Auch der französische Superstar Alain Ducasse, schon immer ein bekennender Gemüsefan, setzte im Herbst 2014 ein Zeichen: In seinem Dreisternetempel im Pariser Luxushotel Plaza Athénée hat er Fleisch fast vollständig von der Menükarte verbannt. Stattdessen bietet er cuisine naturelle, die auf Fisch, Gemüse und Getreide basiert.
Karotten, Tomaten, Artischocken und Bohnen bezieht er exklusiv aus dem ehemaligen Garten der Königin Marie Antoinette in Versailles, natürlich in Bioqualität. Das kostet: 380 Euro müssen Gäste für das fleischlose Menü zahlen – ohne Getränke.
Der Trend zur vegetarischen Spitzenküche kommt ursprünglich aus den USA, wo den Köchen neue kulinarische Strömungen mangels eigener gastronomischer Traditionen leichter fallen. Amerikaner experimentieren schon seit Jahrzehnten und völlig unbekümmert mit vegetarischer, veganer oder roher Kost, ohne gegen das Vorurteil kämpfen zu müssen, das Essen zu ruinieren.
Alternative Ernährungsformen
Flexitarier sind Menschen, die gesundheitsbewusst leben und sich auch so ernähren. Für sie gibt es nicht unbedingt grundsätzliche Bedenken, Fleisch zu konsumieren. Das kommt bei Flexitariern nämlich durchaus auf den Teller - aber nur selten. Und wenn, dann stammt das Tier meist aus artgerechter Bio-Haltung, wenn möglich aus der näheren Umgebung. Flexitarier sind nämlich oft unter den sogenannten Lohas* zu finden. Neben dem Wissen, dass eine einseitig fleischlastige Ernährung für den modernen Stadtmenschen ungesund ist (und manchmal auch der zelebrierten Vorfreude auf den Sonntagsbraten als etwas Besonderem!) sind sich Flexitarier auch der Umweltschädlichkeit extensiven Fleischkonsums bewusst.
*Menschen, die einen gesundheitsbewussten und nachhaltigen Lebensstil pflegen (Lifestyle of Health and Sustainability)
Freeganer zeichnen sich weniger durch strenge Regeln der Form "Das darf ich essen - das darf ich nicht essen" aus, als durch den Willen, mit dem Ort ihres Nahrungsmittelbezugs ein Zeichen zu setzen. Freeganer gehen nicht in den Supermarkt, sondern dahinter. Sie holen sich ihr Essen aus dem Müll der Supermärkte und Discounter und setzen sich damit gegen die Wegwerfgesellschaft und Lebensmittelverschwendung ein.
Frutarier pflegen eine besonders strenge Form der pflanzenbasierten Ernährung. Die Ernte der von ihnen gewählten Pflanzen(-bestandteilen) darf den Gesamtorganismus der Pflanze weder beschädigen noch seinen Tod zur Folge haben. Manche Frutarier verzehren Äpfel beispielsweise nur als Fallobst. Knollen etwa (wie Kartoffeln) sind nicht erlaubt: Sie sind der Energiespeicher der Kartoffelpflanze und daher für sie auf Dauer lebenswichtig.
Lacto-Vegetarier nehmen keine Eier zu sich. Milchprodukte dürfen neben Lebensmitteln nicht-tierischen Ursprungs aber verzehrt werden.
Ovo-Lacto-Vegetarier praktizieren eine relativ weit verbreitete und im täglichen Leben eher unkomplizierte Form des Vegetarismus. Neben rein pflanzlichen Produkten wie Obst oder Gemüse nehmen Ovo-Lacto-Vegetarier auch Eier und Milchprodukte zu sich, also Lebensmittel, für deren Gewinnung keine Tiere geschlachtet werden müssen.
Keine Milchprodukte, aber Eier (und pflanzliche Speisen) dürfen Ovo-Vegetarier zu sich nehmen. Unter anderem eine Lösung etwa für Vegetarier, die kein moralisches Problem mit dem Verzehr von Eiern haben, aber an einer Lactose-Intoleranz leiden.
