Tresorchirurgie Der König der kleinen Schlösser

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Meister Jelonnek wohnt und arbeitet in Köln-Ehrenfeld, in einem grünen Innenhof voller rostiger Schmiedekunst. Man würde sich nicht wundern, schickte eine hippe Interieur-Zeitschrift einen Fotografen vorbei. Schon in der Zufahrt, hinter dem schweren Tor, baumelt ein mächtiger Metallleuchter von der Decke. Dann öffnet sich der Hof zur verschachtelten Schlosserei samt proppenvoller Lagerhalle und kleinem Tresormuseum. Über der Werkstatt liegt das Zuhause der Familie. Während einer Freistunde steckt Tochter Hanna (16) schnell mal den Kopf bei Papa in die Werkstatt, kurz Hallo sagen. Leben und Arbeiten sind im Ehrenfelder Innenhof eins.

Jelonnek demonstriert an einem übergroßen Stiftschloss, wie kompliziert es ist, bis alle Stiftsäulen soweit durch den Schlüssel in das Gehäuse gedrückt werden, dass es sich öffnet.  Quelle: Anke Henrich für WirtschaftsWoche

Jelonnek, von kräftiger Statur, lehnt sich in dem kleinen Raum neben seiner Werkstatt an einen mächtigen, mannhohen Tresor an, wie andere Männer an einen Tresen. Über die Jahre hat er sich ein kleines Museum zusammengesucht. Dort steht er gerade umzingelt von 250 Jahre alten Tresoren, manche 500 Kilogramm und mehr schwer.

Ein holländischer Brandkasten von 1850 ist auch dabei. Von außen ein schön verziertes Exemplar. Das Besondere an ihm sind die inneren Werte. Früher setzten Ofenbauer, die nach dem Winter viel Zeit hatten, im Sommer solche Kästen als Innenleben eines Tresors zusammen. Ihre Expertise war begehrt, denn unter den reetgedeckten Dächern ihrer Häuser fürchteten sich die Bauern berechtigterweise vor einem Feuersturm, der all ihr Geld und ihre Dokumente vernichten könnte. So brannte in Holland manches Haus ab, aus dessen glimmender Asche anschließend doch der unversehrte Brandkasten ragte.

Aber auch alte Schlüsselbünde hängen im kleinen Museum noch an der schmalsten Wand und unüberschaubar viele Mini-Schlösser füllen akribisch aufgereiht die Glasvitrinen. Den Gegenwert eines Autos steckte er vor einigen Jahren allein in den Aufkauf einer fremden Sammlung.

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Aber ein bisschen jeck muss der Kölner wohl sein – jedenfalls schwärmen nicht viele Menschen so hingebungsvoll von Sperrfederschlössern, Buntabart-, Chubb-, Scheiben-, Stift- oder Doppelbartschlössern. Nicht zu vergessen elektromechanische Schlösser mit Knock-Code-Technologie oder dem digitalen Schließzylinder.

Jelonnek arbeitete sich gründlich an der nötigen Ausbildung zum Metallbauer und den Gesellenjahren im elterlichen Betrieb ab. 1994 legt er vor der Handwerkskammer Köln seine Meisterprüfung ab. Selbstverständlich hat sein Meisterstück, konzipiert als ein großes, kompliziertes und sehr kunstvoll geschmiedetes Renaissance-Schloss aus dem 16. Jahrhundert, einen Ehrenplatz im kleinen Museum – unter Glas, die Dokumentationsmappe liegt davor. Es ist ein Kapellenschloss, was aber nichts mit einer Kapelle zu tun hat, wie die Besucherin lernt. 186 Stunden Feinarbeit hat es ihn gekostet. Man muss sich Jelonnek als einen glücklichen und geduldigen Mensch vorstellen. Eine klare Haltung hat er auch: „Kaltschmiede kommen in die Hölle!“ So drohten Schmiede und Schlosser schon im Mittelalter den Drückebergern ihrer Branche, die die mühsamere Arbeit mit dem heißen Eisen scheuten. Bei Jelonnek würden sie dort noch immer schmoren.

Der Vater hatte es sich wohl anders erhofft, aber der Sohn wollte die Nachfolge im elterlichen Metallbaubetrieb nicht antreten. „Das war damals alles nicht ganz einfach“, macht es der Handwerker bei diesem Thema kurz. Der Alte will’s so, der Junge will’s anders. Ab 2005 baut sich Jelonnek Junior, damals 35 Jahre alt, seine eigene Werkstatt auf. Über die Jahre erarbeitet er sich einen Ruf als Experte für schwierige Fälle. Erst im Rheinland, dann bundesweit, inzwischen bis ins Ausland. Ein Schweizer Museum schickte jüngst nach ihm, ein Exponat ließ sich nicht öffnen.

Jelonnek packte inzwischen auch sportlich der Ehrgeiz. Jedes Jahr messen sich die besten Tüftler auf der „Lock Con“ – einer Art Europameisterschaft für Schlossfreaks. Im September 2016 belegte Jellonek in einer Kategorie den 1. Platz. „Mein ärgster Konkurrent, ein Spanier war auch gut, aber ich war schneller“, freut er sich immer noch.


Aber die Kollegen arbeiten auch zusammen. „In Deutschland sind wir zu sechst und wenn ein schwieriger Auftrag ansteht, hole ich mir auch mal im Netzwerk einen Tipp.“ Scheint zu klappen. „Bisher habe ich noch jeden Tresor aufbekommen“, sagt er nach einigem Nachdenken. Aber er gibt zu: „Bei manchem hatte ich vorher eine schlaflose Nacht, weil es so schwierig war“. Dann baut er sich ein mutmaßlich baugleiches Schloss, um daran erst mal so lange zu probieren, bis es sich endlich öffnen lässt. Komplizierte Fälle brauchen so auch mal einen Vorlauf von zwei bis drei Wochen. Das wird teuer.

Deshalb seien Jelonneks Worte allen Tresorbesitzern, ob sie ein Schließfach in der Bank oder ein einbetoniertes Monstrum im eigenen Keller haben, eine Warnung: „Der Originalschlüssel ist das Höchste, was zählt!“ Soll heißen: Aufpassen wie ein Luchs.

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