiber. Die erhalten nach einer Übergangsfrist von fünf Jahren nur noch eine einzige Konzession pro Spielhalle. Gauselmann darf damit in jeder seiner Lokalitäten nur noch zwölf Automaten pro Spielhalle betreiben. Das ist im Schnitt ein Viertel seines bisherigen Arsenals. Hinzu kommt, dass die Hallen nachts für drei bis fünf Stunden werden schließen müssen, früher waren sie in den meisten Bundesländern fast rund um die Uhr geöffnet.
Kampf gegen Glücksspielsucht
Gauselmann, der stets beste Kontakte zu Parlamentariern aller Couleur pflegte, fühlt sich nun ausgerechnet von diesen gepeinigt. Für die Politik sind die privaten Spielhallen wie die von Spielekönig Gauselmann leichter einzuschränken. Online-Glücksspielanbieter hingegen sind nicht an Ländergrenzen gebunden und schwer zu regulieren.
Hauptargument der Volksvertreter ist vor allem die Spielsucht, die bei Glücksspielautomaten in Spielhallen und Gaststätten am höchsten sei. Der Fachverband Glücksspielsucht stellt fest, dass rund 80 Prozent der Spielsüchtigen, die Selbsthilfegruppen, Beratungsstellen oder Fachkliniken aufsuchen, Probleme mit gewerblichen Spielautomaten haben.
Der Bremer Glücksspielexperte Gerhard Meyer beziffert die Zahl der Menschen in Deutschland mit pathologischem Spielverhalten auf knapp 200.000, weitere 170.000 zeigten problematisches Spielverhalten.
Das Dilemma: Auch wenn es weniger Glücksspielautomaten um die Ecke gibt, ist es für Spieler ein Leichtes, auf den illegalen Web-Sites weiterzuzocken. Das droht Gauselmann nun kurz vor dem Lebensabend vom Thron zu stürzen.
Das Glücksspielimperium
Jahrzehntelang schien es, als schaffe der Selfmademan mit den Pflaumen und Zitrusfrüchten in seinen Automaten stets nur den Hauptgewinn. 1957, im Alter von 23 Jahren beginnt der gelernte Fernmelderevisor aus Münster erstmals, Musikautomaten aufzustellen, und tüftelt an neuen Techniken. 17 Jahre später, 1974, eröffnet er die erste Merkur-Spielothek in Delmenhorst bei Bremen, danach baut er seinen ersten eigenen Geldspielautomaten.
Schon damals erweist sich Gauselmann als trickreicher Geschäftsmann. Der Vorschrift, nur drei Automaten pro Spielhalle aufstellen zu dürfen, weicht er schlitzohrig aus. Er installiert Trennwände, baut zusätzliche Eingänge und umgeht so die gesetzliche Begrenzung. Heute beschäftigt seine Unternehmensgruppe 6.000 Mitarbeiter, rund zwei Millionen Spielautomaten stammen inzwischen von ihm.
Von solchen Erfolgen erzählt Gauselmann gern. Doch die aktuelle Diskussion um die Gesetzesänderungen nimmt ihm erkennbar die Freude an der Reminiszenz. Er sitzt in seinem tiefen Sessel in seinem Büro, pafft seinen Zigarillo, spricht ruhig, langsam und wiegt die Worte, um sich zu beruhigen. „Nachts habe ich schon mal eine Baldrian genommen, damit ich mich nicht so aufrege“, sagt er.
Doch dann reißt er die Arme von den Sessellehnen in die Luft, wird laut und wettert nicht nur gegen Online-Spiele, sondern auch gegen das Glücksspiel in den landeseigenen Kasinos: „Der Spielbankbetreiber muss nur nebenan zu seinem Landtagsabgeordneten gehen und sagen, tu mal was dagegen, damit wir konkurrenzlos werden.“ Und auch das Argument der Spielsucht lässt er nicht gelten: „Die haben viele Millionen für Gutachten ausgegeben. So viel Spielsucht, wie darin behauptet wird, gibt es bei uns überhaupt nicht.“
Der ewige Gewinner
Er selber, setzt Gauselmann noch eins drauf, habe sich jedenfalls nie etwas zuschulden kommen lassen und sei auch nicht gegen neue Wettbewerber. Eine Strafanzeige, er habe Automaten manipuliert, endete vor einigen Jahren im Nichts. Die Ermittlungen wurden wegen mangelnder Beweise eingestellt. In Wirklichkeit, so Gauselmann, habe er bisher doch so viel Gutes getan. Er hat viele Millionen investiert und viele Arbeitsplätze geschaffen.
Gauselmann ist noch immer der Typ, der gewinnen will, ob als Mitglied der Senioren-Tennismannschaft beim TV Espelkamp, mit der er deutscher Meister wurde, oder auf der Tribüne des Bundesliga-Handballvereins TuS N-Lübbecke, wo er bei fast jedem Spiel mitfiebert.
