Im Bordmagazin seiner Airline hatte Witalij Saweljew in den vergangenen Jahren fast jeden Monat Erstaunliches zu verkünden. Mal rühmte sich der Vorstandschef, seine Aeroflot sei im Ranking von „Skytrax“ zur besten Airline Osteuropas gewählt worden. Mal schaffte sie es in die Top-Fünf der pünktlichsten Linien des Kontinents, mal gewann sie fürs Essen in der Business-Class einen Preis. Letztes Jahr ließ sich stolz vermelden, dass die letzten Flieger aus Sowjetproduktion ausgemustert sind. Mit 161 Maschinen fliegt die Gruppe heute eine der jüngsten Flotten Europas.
Aeroflot. War das nicht die Airline der Sowjetunion? Die mit den stinkenden Tupolew-Kisten, in denen man den ausgeleierten Vordersitz mit den Kniescheiben abstützen muss? Ja, klar. Doch die Fluggesellschaft war zuletzt besser als ihr Ruf – und das, obwohl sie auch heute noch zu 51 Prozent im Besitz des russischen Staates steht. Jetzt aber könnte ihr genau dies doch noch zum Verhängnis werden.
Wie die russische Wirtschaftszeitung „Wedomosti“ berichtet, soll Aeroflot in Kürze den privaten Wettbewerber Transaero übernehmen. Womöglich muss Konzernchef Saweljew bloß einen Rubel für einen 75-Prozent-Anteil an der drittgrößten Gesellschaft am russischen Markt zahlen. Denn der Ferienflieger sitzt auf einem Schuldenberg von 65 Milliarden Rubel (866 Millionen Euro). In 2014 stagnierte der Nachsteuer-Gewinn bei zehn Millionen Euro, dieses Jahr steuert das Unternehmen in die roten Zahlen. Transaero ist vor der Insolvenz nicht zu retten. Eigentlich.
Fünf Folgen der Wirtschaftskrise in Russland
Das von den Einnahmen aus dem Geschäft mit Öl und Gas abhängige Russland steckt in einer Rezession. Wirtschaftsminister Alexej Uljukajew erwartet einen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um drei Prozent. Im Staatshaushalt klafft eine Finanzlücke.
Wegen des starken Ölpreisverfalls ist der Rubelkurs im vergangenen Jahr im Vergleich zum Dollar und Euro massiv eingebrochen. Den Höhepunkt erreichte der Wertverfall Mitte Dezember, als ein Euro vorübergehend fast 100 Rubel kostete - das entspricht einem Absturz von 90 Prozentpunkten seit Januar 2014. In den vergangenen Wochen erholte sich der Rubel ein wenig. Anfang März mussten Russen für einen Euro noch rund 66 Rubel bezahlen, fast doppelt so viel wie ein Jahr zuvor.
Um den schwächelnden Rubel zu stützen, verkauft die russische Zentralbank im großen Stil Devisen, die die Rohstoffmacht mit dem Verkauf von Öl und Gas angespart hat. Die internationalen Währungsreserven schrumpften nach Angaben der Notenbank seit März 2014 um mehr als ein Viertel von fast 500 Milliarden Dollar (etwa 460 Mrd Euro) auf 360 Milliarden Dollar.
Das Leben in Russland wird rasant teurer. Das merken die Menschen vor allem an der Miete und an der Kasse im Supermarkt. Das Wirtschaftsministerium erwartet für dieses Jahr eine Inflation von rund 12 Prozent. Die Preise für Lebensmittel stiegen in den vergangenen Monaten aber im Durchschnitt sogar um rund 20 Prozent. Experten warnen wegen der Krise in Russland vor einer deutlich höheren Inflation. Manche gehen von bis zu 17 Prozent aus.
Der massive Abzug von Kapital aus Russland ist nach Meinung von Ex-Finanzminister Alexej Kudrin ein schwerer Schlag für die heimische Wirtschaft. 2014 wurden nach Angaben der Zentralbank Vermögenswerte im Wert von mehr als 150 Milliarden Dollar (140 Mrd Euro) aus Russland verlegt, fast zweieinhalb Mal so viel wie im Vorjahr. Für 2015 erwarten die Behörden eine Kapitalflucht von bis zu 100 Milliarden Dollar. Wegen der Senkung der Kreditwürdigkeit Russlands durch internationale Ratingagenturen warnen Experten sogar vor Kapitalflucht von bis zu 135 Milliarden Dollar.
Aber in Russland unter Präsident Wladimir Putin herrschen andere Gesetze. Gerade in Krisenzeiten wie diesen, da die Arbeitslosigkeit wächst und die Reallöhne dieses Jahr wohl um neun Prozent sinken werden, darf Transaero mit seinen 10.000 Beschäftigten nicht pleite gehen. Kenner des russischen Luftfahrt können sich schwer vorstellen, dass Aeroflot-Chef Saweljew bei der Übernahme die Initiative ergriff. Der gilt als klar marktwirtschaftlich orientierter Manager und Freund des freien Wettbewerbs. Noch vor ein paar Monaten hatte er auf der Hauptversammlung über staatliche Kredithilfen geschimpft, mit denen Transaero stabilisiert werden sollte. Das sei Wettbewerbsverzerrung, zeterte er.
