Wenig sorgte in der deutschen Luftfahrtbranche zuletzt so sehr für Gähnen wie das Gerücht, Stefan Pichler werde jetzt Chef von Air Berlin. Schließlich galt der 57-Jährige schon als der Favorit für den Posten, bevor Gründer Joachim Hunold im August 2011 unsanft rausflog. Doch am Ende wurde daraus nie etwas.
Das lag nicht zuletzt an Pichlers schlechtem Ruf als Entscheider. Zwar wurde er noch um die Jahrtausendwende als Deutschlands ehrgeizigster Manager gefeiert. Doch am Ende hatte sich der gebürtige Münchner hierzulande gründlich ins Abseits manövriert.
Weltweit rastlos: Der Lebenslauf des Stefan Pichler
Stefan Pichler wird in München geboren. Seine Mutter ist Lehrerin, sein Vater arbeitet beim Patentamt.
Pichler erweist sich als talentierter Läufer. Als Schüler läuft er Mittelstrecke, dann wechselt er zum Hindernislauf und schließlich auf die Langstrecke.
Nach dem Abitur startet Pichler eine Karriere als Profi-Langläufer, die ihn auch dank einer extrem schnellen Zeit beim Marathonlauf (2 Stunden, zwölf Minuten) in die Nationalmannschaft bringt. Über die 25-Kilometer-Distanz gehört Pichler zeitweise zu den fünf Besten der Welt.
Pichler qualifiziert sich für die Olympischen Spiele in Moskau. Doch seine Teilnahme scheitert am Boykott des Westens nach dem Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan.
Pichler beendet seine Laufkarriere und sucht eine Stelle. Beim Sportartikelkonzern Adidas schnappt ihm der heutige Konzernchef Herbert Hainer einen Job weg. Pichler geht stattdessen als Leiter des Bereichs Sport Promotions zum Konkurrenten Nike.
Pichler kündigt seinen Job und studiert Jura und Wirtschaftswissenschaften in Augsburg. Er macht 1989 einen Abschluss als Diplom-Ökonom.
Nach einem Trainee-Programm bei der Lufthansa geht er für die Fluglinie nach Paris. Er beginnt als Marketingleiter für Frankreich und übernimmt 1992 auch den Job als Verkaufsleiter. 1993 wird Pichler Landeschef für Frankreich und sorgt für deutliches Wachstum.
Pichler wechselt in die Lufthansazentrale nach Frankfurt, zunächst als Leiter Globale Vertriebspolitik und ab 1996 Vertriebschef Deutschland. 1997 wird er Verkaufsvorstand des Fluggeschäfts. Unter dem Motto „Wir matchen jeden Preis“ attackiert er die ersten Billigflieger wie Ryanair. Um das zu finanzieren, drückt er die Vertriebskosten und macht sich bei den damals zentralen Reisebüros unbeliebt, weil er die Verkaufsprovisionen von den üblichen neun Prozent vom Umsatz auf fünf Prozent kürzt. Auch intern ist Pichler umstritten, weil er mit seiner aus Sicht von Weggefährten schroffen und schwer zufriedenzustellenden Art seine Mitarbeiter demotiviert.
Lufthansa-Konzernchef Jürgen Weber ist von Pichlers Erfolgen angetan und macht ihn zum Chef des Reisekonzerns C&N in Oberursel. Um den Verbund aus dem Lufthansa-Urlaubsflieger Condor und dem Veranstalter Neckermann (Karstadt-Konzern) zu vereinen, schleift Pichler interne Strukturen. Sein Ziel ist es aus C&N zu einem weltweit führenden Reisekonzern zu machen, der von Billigreisen bis zu Luxusurlauben alles anbietet. Dazu sollen die Erträge steigen, weil eine durchgehende Kette aus Vertrieb, Flügen, Hotels und Vor-Ort-Betreuung alle Teile besser auslasten soll.
