Die in Turbulenzen steckende zweitgrößte deutsche Fluglinie Air Berlin wechselt ihren Chef aus. Stefan Pichler habe sich entschlossen, das Unternehmen zu verlassen, nachdem er zwei Jahre lang an der strategischen Neuausrichtung gearbeitet habe, teilte Air Berlin am Sonntag mit und bestätigte damit Insider-Informationen vom Samstag.
Pichler wolle nun in seine Heimat Australien zurückkehren, erklärte Air Berlin. Reuters hatte von Insidern erfahren, Pichler müsse auf Druck des Air-Berlin-Großaktionärs Etihad gehen. Pichlers Aufgabe sei mit der Neuausrichtung der zweitgrößten deutschen Fluglinie erledigt. Der frühere Thomas-Cook -Manager Pichler hatte den Chefposten bei dem Lufthansa -Konkurrenten im Februar 2015 übernommen. Zuvor hatte er Airlines in Australien, Kuwait und den Fidschi-Inseln gemanagt.
Air Berlin steckte bereits damals in einer tiefen Krise, nachdem Gründer und Langzeit-Chef Joachim Hunold die Firma nach Anfangserfolgen im Tourismusverkehr zum Lufthansa-Rivalen aufbauen wollte. Darauf folgte ein schneller Expansionskurs mit Übernahmen etwa von DBA und LTU, die aber kaum integriert wurden. Experten zufolge befand sich die Fluglinie in zu vielen Geschäftsfeldern gleichzeitig.
Die Chronik von Air Berlin
Vor 38 Jahren hob der erste Air-Berlin-Flieger ab. Alles begann mit alliierten Sonderrechten zur Landung im geteilten Berlin. Nach der Wende wuchs Air Berlin zur Nummer Zwei am Himmel über Deutschland heran, doch dann folgte eine jahrelange Krise.
1978: Gründung als Chartergesellschaft durch den Ex-Pan-Am-Pilot Kim Lundgren. Erstflug am 28. April 1979 von Berlin-Tegel nach Mallorca. Die Flotte umfasst zwei Maschinen.
1991: Im April kauft der LTU-Manager Joachim Hunold die Mehrheit der Anteile. Es gibt kurz darauf 15 Flüge pro Tag. Air Berlin expandiert und stationiert zunehmend auch Flugzeuge auf Regionalflughäfen.
1998: Mit dem Mallorca Shuttle Einstieg ins Linienfluggeschäft.
Einstieg zu 25 Prozent bei der österreichischen Fluggesellschaft Niki des früheren Rennfahrers Niki Lauda.
Börsengang und Kauf der Fluggesellschaft dba.
Kauf des Ferienfliegers LTU, damit auch Interkontinentalflüge.
Air Berlin rutscht in die roten Zahlen, legt das erste Sparprogramm auf: Strecken fallen weg, Flugzeuge werden ausgemustert. Die Übernahme des Ferienfliegers Condor scheitert.
Air Berlin kündigt für 2012 den Eintritt in das Luftfahrtbündnis Oneworld an.
Hunold wirft das Handtuch, Hartmut Mehdorn übernimmt. Ein weiteres Sparprogramm soll das operative Ergebnis um 200 Millionen Euro verbessern. 18 der 170 Maschinen werden verkauft.
Die arabische Staatsairline Etihad erhöht ihren Anteil von knapp 3 auf 29,2 Prozent und stützt die Airline mit einem 255-Millionen-Dollar-Kredit. Ein neues Sparprogramm beginnt. Der Verkauf des Vielfliegerprogramms an Großaktionär Etihad bringt nur vorübergehend wieder schwarze Zahlen.
Wolfgang Prock-Schauer wird Vorstandschef und verschärft das von Mehdorn im Vorjahr aufgelegte neue Sparprogramm. Jeder zehnte Arbeitsplatz fällt weg, die Flotte schrumpft auf 142 Maschinen.
Im Februar löst Stefan Pichler den glücklosen Prock-Schauer ab. Air Berlin macht 447 Millionen Euro Verlust - so viel wie nie.
Nach einem juristischen Tauziehen kann Air Berlin den größten Teil der wichtigen Gemeinschaftsflüge mit Etihad weiter anbieten. Die Zahlen bessern sich nicht. Gespräche mit Lufthansa über einen Verkauf von Geschäftsteilen beginnen. Mit einem tiefgreifenden Umbau und der Streichung von bis zu 1200 Arbeitsplätzen will Air Berlin seine Krise überwinden.
Air Berlin bekommt einen neuen Chef. Der Lufthansa-Manager und früheren Germanwings-Chef Thomas Winkelmann wird Vorstandschef. Air Berlin führt ihren Flugbetrieb in zwei getrennten Geschäftsfeldern weiter: Langstreckenflüge und Städteverbindungen in Europa werden zusammengefasst, Urlaubsflüge unter der Marke Niki geführt. Lufthansa erklärt sich bereit, Air Berlin zu übernehmen, wenn der Großaktionär Etihad zuvor die Schulden übernähme.
Air Berlin meldet Insolvenz an. Zuvor hatte Etihad seine finanzielle Unterstützung eingestellt. Ein 150-Millionen-Euro-Kredit des Bundes soll den Flugbetrieb zunächst sichern.
Fast 40 Jahre nach dem Start der ersten Air-Berlin-Maschine in Berlin-Tegel landet am 27. Oktober 2017 um 23.45 Uhr der letzte Air-Berlin-Flieger dort. Die Zukunft der Angestellten und vieler Unternehmensteile ist zu diesem Zeitpunkt noch ungewiss.
Pichler wollte die Gesellschaft kurz nach seinem Amtsantritt wieder auf das Touristikgeschäft konzentrieren. Aktionär Etihad, der knapp 30 Prozent der Anteile hält und der Fluglinie mit Finanzspritzen von weit mehr als einer Milliarde Euro unter die Arme griff, stoppte den Vorstoß jedoch. Seitdem gilt das Verhältnis als zerrüttet. Die "Bild am Sonntag" hatte zuerst über den Rückzug Pichlers berichtet.
Air Berlin verbuchte in den ersten neun Monaten einen Verlust von 317 Millionen Euro. Nur dank des Verkaufs der Hälfte der Tochter Niki an Etihad kommt Air Berlin über den umsatzschwachen Winter. Um eine Trendwende zu erreichen, geben die Berliner einen Großteil der Strecken zu touristischen Zielen an die Lufthansa und ein neues Gemeinschaftsunternehmen mit dem Ferienflieger Tuifly ab. Gleichzeitig werden 1200 der 8600 Arbeitsplätze abgebaut.