Unesco Wie das Welterbe den Tourismus durcheinander rüttelt

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Begrenztes Angebot, unbegrenzte Nachfrage

In Kassel ist augenscheinlich, was der Ökonom berechnet. Die Wasserspiele sind zum Welterbe ernannt worden, weil sie noch genauso funktionieren, wie sie im 18. Jahrhundert erschaffen wurden. Oben im Park gibt es einen Speichersee, in dem sich über den Winter und Frühling Wasser sammelt.

Das wird verwendet, um per Hand das Schauspiel von Wasserfällen, Kaskaden und Fontänen zu speisen. Die Anzahl der Spektakel ist also begrenzt. „Insgesamt stehen 56 Ladungen zur Verfügung“, sagt Angelika Hüppe, Marketingchefin der Stadt. So findet das Schauspiel nur mittwochs, sonntags und an Feiertagen statt. Entsprechend konzentriert treffen auch die Besucher in Kassel ein.

Die Zahl der Gruppenführungen durch den Park hat sich in den vergangenen Jahren fast verdreifacht. Die Zahl der Übernachtungen in der Stadt ist – lokale Sondereffekte außer Acht gelassen – um gut ein Viertel gestiegen. Auch aus anderen Städten gibt es solche Zahlen. Die Zeche Zollverein in Essen besuchten rund 5000 Menschen im Jahr, bevor sie Welterbe wurde, heute kommen rund 1,5 Millionen Besucher.

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Doch es sind nicht allein diese Besucher, um derentwillen sich Landesfürsten und Stadtväter um den Titel so bemühen. Wer in Deutschland dieses Siegel trägt, wird von der Bundesregierung protegiert. Nationale touristische Werbekampagnen fokussieren sich auf die Welterbestätten. Und bei der Städtebauförderung werden sie bevorzugt. Als der Bund nach der Finanzkrise sein Konjunkturpaket auflegte, gab es für die Welterbestätten einen separaten Titel. 220 Millionen Euro wurden auf die 39 deutschen Sehenswürdigkeiten verteilt. So wertvoll wie der Titel inzwischen ist, so umkämpft ist er auch.

In den Hügeln an der Saale müssten sie reichlich verzagt sein. Denn objektiv betrachtet, sollten die Chancen schlecht stehen, zum Welterbe ernannt zu werden. Der Unesco-Entscheidung vorgeschaltet ist die Prüfung durch den Internationalen Rat für Denkmalpflege (Icomos). Im Frühjahr haben die Gutachter ihre Analyse zu den Denkmälern rund um Naumburg vorgelegt. Fazit: durchgefallen. Landrat Ulrich aber sagt: „Wir glauben fest daran, dass wir eine überzeugende Bewerbung vorgelegt haben, und das wollen wir der Unesco auch beweisen.“

