Tauchsieder

Der McKinsey-Fußball muss scheitern

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Die Fußball-Blase wird platzen

Eine Chance haben wir trotzdem nicht. Was nicht zuletzt daran liegt, dass dem Geld keine realen Werte mehr entsprechen, in der Globalwirtschaft nicht und in der globalen Fußball-Wirtschaft schon gar nicht.

Der Wind, jeder weiß es, hat sich seit der Krise gedreht. Man investiert jetzt wieder vermehrt in realen Waren-Werten (Gold, Immobilien), wendet sich von digitalen, zeichenhaften Werten (Staatsanleihen, Derivaten) ab. Auf die Fußball-Welt bezogen, heißt das nichts anderes als: Die Blase des fiktiven, virtuellen, durchorchestrierten, passreichen, wuseligen Spielkonsolen-Fußballs (Lionel Messi, Mario Götze, Mesut Özil etc.) wird bei dieser WM platzen, ganz so wie die Blase der Bit-und-Byte-Finanzwirtschaft geplatzt ist. 

Was die beiden Sphären - Fußballkünstler und Finanzjongleure - eint, ist ja nur zu evident: In beiden Sphären war (und ist) der Glaube verbreitet, die Wirklichkeit ließe sich mathematisch berechnen, optimieren, modellieren, ja: einem am Computer generierten Vorbild anverwandeln.

Virtuelle Künstlichkeit

Und tatsächlich schien die Wirklichkeit des Fußballs dabei zu sein, das Virtuelle in puncto Künstlichkeit zu übertrumpfen: Die Fußballspiele, die wir am Fernsehen verfolgten, waren in Sachen Präzision, Schnelligkeit und Ausdauer beinah so irreal wie ein joystick-gesteuertes Match am Computer. Am Ende wusste man nicht wirklich mehr, ob sich Marco Reus und Arjen Robben wie ihre Avatare oder ihre Avatare wie Marco Reus und Arjen Robben bewegten - bis sie endlich, vor drei, vier Wochen, an der breiten Brust von Sergio Ramos abprallten. Erst in diesem Moment war sich der verunsicherte Fußball-Fan wieder ganz gewiss: Hey, ja, Gott sei Dank: Es gibt ihn also doch noch, den "wahren" Fußball "echter" Menschen. 

Wie deutsche Mittelständler von der WM profitieren

Alles verarbeitet, aber nichts verinnerlicht

Die breite Brust von Sergio Ramos ist daher für den deutschen Fußball das, was der Zusammenbruch des Bankhauses Lehman Brothers für die Wirtschaftswelt war: ein heilsamer Realitätsschock. Er holt den Fußball zurück aus der virtuellen Welt in die Wirklichkeit, aus der Fiktion seiner digitalen Verflüchtigung in die Realität seiner analogen Körperlichkeit.

Der Realitätsschock wird die deutsche Nationalmannschaft besonders hart treffen: eine Nationalmannschaft, in der lauter kleine Klinsmanns seit einem Dezennium in größtmöglicher Abgehobenheit mit größtmöglicher Berechenbarkeit Spielzüge und Systeme, den Gegner und das Wetter simulieren. Wahrscheinlich schon morgen, im Spiel gegen Portugal.

Löws Nationalelf-Hochleistungscomputer hat alle taktischen Innovationen aus Amsterdam ("totaler Fußball"), Barcelona ("Tika-Taka") und Dortmund ("Gegenpressing") verarbeitet, aber nichts verinnerlicht. Er geht nicht mit einem verifizierbaren Premiumprodukt ins Rennen, sondern mit digital hochgezüchteten Taktik-Derivaten und Technik-Avataren, mit denen sich in der virtuellen Welt Spitzenergebnisse erzeugen lassen, die sich in der Realwirtschaft des Fußballs letzten Endes aber als wertlos erweisen werden: Sergio Ramos lässt grüßen. 

Nein, diesmal wird nicht Weltmeister, der was von der virtueller Optimierung, technisch hochgezüchteter Finesse und fiktiver Geschmeidigkeit versteht, sondern von Schweiß, Kraft, Athletik und Körperlichkeit. Die Analysten mit ihren Charts und Tabellen haben Sendepause und der Fußball kommt wieder zu sich: ohne viel Systemschnickschnack, mit Ecke, Elfer, Tor. Schöne Aussichten. 

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