Um die Kette noch besser auszulasten, will Pichler das Geschäft internationalisieren. Doch seinen geplanten Zukauf, die britische Thomson Travel Group, schnappt ihm Erzrivale Preussag für die seine Reisetochter Tui weg. Denn Preussag-Chef Michael Frenzel kann schneller agieren als Pichler, der immer erst seine Anteilseigner Lufthansa und Karstadt fragen muss. Stattdessen kauft Pichler die britische Thomas Cook, die Tui aus Wettbewerbsgründen abstoßen muss. Kurz zuvor hat Pichler in Frankreich Havas Voyages übernommen.
Nach dem Ende des New-Economy-Booms, durch die wachsende Zahl von Online-Schnäppchen und später der Reiseangst infolge der Terroranschläge des 11. September 2001 bricht die Nachfrage nach Veranstalterreisen ein. Statt den Konzern zusammenzuführen, muss Pichler ein Sparprogramm starten und will die Kosten um gut zehn Prozent drücken. Trotzdem schreibt Thomas Cook im Geschäftsjahr 2001/2002 erstmals Verlust.
Pichler wird entlassen. Trotz Entlassungen und dem Verkauf von Flugzeugen verdoppelt sich der Verlust im Geschäftsjahr 2002/2003 auf gut 250 Millionen. Das kostete ihn den Rückhalt seiner Gesellschafter. In der Belegschaft hatte er bereits zuvor verloren, sowohl durch seine im Arbeitsalltag schroffe Art als auch durch die Aufgabe von Traditionsmarken wie Condor.
Pichler verlässt enttäuscht Deutschland. Weil ihm sein Arbeitsvertrag für mindestens ein halbes Jahr andere Jobs in der Reisebranche verbietet, zieht er auf die Seychellen und macht eine Ausbildung zum Tauchlehrer. Durch Vermittlung von Freunden kommt er in Kontakt mit dem britischen Multiunternehmer Richard Branson, der ihn als Vizechef zu seiner australischen Billiglinie Virgin Blue (heute: Virgin Australia) holt.
Pichler bringt die Linie auf Kurs und hebt die Servicequalität. Später startet er den Einstieg ins Langstreckengeschäft. Die entspannte australische Art und der Einfluss Bransons lassen auch Pichler etwas lockerer und entspannter werden, berichten Weggefährten.
Nachdem Virgin Blue rekordverdächtige Umsatzrenditen von gut 20 Prozent erreicht hat und Pichler nicht wie erwartet Konzernchef wird, wechselt nach Kuwait zum Billigflieger Jazeera Airways. Der braucht ein neues Geschäftsmodell, weil ihm die Vereinigten Arabischen Emirate sein Drehkreuz in Dubai untersagen, um Platz für ihren eigenen Billigflieger Flydubai und ihre Premiumlinie Emirates zu schaffen.
Pichler verkleinert Jazeera Airways stark und macht sie zur profitabelsten Linie der Region. Weil er mit seiner Frau nach Dubai in ein Haus auf der Palm Jumeira genannte erste Gruppe künstlicher Inseln zieht, hat er engen Kontakt in die lokale Wirtschaft und zählt auch das Emirats-Oberhaupt Mohammed bin Rashid Al Maktoum zu seinen Freunden.
Schon 2011 und 2012 verhandelt Pichler mit Air Berlin über den Chefposten. Etihad-Chef James Hogan würde ihn gerne engagieren. Doch dem Vernehmen nach sind die anderen Verwaltungsratsmitglieder dagegen. Sie und vor allem Oberaufseher Hans-Joachim Körber und Alt-Chef Hunold bevorzugen den damaligen Vize Wolfgang Prock-Schauer. Angeblich, weil sie unter Pichler unnötig radikale Umbauten befürchten.
Nach dem Erfolg bei Jazeera wechselt Pichler auf den Chefposten der kleinen staatlichen Fiji Airways mit Sitz in Nadi, am größten Flughafen der Inselgruppe. Das reiche Angebot an Wassersport und das ruhige Leben bei der Fluglinie mit – laut Internetseite – mehr als doppelt so viel Vorstandsmitgliedern wie Flugzeuge locken ihn. Dazu waren er und seine australische Frau Leonie angeblich das heiße trockene Klima ein wenig leid.
