Für einige in Frankreich klang es erstmal wie ein schlechter Scherz. Der staatseigene Bahnkonzern SNCF verpasst einem Teil seiner TGV-Verbindungen einen neuen Namen: „InOui“ - und das Land rieb sich die Augen. Immerhin ist der Hochgeschwindigkeitszug TGV eine nationale Ikone: ein Aushängeschild für Innovation und Modernität à la française. Für einen Twitter-Nutzer schien die Ankündigung so, als würde der Spielkonsolen-Hersteller Nintendo den Titelheld seiner bekannten „Super Mario“-Reihe in Robert umbenennen.
An diesem Wochenende werden die ersten TGV-Züge unter der Marke „InOui“ durchs Land rollen. Zunächst auf der Strecke Paris-Bordeaux, wo eine neue Schnellstrecke von Sonntag an die Fahrtzeit auf gut zwei Stunden verkürzt. Der Name ist ein Wortspiel: „Oui“ heißt auf Französisch ja, „inouï“ bedeutet beispiellos, außergewöhnlich, unerhört. Die Marke soll ein neues Serviceversprechen ausdrücken und für eine klare Abgrenzung zum Low-Cost-Angebot der SNCF sorgen. Das alles ist Teil eines Plans, um sich im Wettbewerb mit Billigfliegern und den seit kurzem zugelassenen Fernbussen zu behaupten.
Doch als der Schritt Ende Mai bekannt wurde, erntete die SNCF erst einmal viel Spott. Es entstand der Eindruck, dass sie die international bekannte Marke TGV aufgebe. Ein Radiokolumnist griff den Klang der neuen Marke „InOui“ auf und benannte SNCF-Chef Guillaume Pepy in „Monsieur Pépoui“ um. „Wir vergeben Ihnen. Aber kehren Sie zum TGV zurück. Ich kaufe Ihnen eine Rückfahrkahrte.“
Der Kultschnellzug TGV wird umbenannt
Der Bahnkonzern versucht, die Bedenken auszuräumen. „TGV bleibt TGV“, versichert Rachel Picard, Leiterin des Geschäftsfelds „SNCF Voyages“ und damit verantwortlich für die Hochgeschwindigkeitszüge. „TGV ist das Material, TGV bleibt der Name des Zugs“, sagt sie der Deutschen Presse-Agentur, „man wird weiterhin sagen „Ich bin im TGV“.“ Es geht aus Sicht des Konzerns vor allem darum, die verschiedenen Angebote klar voneinander abzugrenzen.
„InOui“ soll sich von „OuiGo“ abheben
Denn anders als die Deutsche Bahn hat die SNCF vor einigen Jahren eine eigene Billigmarke im Hochgeschwindigkeitsverkehr geschaffen: Unter dem Namen „OuiGo“ schickt sie TGV-Züge mit hellblauem Anstrich durchs Land – mit mehr Plätzen, weniger Stauraum, ohne Bar. Tickets gibt es ab 10 Euro, statt in der Hauptstadt Paris selbst halten die Züge an Bahnhöfen im Umland.
„OuiGo ist ein klarer Vertrag mit dem Kunden: das Wesentliche der Hochgeschwindigkeit“, sagt Picard. Jeder zweite Passagier der Billigmarke sei neu im TGV, eine „Waffe zur Markteroberung“. Fünf Millionen nutzten das Angebot im vergangenen Jahr, bis 2020 soll ihre Zahl sich fast verfünffachen.
Hochgeschwindigkeitszüge in anderen Ländern
In Italien konkurrieren zwei Anbieter von Schnellzügen um die Kunden. Neben der Staatsbahn Trenitalia gibt es seit 2012 auch die privaten Italo-Züge. Italo bedient mit seinen schnellen und modernen Zügen des französischen Konzerns Alstom weniger Strecken als Trenitalia, setzt aber vor allem auf Komfort und Service. So gibt es in der ersten Klasse Essen am Platz, dazu kommen Wlan und die Möglichkeit eines eigenen Unterhaltungsprogramms. Trenitalia hat vor kurzem seinen neuen Frecciarossa 1000 präsentiert, der bis zu 400 Stundenkilometer schnell fährt. Die Freccia-Züge setzen eher auf gute Verbindungen, hohe Geschwindigkeit und wenige Haltepunkte. In den Schnellzügen beider Anbieter gilt generell eine Reservierungspflicht.
In Spanien hebt das staatliche Eisenbahnunternehmen Renfe vor allem die Pünktlichkeit der mit Höchstgeschwindigkeiten von bis zu 310 Stundenkilometern fahrenden Schnellzüge hervor. Ab Herbst sollen die Waggons zunächst auf der Strecke zwischen Madrid und Barcelona mit Wlan ausgestattet werden. Der Hochgeschwindigkeitszug AVE hat im Juli 1,84 Millionen Reisende transportiert und damit einen neuen Rekord aufgestellt. Mit einem Streckennetz von knapp 3150 Kilometern ist das AVE-System im europäischen Highspeed-Sektor führend. In den kommenden Jahren soll das Netz für rund zwölf Milliarden um weitere 1850 Kilometer erweitert werden. Geplant sind außerdem 30 neue Züge im Wert von 2,65 Milliarden Euro.