Pescetarier sind Menschen, deren Ernährungsplan Fisch (je nach Ausprägung auch Weichtiere, Milch und/oder Eier) und vegetarische Kost kombiniert. Pescetarismus ist oft, wie andere alternative Ernährungsformen auch, mit einem Unbehagen der Massentierhaltung gegenüber verbunden.
Vegane Ernährung bedeutet: Weder Fisch noch Fleisch, noch Eier oder Milchprodukte stehen auf dem Speiseplan. Stattdessen gibt es Obst und Gemüse. Für die Eiweißversorgung nutzen Veganer (wie viele andere Vegetarier übrigens auch) pflanzliche Proteine, enthalten etwa in Tofu (Sojaeiweiß) oder Seitan (Weizeneiweiß - Gluten). Strengen Veganern ist der Veganismus aber mehr als eine Ernährungsform: Sie lehnen die Nutzung von Tieren (und daher auch tierischer Produkte) ab. Das heißt für einen strengen Veganer: Neben den oben aufgezählten Produkten meidet er auch Honig und Wachsprodukte, Kosmetika mit tierischen Inhaltsstoffen sowie Leder. Wer streng vegan orientiert ist, kann im Supermarkt nicht einfach zu Fertig-Produkten greifen - oft verstecken sich in der langen Zutatenliste solcher Gerichte Milchpulver, Butterreinfett oder Hühnerei-Eiweißpulver. Ein strenger Veganer braucht daher ein gewisses Maß an Durchhaltevermögen und Akribie.
Im schicken vegetarischen Café Gratitude in Los Angeles sind Stars wie Jay Z, Beyoncé Knowles oder Emma Stone Stammgast. In New York bekam das minimalistisch gestaltete Kajitsu einen Michelin-Stern, unter anderem wegen seiner kalten Erbsensuppe und knusprig gebackener Yuba-Stäbchen. Feinschmeckerwissen: Yuba ist eine japanische Tofuspezialität, erzeugt aus erhitzter Sojamilch. Und der „New York Times“- Gastrokritiker Pete Wells lobte den vegetarischen Imbiss Superiority Burger in seinem Jahresrückblick 2015 als „radikalstes Restaurant in New York“ und ist dort Stammgast.
Fleisch zum Fest
In Deutschland hat man sich mit Fleischverweigerern lange schwergetan. Irgendwie ja auch verständlich. Es wirkt ein wenig kleinlich, seinen Kindern oder Gästen Fleisch vorzuenthalten. Außerdem fordert fleischlose Küche Fantasie – und zwar täglich. Und schließlich haben viele Deutsche sprichwörtlich eingefleischte Gewohnheiten: Ob Osterlamm oder Weihnachtsgans, Sonntags- oder Festtagsbraten, Rouladen oder Frikadellen – Fleisch gibt es immer und überall.
In Italien, Frankreich und Spanien ist die Gastronomie tendenziell nicht so fleischlastig, dafür aber tief verwurzelt, selbstbewusst und für Veränderungen kaum zu haben. Umso erstaunlicher, dass ausgerechnet in Mailand eines von Europas ambitioniertesten vegetarischen Restaurants steht – mit einem Schweizer am Herd.
Der Tessiner Pietro Leemann hatte bereits in diversen Gourmettempeln gekocht, als er sich 1986 auf die Suche begab. Nach sich selbst, aber auch nach seiner Küche. Dafür reiste er drei Jahre lang durch Indien, China und Japan. „Ich hatte ein Faible für die Region und wollte mich von der damals gängigen und überall gleichen Nouvelle Cuisine lösen“, sagt er. Unterwegs wurde er Vegetarier, nach seiner Rückkehr 1989 eröffnete er in Mailand Joia, das erste vegetarische Gourmetrestaurant der Welt.