Die zehn schönsten Berge der Welt
Kilimandscharo, TansaniaMit 5895 Metern Höhe ist der Kilimandscharo das höchste Bergmassiv Afrikas. Das Gebirge beeindruckt vor allem durch seine gewaltige Statur inmitten von Frostschuttwüsten, Schneefeldern und dichter Vegetation. Die Landschaft rund um den Berg wurde 1987 zum Unesco-Weltkulturerbe erklärt. Quelle: AP
Mont Blanc, Frankreich / ItalienDer „weiße Berg“ ist mit 4810 Metern der höchste Berg der Alpen. Der Grenzverlauf des Mont Blanc ist seit langem umstritten, sowohl Frankreich als auch Italien haben Anteil an dem Berg. Der Mont Blanc besteht aus Granit und beeindruckt mit seinen zwei völlig unterschiedlichen Ansichten: Die Nordseite ist eher rundlich und vergletschert, während der südliche Teil des Berges wie ein felsiger Klotz wirkt. Quelle: AP
Ayers Rock, AustralienDer Uluru, wie der Berg auch von den einheimischen Aborigines bezeichnet wird, befindet sich inmitten der zentralaustralischen Wüste und begeistert seine Besucher mit seinen verschiedenen Farbtönen: Je nach Sonneneinfall, Tageszeit und Bewölkungsgrad leuchtet der Berg mal braungrau, mal orange, mal rot. Der Ayers Rock ist etwa 350 Meter hoch und gilt bei den Aborigines als heilig. Quelle: Blumenbüro Holland/dpa/gms
Fox-Gletscher, NeuseelandDer Talgletscher, der im Westland-Nationalpark der neuseeländischen Südinsel liegt, erstreckt sich auf einer Fläche von knapp 35 Quadratkilometern. Bis zum Jahr 2007 dehnte sich der Gletscher weitestgehend aus, doch seit 2009 schmilzt er wieder. Quelle: Gemeinfrei
Zuckerhut, BrasilienDer knapp 400 Meter hohe „Pão de Açúcar“ gilt neben der Christusstatue auf dem Berg Corcovado (vorne im Bild) als das Wahrzeichen Rio des Janeiros. Seinen Namen trägt der Felsen aufgrund seiner außergewöhnlichen Form, die an einen Zuckerhut erinnert. Touristen können mit einer Seilbahn auf die Spitze des Berges hinauffahren, um von dort das spektakuläre Stadtbild zu genießen. Quelle: AP
Merapi, IndonesienDer Schichtvulkan auf der indonesischen Insel Java gilt als einer der schönsten, aber auch gefährlichsten Vulkane der Erde. Der Merapi ist fast dauerhaft aktiv – kleinere Eruptionen finden alle zwei bis drei Jahre statt, größere Ausbrüche kommen etwa zehn bis 15 Jahre vor. Am 5. Oktober 2010 brach der Vulkan erneut aus und schleuderte vier Kilometer Asche und Geröll in die Atmosphäre – mehr als 70 Menschen kamen dabei ums Leben. Auf diesem Bild ist der Merapi bei Nacht zu sehen, wie er im Juni 2006 Lava ausspuckt. Quelle: dpa
Les Perrons, Frankreich / SchweizDer 2674 Meter hohe Berg in den Chablais-Alpen zwischen Frankreich und der Schweiz ist ein beliebtes Wander- und Bergsteigerziel in Europa. Zwischen den verschneiten Berggipfeln fließt das türkisblaue Wasser des Lac d'Emosson. Quelle: Creative Commons

Den Kern ihres Vorschlags bildet der Naumburger Dom, in dessen Inneren sich eine der berühmtesten Figurengruppe der Gotik befindet, darunter Uta von Naumburg, die „schönste Frau des Mittelalters“. Das allein hätte für den Titel Welterbe nicht gereicht. Zu viele gotische Sakralbauten stehen schon auf der Liste. So erweiterten die örtlichen Historiker das Konzept auf die umliegenden Flusstäler von Saale und Unstrut, in denen weitere Ortskerne, Klöster und Burgen aus der Zeit stehen. Der Kommentar von Icomos: „Einzigartig“ sei „allein die gewählte Definition, nicht aber die Stätte, mit der diese verbunden wird“.

Politik statt Profession

Doch die Entscheidung ist damit noch nicht gefallen. Eine Woche lang treffen sich die Unesco-Botschafter für ihre Jahrestagung, erst zum Schluss stimmen sie über neue Stätten ab. Genug Zeit, um aus einer wissenschaftlichen Entscheidung eine politische zu machen. „Ich werde natürlich die ganze Zeit vor Ort sein“, sagt Landrat Ulrich. Im Gepäck hat er eine Erklärung von neun Wissenschaftlern von Harvard bis zur Sorbonne, in der sie die „Einzigartigkeit der Kulturlandschaft an Saale und Unstrut“ preisen. Wie es dazu kam? „Wir haben die anerkannten Wissenschaftler eingeladen, sich vor Ort ein Bild von der Region zu machen“, sagt Ulrich. So klingt Wahlkampf nach Fifa-Manier, sagen andere.

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