Der Ballast in der Bilanz
Bald dürfte der marode Flieger erst Recht zum Problem für den Aeroflot-Chef werden. Die Flotte mit über 100 Maschinen ist weitaus älter als seine, dazu deutlich schlechter ausgelastet. Transaero hat etliche neue Flieger bestellt, die Aeroflot allesamt nicht braucht, deren Kaufverträge aber schwer zu lösen sein werden. Einen schwierigen Sanierungsfall holt sich Saweljew da ins Haus.
Die Sanktionen der EU und USA gegen Russland
Die EU erschwert den Zugang zu den EU-Finanzmärkten für russische Banken. Gilt für alle Banken mit einem staatlichen Anteil von mindestens 50 Prozent. Sie können auf den EU-Kapitalmärkten keine neuen Wertpapiere oder Aktien von russischen Unternehmen mehr verkaufen.
In den USA fallen drei weitere Banken im russischen Staatsbesitz unter die Strafmaßnahmen, damit sind es nun fünf von sechs: Die Bank von Moskau, die Russische Landwirtschaftsbank und die VTB Bank kamen hinzu. Ihnen wird der Zugang zu mittel- und langfristiger Dollarfinanzierung für Russland erschwert. Sie dürfen aber weiter in den USA operieren.
Die EU verbietet künftige Rüstungslieferungen. Betroffen sind alle Güter, die auf einer entsprechenden Liste der EU stehen. Gilt nicht für bereits unterzeichnete Verträge, also auch nicht für die Lieferung von zwei französischen Hubschrauberträgern im Wert von 1,2 Milliarden Euro an Russland.
In den USA wurde die United Shipbuilding Corporation (größtes russisches Schiffsbau-Unternehmen) zu den bislang acht auf der Sanktionsliste stehenden Firmen im Verteidigungssektor ergänzt. Die Unternehmen dürfen nicht mehr das US-Finanzsystem nutzen oder mit amerikanischen Bürgern Geschäfte machen.
Die EU verbietet den Export von bestimmten Hochtechnologiegütern an das Militär. Gilt beispielsweise für Verschlüsselungssysteme sowie für Hochleistungscomputer.
Die EU untersagt die Ausfuhr für Spezialtechnik zur Ölförderung. Zielt auf Geräte, die für Ölbohrung und -förderung beispielsweise in der Arktis gebraucht werden.
Auch in den USA gelten für Unternehmen aus der Ölbranche eingeschränkte Importmöglichkeiten für Technik zur Erschließung von Ölquellen in tiefen Gewässern, vor der arktischen Küste oder in Schiefergestein. Die aktuelle Energieproduktion werde damit aber nicht beeinträchtigt.
Zumal der Marktführer immer noch schwer an früheren Übernahmen trägt: Gesellschaften wie „Rossija“ oder „Atlant-Sojus“, zu deren Aufkauf er während der Finanzkrise genötigt worden war. Saweljew war damals so weise, die unliebsamen Töchter als separate Marken weiterfliegen zu lassen. So vermiesen sie im besten Falle nur die Bilanz der Gruppe, nicht das Ergebnis oder gar das Image der Kernmarke. So wird er sicher auch mit Transaero verfahren.
Putin vertraut auf seine starken Konzerne, zu denen neben Gazprom eben auch Aeroflot zählt. So gesehen könnte es Saweljew als Auszeichnung verstehen, mal wieder ein Stück russische Luftfahrt retten zu dürfen. Doch so patriotisch ist der Mann nicht. Und diesmal sind die Vorzeichen deutlich ungünstiger, denn Aeroflot steckt selbst in der Krise: Der Absturz des Rubel hat die Kosten im ersten Halbjahr um ein Viertel steigen lassen, da die Flugzeuge in Dollar abbezahlt werden und auch Wartungsverträge in Fremdwährungen laufen. So verbuchte Aeroflot trotz eines Umsatzplus von 26 Prozent in diesem Zeitraum einen Nettoverlust von knapp 50 Millionen Euro. Dabei bricht die Wirtschaftskrise in Russland erst jetzt langsam aus, mit sinkendem Passagieraufkommen ist zu rechnen.
Nicht einmal günstigere Kerosinpreise werden helfen, die Staatslinie auf Gewinnkurs zu halten – und die vielen Preise der vergangenen Jahre auch nicht. So sehr sich Witalij Saweljew auch Mühe gibt, mit dem Staat an Bord kann er seine Aeroflot schwer zur Wettbewerbsfähigkeit trimmen. Der Ballast in der Bilanz drückt einfach aufs Ergebnis. Bedanken kann er sich bei Wladimir Putin.