Touristen und der Brexit „Die Engländer sind erste Sahne – sie essen, trinken, haben Spaß“

Nach dem Brexit-Referendum geht in Europas Touristenhochburgen die Angst um. Bleiben die Briten, immerhin Vize-Europameister im Reisen, aufgrund des schwachen Pfunds zu Hause? Ortsbesuche in Irland, Spanien und Portugal.

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Bleiben die Gäste weg, wenn sich der Kursrutsch des Pfund fortsetzt? Quelle: dpa

Jetzt hilft nur noch Beten, ist sich der irische Restaurantbesitzer Padraic Og Gallagher sicher. Für die Aussicht auf den Brexit hat er nur ein Wort: „Katastrophe“.

Etwa 40 Prozent der Gäste in seinem Boxty House im Dubliner Touristenviertel Temple Bar kommen aus Großbritannien. Jetzt bereitet ihm der Kurssturz des Pfund große Sorgen. „Zum ersten Mal seit sieben Jahren hat mein Geschäft wieder zugelegt. Und jetzt denke ich mir: Oh Gott, muss ich da schon wieder durch?“, sagt der 55-Jährige, der in der Gegend seit 1989 Boxty auftischt, ein traditionelles irisches Kartoffelgericht. „Die Engländer sind erste Sahne – sie essen, sie trinken, sie haben Spaß.“

Die Brexit-Sorgen gehen nicht nur in Temple Bar um, wo sich Touristen zwischen Pubs und Restaurants drängen. Die gesamte europäische Tourismusbranche zittert vor den Auswirkungen eines britischen Ausstiegs aus der Europäischen Union. Die Briten sind Vize-Europameister im Reisen – nach den Deutschen. Jedes Jahr geben sie dafür etwa 39 Milliarden Pfund aus, rund 47 Milliarden Euro. Zu ihren fünf beliebtesten Zielen zählen Spanien, Frankreich und Irland.

Die Vorstellung, dass weniger Briten auf Reisen gehen könnten, lastet bereits auf den Aktien von Airlines und Hotelbetreibern. Die Papiere des Touristikkonzerns Thomas Cook fielen seit der Abstimmung um rund 15 Prozent. Billigflieger Easyjet warnte am Montag vor einem Gewinnrückgang im Sommer und erlebte daraufhin den heftigsten Kursrutsch seit zwölf Jahren. Und der Eigentümer von British Airways, der Luftfahrtkonzern IAG, senkte bereits das Gewinnziel, bevor das Ergebnis der britischen Abstimmung überhaupt bekannt war.

Das Pfund hat im Laufe der Woche einen Teil seiner Verluste wettgemacht. Doch gegenüber dem Euro ist es immer noch mehr als sieben Prozent schwächer als vor der Abstimmung am 23. Juni. Am Montag war das Pfund auf 83,80 Pence zum Euro gesunken; im Tagesverlauf notierte es gegenüber dem Dollar auf dem schwächsten Niveau seit 1985.

Im Vorfeld des Brexit-Referendums galt das Pfund als Stimmungsbarometer. Unmittelbar nach der Entscheidung spiegelte der rekordträchtige Absturz die weltweite Verunsicherung der Märkte wider. Post Office Travel Money, der größte Betreiber von Wechselstuben im Land, sagte, die Umsätze seien am Montag 15 Prozent niedriger gewesen als im Vorjahr.

In der EU macht die Tourismusbranche fünf Prozent der Wirtschaftsleistung aus. In vielen Ländern stellt man sich nun darauf ein, weniger britische Urlauber zu empfangen. „Sie kommen seit den 60er-Jahren hierher; sie geben am meisten aus und besitzen hier Sommerhäuser“, sagt Josep Francesc Valls, Dozent an der spanischen Esade Business School. Spanien ist das liebste Reiseziel der Briten. „Ich erwarte einen Rückgang der Urlauberzahlen um bis zu fünf Prozent allein in Spanien“, sagt Valls.


Die Briten schauen auf den Penny

Der Engländer Steve Hook, der im andalusischen Badeort Benalmadena eine Bar betreibt, verfolgt den Absturz des Pfund mit nervösem Blick. „Die meisten unserer Gäste sind Briten. Ein schwächeres Pfund ist da keine gute Nachricht“, sagt er. „Es ist zwar noch sehr früh. Aber es gibt die Sorge, dass diejenigen, die ihren Urlaub noch nicht gebucht haben, es sich jetzt anders überlegen. Ich würde das auf jeden Fall machen.“

Auch das Nachbarland Frankreich ist besorgt. Die Briten sind die zweitgrößte Besuchergruppe in der Hauptstadt Paris, und die größte im örtlichen Disneyland. Er hoffe zwar, dass man die Briten weiter locken könne, sagt Thomas Deschamps, Chef der ökonomischen Analyse beim Pariser Tourismusbüro. Kurzfristig sei der Absturz des Pfunds aber negativ. „Sie übernachten gerne in schönen Vier- oder Fünf-Sterne-Hotels und essen in schicken Restaurants. Wir rechnen nicht mit einem überragenden Sommer hier in Paris.“

Dabei hatten die Briten gerade erst für einen Boom in Ländern wie Griechenland gesorgt. Dort macht der Tourismus etwa 19 Prozent der Wirtschaft aus. Der Kursrutsch des Pfund dürfte sowohl die Zahl der ankommenden Urlauber als auch deren Ausgaben zurückgehen lassen, erklärte der griechische Fremdenverkehrsverband am Montag. Im vergangenen Jahr war der Umsatz mit britischen Urlaubern noch um über 30 Prozent gestiegen, die Zahl der Ankünfte legte um fast 15 Prozent zu.

In Portugal „herrscht Sorge, dass Dienstleistungen und Produkte für den britischen Markt teurer werden”, erklärte die Hotelgruppe Pestana, die Hotels, Golfplätze und Casinos in dem Land betreibt. „Das kann tatsächlich, in unserem speziellen Fall, dem Zustrom britischer Touristen nach Portugal schaden.”

Bisher gibt es allerdings noch keine Anzeichen für Massenstornierungen. Und nicht jeder macht sich Sorgen. „Die Briten lieben ihren Portwein zu sehr, als dass sie diesen Genuss aufgeben“, sagte Francisco Franco Afonso, der Gründer von VenhaVino.com. Sein Unternehmen aus Lissabon veranstaltet Wein-Touren. „Das Vereinigte Königreich ist weiterhin unser Top-Markt. Das wird das beste Jahr für die portugiesische Tourismusbranche.“

In Dublin sieht das Padraic Og Gallagher kritischer. Britische Reisende seien sehr sensibel, was Wechselkursschwankungen angehe. Er hat Angst um sein Unternehmen, dass er nach der irischen Finanzkrise wieder aufgebaut hat. „Von 2009 bis 2014 sind die Engländer wegen der Wechselkurse nicht gekommen. Seit zwei Jahren kommen sie wieder – die Briten sind zurück“, sagt er an der Bar seines Restaurants. „Sie schauen auf den Penny, sie kennen ihr Pfund.“

Die Auswirkungen der Brexit-Abstimmungen dürften sich wohl erst im Herbst zeigen, wenn die Briten von den Reisen zurückkehren, die sie vor dem Referendum gebucht haben. Daher drängt Gallagher auf einen schnellen Austritt aus der EU, um die Unsicherheit rund um das Thema zu beenden. „Oder sie sollen einfach noch ein Referendum abhalten“, sagt er, „und diesmal richtig abstimmen.“

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