Umso wichtiger sei es jetzt, die digitalen Aktivitäten und die „journalistischen Köpfe“ zu forcieren. Nur so können Marken wie Handelsblatt, Wirtschaftswoche, FAZ oder NZZ langfristig Marktanteile zurückgewinnen. „Wir müssen uns in dieser Zeit ständig selbst Konkurrenz machen, sonst geben wir das Geschäft aus der Hand“, sagt Müller von Blumencron. Und das klappt bei WirtschaftsWoche und Handelsblatt schon ganz gut: Die Reichweiten der Webseiten entwickeln sich prächtig – wichtig für das Anzeigengeschäft. Gleichzeitig konnte die Verlagsgruppe bereits insgesamt rund 49.000 digitale Abonnenten der digitalen Produkte dazu gewinnen.
Aber bisher nutzen die meisten Verlage ihre digitalen Möglichkeiten nicht aus, wirft ihnen Blogger Sascha Lobo vor. Dass die Medienhäuser etwa Storytelling, also das Erzählen von Geschichten mit Videos, Animationen und Grafiken, kaum nutzen sei „typisch für Deutschland.“ Das Online-Angebot einiger Verlage wirke auf ihn, „wie wenn man einen Kinofilm drehen wollte und einfach die Theaterbühne abgefilmt hat.“
Dabei bietet das Netz nicht nur neue Erzählformen, sondern auch besseren Kontakt zu den Lesern. „Zuhören wird unterschätzt“, sagt NZZ-Chefin Anita Zielina. Diskussionen mit den Usern auf der einen Seite und Auswertung der Klick-Daten auf der anderen erlauben es den Redaktionen, besser für ihre Zielgruppe zu schreiben.
Das sieht Lobo aus eigener Erfahrung nicht ganz so positiv. „Ich hing‘ längere Zeit an der Like-Nadel“, sagt er. „Mit 20.000 Likes fühlt man sich besser“. Aber das sei wie Traubenzucker und vergehe nach drei Stunden. Zwar entwickle man damit ein Gespür für Themen, doch der Daumen nach oben allein dürfe nicht die journalistische Richtung vorgeben.
Denn nicht nur die kostenlosen Likes entscheiden am Ende über Gewinner und Verlierer des digitalen Wandels. Auch die Geschäftsberichte müssen stimmen. Drei der vier Diskutanten sind sich sicher, es gebe keinen Königsweg zum profitablen Internet-Journalismus. So fahre etwa die NZZ eine Mehrstufenstrategie aus Werbung, bezahlten Inhalten und Events. Die Verlagsgruppe Handelsblatt setzt insgesamt auf verschiedene Säulen der Finanzierung und monetarisiert umfassend seine Marken. Angefangen von der Werbefinanzierung und der Einführung digitaler Abo-Produkte bis hin zu der einer ganzheitlichen Monetarisierung der Marken.
Nur der Blogger Lobo legt sich fest: Paid-Content. Die Nutzer sollen für die Inhalte zahlen, auch wenn das im Moment kaum funktioniert. Den Hauptgrund hat er aber schon ausgemacht: „Micro-Payment ist eine totale Katastrophe.“ So fehlt bisher im deutschen Markt etwa ein journalistisches iTunes, das Artikel für kleine Beträge in wenigen Klicks verfügbar macht. Vielleicht hat der „verrückte Junge“ Lobo, wie ihn Steingart betitelte, aber auch schon eine andere Idee.