In Frankreich soll 2022 eine neue Generation des Hochgeschwindigkeitszugs TGV in Betrieb gehen. Das Modell wird vom Bahnkonzern SNCF und dem Siemens-Rivalen Alstom gemeinsam entwickelt. Der neue TGV soll billiger und sauberer werden und in der Anschaffung sowie im Betrieb mindestens 20 Prozent günstiger sein. Geplant ist außerdem, den Energieverbrauch um mindestens ein Viertel zu senken. Der erste TGV ging 1981 an den Start und war der Vorreiter der Hochgeschwindigkeitszüge in Europa. Er verbindet die wichtigsten Städte des Landes. Die mehr als 400 Kilometer von Paris bis Lyon schafft er mit teilweise über 300 Stundenkilometern in rund zwei Stunden.
Der wohl bekannteste Schnellzug in Großbritannien ist der Eurostar, der Spitzengeschwindigkeiten von bis zu 320 Kilometern pro Stunde erreichen kann. Seit Ende 2015 ist das Modell e320 von Siemens im Einsatz und verbindet London, Paris und Brüssel. Auf der Hochgeschwindigkeitstrasse High Speed 1 (HS 1) zwischen London und dem Eurotunnel fährt aber auch der sogenannte Class 395 „Javelin“ der britischen Eisenbahngesellschaft Southeastern Railway, der 225 Stundenkilometer erreicht. Gestritten wird wegen hoher Kosten über eine Nord-Süd-Trasse (HS 2) zwischen London, Birmingham, Sheffield, Manchester und Leeds. Der Bau der Strecke soll 2017 beginnen - das Parlament hat aber bisher nur für einen Teil grünes Licht gegeben.
In Polen setzt die Staatsbahn PKP auf Schnelligkeit und Komfort. Für umgerechnet etwa sieben Milliarden Euro ließ das Unternehmen seit 2012 Schienennetz, Bahnhöfe und Züge erneuern. Zum Modernisierungsprogramm gehört etwa der Kauf der elektrischen Triebzüge ED250 Pendolino des Herstellers Alstom. Sie erreichen eine Höchstgeschwindigkeit von 250 Stundenkilometern. Für eine bequeme Reise sorgen ausziehbaren Sitze, individuelle Beleuchtung und Steckdosen an jedem Platz. Diesen Komfort in der Kategorie Express InterCity Premium (EIP) soll sich mittels Frühbucherrabatten jeder leisten können. Tickets gibt es ab umgerechnet 11 Euro. Ein Imbiss und sowie ein Getränk an Bord sind im Preis inbegriffen.
Japans derzeit schnellster Zug ist der Shinkansen. Da der Eisenbahnbetrieb auf nationaler Ebene seit den 1980er Jahren privatisiert ist, gibt es mehrere Betreiber für die Hochgeschwindigkeitszüge. Die meist befahrene Strecke zwischen Tokio und Osaka fällt unter die Zuständigkeit des Bahnunternehmens JR Tokai. Dieses verfolgt angesichts des immer heftigeren Konkurrenzkampfes mit Billigfliegern die Ziele, schneller, komfortabler und sicherer zu werden, ohne dabei die Preise zu senken. Mit einem neuen Bremssystem sollen die rund 130 Züge zudem mit einer Höchstgeschwindigkeit von 285 km pro Stunde fahren können.
Daneben hätten die klassischen TGV-Verbindungen bislang keinen Namen gehabt, argumentiert Picard. Das soll sich nun ändern – und mit einem besseren Service einhergehen. Die „InOui“-Züge sollen neu oder modernisiert sein, ausgestattet mit WLAN. Das Zugpersonal soll für einen besseren Umgang mit den Kunden geschult werden. Bis 2020 sollen alle klassischen TGV-Verbindungen zu „InOui“ werden, die SNCF investiert 2,5 Milliarden Euro. „Man nimmt nicht mehr einfach „den TGV“, man wählt den Service, den man will“, sagt Picard. „Das ist der große Bruch, den wir wollen.“
„Ein echter Marketing-Fehler“
Ziel der SNCF ist es, die Zahl der Fahrgäste in ihren TGVs bis 2020 um 15 Millionen auf dann 120 Millionen zu steigern. Für den Konzern geht es letztlich auch darum, die Rentabilität zu sichern - trotz Kosteneinsparungen ist die Marge des TGV-Geschäfts zuletzt gesunken. Als Grund nennt Picard stark gestiegene Streckengebühren.
Professor Jean-Marc Lehu, Marken-Experte an der Universität Panthéon-Sorbonne, wählt klare Worte: Er hält den neuen Namen für einen „echten Marketing-Fehler“ – die Marke TGV sei selbst im englischsprachigen Raum bekannt. Und das Wort „inouï“ habe im Französischen noch dazu eine doppelte Bedeutung - etwas kann nämlich auch beispiellos negativ sein. Er sieht bereits die Wortspiele beim nächsten großen Streik vor sich. Die SNCF versichert dagegen, dass der Name „InOui“ bei Tests am besten angekommen sei.
Der TGV sei eine „heilige Kuh“, schrieb die Zeitung „Le Figaro“, „ein Idol, das man liebt und das man zu hassen liebt, ein Konzentrat unseres Nationalstolzes und unserer nationalen Frustrationen.“ Die SNCF kann der Debatte über den neuen Namen auch etwas Positives abgewinnen: „Sicher ist, dass ihm das Bekanntheit verschafft hat“, sagt Rachel Picard. Kurz nach Bekanntwerden der neuen Marke habe sie bereits einen Bekanntheitsgrad von 53 Prozent gehabt, „für eine Marke, für die wir null Euro für Werbung ausgegeben hatten“. Die Zeitung „Le Monde“ sprach bereits von einem Markenstart, der „gleichzeitig verpatzt und gelungen“ sei.