Der Menschenfänger
Und wen hat er nicht alles gewonnen, wenn es um sein Unternehmen ging. Galt es, Politiker zu umgarnen, erwies er sich als ein wahrer Menschenfänger. Mit Bundespolitikern veranstaltete die Automatenbranche unter Führung von Gauselmann in Bonn und Berlin parlamentarische Skatabende, an denen ein Großteil der Parlamentarier teilnahm. Der ehemalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) und der FDP-Grande und Vizepräsident des Deutschen Bundestages, Hermann Otto Solms, übernahmen die Schirmherrschaft. „Skat spielen tut jeder gerne“, sagt Gauselmann.
Am Firmensitz in Espelkamp gingen die Politiker nur so ein und aus. Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) war vor einigen Jahren zu Gast, die ehemaligen nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Wolfgang Clement (SPD) und Jürgen Rüttgers (CDU) zeigten ebenfalls Interesse an Gauselmanns Glücksspielreich. 2003 verlieh ihm der damalige Bundespräsident Johannes Rau (SPD) das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse.
Da konnte der Verdacht, Gauselmann leiste illegale Parteispenden, um die Politiker in seine Richtung zu lenken, nicht ausbleiben. So geriet Gauselmann Anfang 2011 durch sein besonderes System der Parteispenden in die Kritik. Er hatte seine Mitarbeiter ermuntert zu spenden. Da es sich um viele kleine Summen handelte, mussten sie in den Rechenschaftsberichten der Partei nicht erwähnt werden. Auch wenn ein Aufschrei durch die Medien ging – die Praxis war listig, aber legal.
Listige Parteispenden
Zumindest der Erfolg gibt Gauselmanns Spendenmethode recht. So räumte Andreas Pesch, Vorsitzender Richter am Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, in einem Leserbrief in der „Süddeutschen Zeitung“ ein, dass Gauselmanns Spendenpraxis durchaus etwas bewirkte. Nicht von ungefähr nominierte der Anti-Lobbying-Verein Lobby Control Gauselmann 2011 für die Lobbykratie-Medaille.
Jetzt richtet sich Gauselmann vor allem auf eine zermürbende Auseinandersetzung zur Rettung seines Lebenswerks ein. Denn was im Gesetzestext steht, fürchtet er, ist geeignet, seinem Geschäft sowie der ganzen Branche schwer zu schaden. So zwinge der Glücksspielstaatsvertrag die Branche, in fünf Jahren über 50 Prozent der Automaten abzubauen. „Ich muss jetzt auf Anhieb 500 Leute entlassen. Das geht doch nicht“, schimpft er. Die Branche insgesamt müsste 8.000 Mitarbeiter auf die Straße setzen. Auch die Zahl der bestellten Automaten sei bereits um 50 Prozent zurückgegangen, und das alles zur Bekämpfung der Spielsucht.
Die Online-Konkurrenz
Umso mehr wurmt Gauselmann, dass gleichzeitig Online-Spieleplattformen aus dem Ausland wie Pilze aus dem Boden schießen. Erlaubt sind sie in Deutschland nicht – geduldet schon. Hier werden Daddler, wenn es schlecht läuft, ein Vermögen los. „An unseren Automaten können Spieler dagegen maximal 80 Euro pro Stunde verlieren, in der Praxis sind es durchschnittlich 10,85 Euro pro Stunde. Im Internet sind die 80 Euro schnell nach zwei Minuten weg, meistens handelt es sich um genau die gleichen Spiele“, sagt Gauselmann.
Verdammt große Sache
Deshalb will Gauselmann versuchen, das für ihn hinderliche Gesetz auf juristischem Wege zu kippen . „Ich sage voraus“, kündigt er an, „dass es den Glücksspielstaatsvertrag 2014 nicht mehr geben wird. Wir haben bereits die besten Anwälte in ganz Deutschland auf die Sache angesetzt. Klagen laufen.“
Seine größten Gewinn-Chancen rechnet sich Gauselmann in seinem Heimatland Nordrhein-Westfalen aus, das bislang als einziges Bundesland neben Schleswig-Holstein den neuen Glücksspielstaatsvertrag noch nicht umgesetzt hat. Darum reiste er Anfang September auch persönlich zu einer Anhörung, die der Düsseldorfer Landtag zum Thema Glücksspielstaatsvertrag veranstaltete. Hier fühlt er sich wohl, hier kennt er sich aus. Der Vorsitzende der FDP-Fraktion, Christian Lindner, lächelt Gauselmann kurz zu, als er den Ausschuss verlässt, stoppt kurz und gibt dem Unternehmer die Hand.
Von seinen vier Söhnen arbeiten drei im Unternehmen und besitzen zusammen mit seiner Frau bereits 75 Prozent der Firma. Die Söhne nahm Gauselmann aber nicht mit nach Düsseldorf. „Wenn es ums Lebenswerk geht, kann man nicht sagen, pass mal auf, ich bin jetzt in der Südsee“, sagt er. „Die ganze Verantwortung einschließlich der Aufgaben in den Verbänden ist eine verdammt große Sache.“