Uber, Allygator und Co. Geschäftsmodell Gesetzesbruch

Billig-Fahrdienste ecken in Deutschland juristisch immer wieder an. Ein Problem für die gesetzestreuen Deutschen? Ganz im Gegenteil – zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Universität Hohenheim.

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Gerade im Mobilitätssektor drängen neue Dienstleister mit rechtlich umstrittenen Methoden auf den Markt. Quelle: Reuters

Düsseldorf Seit jeher haben verbotene Dinge eine gewisse Anziehung auf Menschen. Ein heimlicher Griff in die Keksdose, ein Blick in die Prüfung des Nachbarn oder – wenn selbst das nicht geholfen hat – eine gefälschte Unterschrift der Eltern unter der verbockten Prüfung– der Reiz des Verbotenen ist selbst gesetzestreuen Menschen nicht fremd. Doch wer mit rechtlich nicht astreinen Angeboten Geld verdienen will, hat bei den allgemein sehr gesetzestreuen Deutschen einen schweren Stand, oder?

Im Gegenteil, sagen Forscher der Universität Hohenheim. Viel mehr mache anarchisches Verhalten neue Unternehmen auf dem Markt, beispielsweise Billig-Fahrdienste, erst so richtig attraktiv. Ein Student hatte im Rahmen seiner Masterarbeit ein Online-Experiment durchgeführt. Er legte insgesamt 650 Probanden, von denen 334 die Befragung abschlossen, ein fiktives Szenario vor: Das Unternehmen „Driver4U“ vermittelt via Smartphone Fahrgäste an Privatpersonen, die sich als Chauffeure anbieten – zu weit günstigeren Preisen als die üblichen Taxi-Tarife. Etablierte Taxi-Unternehmen reichen daraufhin Klage gegen Driver4U ein, ein Gericht verbietet den Dienst kurz darauf.

Für den weiteren Verlauf des Experiments teilte der Student seine Teilnehmer in verschiedene Gruppen auf. Einer Gruppe erzählte der Autor, dass sich das Unternehmen reumütig und kündigte an, künftig die ortsüblichen Taxitarife zu verlangen. Die andere Teilnehmergruppe bekam die Information, dass trotz oder gerade wegen des Urteils die Neuanmeldungen in die Höhe geschnellt wären und die Fahrer trotz des Verbots weiter auf den Straßen blieben.

Auch zu den Gründen für das Urteil erhielten die Probanden unterschiedliche Aussagen. Die eine Variante besagte, dass das Verbot mit einer historischen Reichsverordnung von 1941 begründet worden wäre, die unter anderem die maximale Wochenarbeitszeit von Chauffeuren begrenze. Diese Argumentation missachtete Driver4U. Annahme zwei war dagegen, dass das Urteil auf einem Gesetz fußte, das Geringverdienern wie Taxifahrern eine Existenzgrundlage schaffen soll. Dazu zählt die Zusicherung eines gesetzlichen Mindestlohns. In diesem Fall folgte Driver4U dem Gerichtsbeschluss.

Daraufhin erhielten alle Studienteilnehmer einen Fragebogen. Die Auswertung brachte beachtliche Ergebnisse: Im Fall des anarchischen Unternehmensverhaltens waren die Probanden eher bereit, das Angebot zu nutzen als im Fall des rechtskonformen Verhaltens. „Dieser Effekt wird noch verstärkt, wenn die übertretene Rechtsvorschrift als illegitim anzusehen ist“, so Professorin Marion Büttgen, die die Abschlussarbeit betreute.


„Anarchisch agierende Unternehmen gelten als rebellisch“

Auch bei der juristischen Einschätzung zeichnete sich derselbe Trend ab: Bei der Kombination von Varianten, bei der das Urteil auf der historischen Reichsverordnung beruht und Driver4U es einfach ignoriert, empfinden die Befragten das Leistungsangebot des Unternehmens als nützlicher und würden es eher weiterempfehlen. Ein reumütiges Unternehmen, das ein Herz für Geringverdiener hat, sehen die Probanden dagegen als weniger nützlich an und würden es auch kaum weiterempfehlen.

Wie realitätsnah das Szenario ist, zeigt die aktuelle Debatte um den Berliner Fahrdienst „Allygator Shuttle“. Er lockt Interessenten damit, sich für zehn Cent pro Kilometer durch Berlin kutschieren zu lassen. Für ein gewöhnliches Taxi zahlt der Kunde pro Kilometer dagegen bis zu zwei Euro, steht das Auto dann auch noch im Stau, kostet das zusätzlich. Bei Allygator Shuttle bekommt der Chauffeur vom Mitfahrer dagegen immer nur die zehn Cent pro Kilometer, egal wie lange er dafür braucht. Alles kein Problem und rechtlich sauber, sagt das Unternehmen, das zum Start-up Door2Door gehört.

Es gibt Juristen, die das anders sehen. Sie halten das Dumping-Angebot der Berliner für rechtswidrig. „Der Dienst ist definitiv genehmigungspflichtig“, sagt etwa Holger Zuck, Experte für Verkehrsrecht. Tatsächlich kutschiert Allygator Shuttle seine Kunden bislang ohne Genehmigung vom Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten (LABO) durch Berlin. Das sei auch gar nicht nötig, solange das Unternehmen keinen Gewinn einfahre, so die Ansicht von Allygator Shuttle.

Das Unternehmen stellt eine einfache Rechnung auf: Maximal drei Fahrgäste transportiert ein Shuttle gleichzeitig, die Einnahmen liegen pro Auto also bei höchstens 30 Cent pro Kilometer. Die Betriebskosten lägen für die gleiche Strecke aber bei 35 Cent, ein Gewinn werde also nicht erwirtschaftet. Auch hier hakt Jurist Zuck ein. Allygator Shuttle berufe sich auf Freistellungsverordnungen, die in diesem Fall nicht gelten könnten. „Schon ab zwei Fahrgästen muss ein solches Angebot genehmigt werden.“ Die Kunden stört das bislang nicht.

Der kalkulierte Gesetzesbruch scheint für das Start-up vielmehr ein Geschäftsmodell zu sein. Vorgemacht hat es der US-Riese Uber. Wie auch die Studie der Hohenheimer Forscher besagt, kann das „Prinzip Uber“, mit juristisch zwar wackligen Methoden, zugleich aber absoluten Kampfpreisen auf den Markt zu drängen, eine gute Strategie sein, um das eigene Angebot interessanter zu machen.

„Anarchisch agierende Unternehmen gelten als rebellisch und können von diesem Coolness-Faktor bei ihren potenziellen Kunden profitieren“, schlussfolgert Professorin Büttgen. Eines zeigt sich am Beispiel von Uber allerdings auch: Alle Coolness bringt nichts, wenn sich die Justiz querstellt. Das musste auch der Vorreiter aus den USA feststellen und seinen Dienst Uber Pop nach mehreren Niederlagen vor verschiedenen Gerichten hierzulande wieder einstellen.

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