Start-ups Deutschlands Osten als neues Start-up-Paradies?

Noch ist Berlin das unangefochtene Zentrum für junge und hippe Start-ups. Doch es kommt Bewegung in die Szene. Gerade im Osten locken preiswerte Mieten Gründer.

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Ein Pfeil zeigt den Weg zur Bühne für Start-ups. Quelle: dpa

Tobias Steenweg ist über eine Spielerei im Informatik-Studium an der Uni Magdeburg zu seiner ersten Firma gekommen. Der heute 28-Jährige und sein Kommilitone Stefan Wegener (25) programmierten sich eine App, in der alle nützlichen Zugänge für den Uni-Alltag vereint waren: Mensa-Speiseplan, Bibliotheks-Konto, Stundenplan und Uni-Mail. Schnell wurden andere Studenten der Uni darauf aufmerksam, erzählt Steenweg. Die App verbreitet sich schnell. „Am Ende des Studiums waren wir quasi zum Gründen gezwungen.“ Mit einem Bundesstipendium im Rücken werkelt das Team ab Frühjahr 2014 an der Geschäftsidee und dem Prototyp. Zusätzlich gibt es Risikokapital vom Land Sachsen-Anhalt.

„UniNow“ ist geboren, die alte Idee von damals geblieben: Möglichst alle Zugänge für den Uni-Alltag an einem Ort zu verwalten. Vor einem Jahr bietet das Start-up den Dienst für Studenten an zehn Hochschulen an. Inzwischen sind es 150. Bis zum Jahresende sollen es 250 sein.

Das Unternehmen ist nur ein Beispiel für die aktiver werdende Gründerszene im Osten Deutschlands: Ausgründungen von Hochschulen und Forschungsinstituten, Start-ups werden aus dem Boden gestampft. Karsten Schaal, Regionalsprecher für Sachsen im Bundesverband Deutsche Start-ups, sieht zunehmend Bewegung - von Sachsen-Anhalt bis Thüringen. Billige Mieten und Lebenshaltungskosten lassen eine kreative Szene aus Künstlern und Querdenkern entstehen. „Und aus dieser Subkultur entsteht unternehmerisches Denken.“

Dennoch hinkt der Osten Gründerzentren wie Berlin, Hamburg oder München hinterher. Das zeigen auch die Zahlen des „Deutschen Start-up-Monitor 2016“: 17 Prozent der in der Studie untersuchten 1224 Start-ups haben demnach ihren Sitz in Berlin - damit ist die Bundeshauptstadt nach wie vor Spitzenreiter. Aber die Konzentration nimmt ab, im Jahr zuvor waren in Berlin noch 31 Prozent der jungen Unternehmen angesiedelt.

Gründer-Hotspots außerhalb Berlins werden zunehmend attraktiver, neben Rhein-Ruhr-Gebiet, Stuttgart und Karlsruhe profitieren auch Regionen im Osten - wenn auch letztere auf niedrigem Niveau.

In Sachsen sind 5,1 Prozent der befragten Start-ups angesiedelt (plus 0,6 Prozentpunkte). In Sachsen-Anhalt fällt der Anstieg am höchsten aus: Laut Monitor haben 1,2 Prozent der Start-ups ihren Sitz - im Jahr zuvor lag die Quote gerade einmal bei 0,2 Prozent. Während Brandenburg auf einem Niveau von 1,5 Prozent stagnierte, legte Mecklenburg-Vorpommern auf 1,0 Prozent zu (plus 0,4 Prozentpunkte). In Thüringen haben 1,2 Prozent der jungen, innovativen Firmen ihren Sitz - ein Rückgang: Im Jahr zuvor waren es noch 1,6 Prozent.

Gründertypen: So ticken junge Unternehmer rund um den Globus

Sachsen will mehr Gründer anlocken: Der Freistaat plant für rund 100 Millionen Euro in Dresden ein Innovationszentrum für das Internet der Dinge. Wirtschaft und Wissenschaft arbeiten dafür gemeinsam an der digitalen Vernetzung, Start-ups sollen neue Impulse setzen. Der Autobauer VW wirbt mit Dresden um Start-ups rund um das Thema Mobilität. Ein „Business Incubator“ soll Gründerfirmen fördern, die innovative Software-Lösungen entwickeln - für Navigation, Parken oder Carsharing. Es locken eine Finanzspritze bis zu 20 000 Euro, mietfreie Büros in der Gläsernen Manufaktur und IT-Technik. „Dresden besitzt schon jetzt eine aktive Forscher- und Start-up-Szene. Es fehlt jedoch ein Inkubator, speziell zum Thema Mobilität. Diese Lücke wollen wir schließen“, so Kai Siedlatzek, Finanzchef von VW Sachsen.

Der Chefvolkswirt der staatseigenen Förderbank KfW, Jörg Zeuner, sieht im Osten Nachholbedarf in Sachen Gründungen. Zwar ist man derzeit noch an der Auswertung der Zahlen für 2016, die im Mai vorgestellt werden sollen. „Wir gehen aber nicht davon aus, dass sich in den Rangfolge der Bundesländer wesentlich etwas ändert.“

Im Gründungsmonitor für das Jahr 2015 landeten die ostdeutschen Flächenländer allesamt auf den hinteren Plätzen. Mit einer Quote von 14 Gründungen pro 1000 Erwerbsfähigen sind Thüringen und Sachsen die gründungsfreudigsten Ost-Flächenlander, gefolgt von Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern (jeweils 13 Gründen pro 1000 Erwerbsfähigen. Schlusslicht bleibt Sachsen-Anhalt (7). Deutschlands Gründerhauptstadt in Deutschland ist nach wie vor Berlin (26).

Seit Jahren gehen die Gründungsquoten insgesamt zurück - im Osten wie im Westen. Als Grund führt Zeuner vor allem die gute Lage auf dem Arbeitsmarkt an. Dass im Osten weniger Menschen den Schritt in die Selbstständigkeit wagen, hat vor allem etwas mit der unterdurchschnittlichen Kaufkraft und der fehlenden Nachfrage zu tun. Prinzipiell seien Gründungen im Osten häufiger aus der Not heraus geboren. „Und nicht, um aus dem Job heraus eine Chance wahrzunehmen.“

Karsten Schaal, der selbst 2011 den Online-Supermarkt Food.de in Leipzig aus der Taufe hob, weiß, dass es gerade bei ostdeutschen Gründern am Kapital hakt. „Am schwierigsten ist es in der mittleren Phase, bis große Risikokapitalgeber einsteigen. Da ist das große Dilemma in Ostdeutschland.“ Nur wenige könnten auf ein Vermögen aus dem Elternhaus zurückgreifen. Schaal will künftig 75 Städte beliefern, bisher sind es 30. Dafür braucht er einen Investor. „Und zwischen 1,5 und fünf Millionen Euro.“

Auch „UniNow“ will expandieren, schielt auf den europäischen Markt. Nächstes Jahr wollen die Jungunternehmer schwarze Zahlen schreiben. Wie sie mit „UniNow“ Geld verdienen? „Wir haben eine Stellenbörse integriert. Unternehmen können dort Angebote einstellen - gegen Sponsoring“, sagt der gebürtige Göttinger Steenweg. Die Plattform sei für Firmen für die Suche neuer Kräfte interessant. „Wir haben inzwischen rund 100 000 sehr aktive Nutzer.“ Die Herausforderung? „Der App-Markt ist sehr umkämpft, wir müssen dauernd updaten.“

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