Pichler beginnt Fiji Airways umzubauen und schwört allen Plänen einer Rückkehr nach Deutschland ab. „Ich werde mit Sicherheit die nächsten Jahre die Airline hier managen und dann werde ich es auslaufen lassen. Ich meine, dann war ich mehr als 20 Jahre CEO und irgendwann muss genug sein“ erklärt er in einem Interview.
Wohl auch weil Pichler mehr Zeit hat, kommt er nun öfter nach Deutschland und ist auf Veranstaltungen seines alten Arbeitgebers Lufthansa zu sehen. Als bei Air Berlin die Zahlen nicht besser werden, spricht ihn angeblich Etihad-Chef Hogan im Frühsommer erneut auf den Chefposten an. Im Sommer spitzt sich die Lage bei Air Berlin zu. Die EU untersucht ob Etihad einen dominierenden Einfluss hat, was Air Berlin den Status als europäische Fluglinie und das Gros der Auslandsstrecken kosten könnte. gleichzeitig will Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt Air Berlin das Recht für Gemeinschaftsflüge mit Etihad entziehen.
Daum ändern immer mehr Mitglieder des Air-Berlin-Verwaltungsrats ihre Meinung und schließlich stimmen im Oktober laut Insidern auch die lange widerstrebenden Mitglieder Körber und Hunold Pichlers Berufung zu. Pichler nimmt die Wahl gerne an. Gegenüber Freuden deutet er an, dass ihm auf Fiji trotz aller Naturfreuden doch das kulturelle Angebot in Europa und besonders in Berlin fehlt. „Aber das er nun auch in seiner Heimat zeigen seine Qualität als Sanierer zeigen kann und dabei sowohl den Eindruck seines Scheiterns bei Thomas Cook als auch seinen Ruf als Ekel wettmacht, hat ihn sicher auch nicht gestört“, so ein Weggefährte
Am 1. Februar soll Pichler Air-Berlin-Chef werden.
2003 war er an der Spitze des Reisekonzerns Thomas Cook gescheitert, weil der Konzern tief ins Minus rutschte. Das lag an den milliardenschweren Zukäufen, mit denen er aus dem biederen Verbund der Ferienlinie Condor mit Neckermann Reisen (C&N) den Weltkonzern Thomas Cook bauen wollte. Doch in der Krise nach den Terroranschlägen des 11. September 2001 und der Reiseangst infolge der Lungenseuche SARS rutsche Thomas Cook tief ins Minus. Und Pichler galt als der Schuldige.
Geläutertes Raubein
Das Urteil fiel leicht. Viele in der Branche hatten noch eine Rechnung mit Pichler offen. Er hatte sich viele Feinde in der Branche gemacht. Als Verkaufschef bei der Lufthansa ewta stieß er mit seinem raubeinigen Führungsstil viele vor den Kopf. Da schien es passend, dass sich der umtriebige ehemalige Marathonläufer ins Ausland zog und sich nach einer erfolgreichen Zeit an der Spitze des australischen Billigfliegers sowie dem Flugdiscounter Jazeera Airways aus Kuwait zur Ruhe setzte – als Leiter der staatlichen Fluggesellschaft der Fidschi-Inseln.
Wenn der begeisterte Taucher nun die blaue Südsee für die graue Spree aufgibt, liegt das am Umdenken beider Seiten. Air Berlin schreibt weiterhin tiefrote Zahlen, trotz Sparrunden, zweier Chefwechsel in drei Jahren und 800 Millionen Euro Zuwendung vom arabischen Großaktionär Etihad.
Da hilft jetzt nur noch ein Maniac wie Pichler, um Deutschlands zweitgrößte Fluggesellschaft durch überfällige Einschnitte vor dem Absturz retten. Das hat wohl auch die zögerlichen Teile des Verwaltungsrats um den Vorsitzenden Hans-Joachim Körber und Alt-Chef Hunold überzeugt, die dem Vernehmen nach größere Umbauten und nicht zuletzt Pichlers Berufung in den vergangenen Jahren verhindert haben.
Aber auch Pichler ist nach gut zehn Jahren im Ausland nicht mehr der Alte und ist aus Sicht von Freunden geläutert im Umgang mit Untergebenen und Geschäftspartnern. „Er dreht Air Berlin, wenn ihm Etihad die Freiheit lässt“, so ein Weggefährte.