Eine internationale Studie der Unternehmensberatung Accenture, bei der seit zehn Jahren Konsumenten in 33 Ländern befragt werden, kommt bei ihrer aktuellen Erhebung zu einem überraschenden Ergebnis: „Der deutsche Kunde hat die höchsten Ansprüche der Welt.“ Die Konsumenten in Deutschland erwarten demnach auf allen Kanälen eine einfache Abwicklung, kompetente Beratung, schnelle Problemlösungen und günstige Preise. Gleichzeitig seien sie häufiger frustriert als Verbraucher in anderen Ländern und wechselten schneller den Anbieter.
„Die Deutschen erwarten in allen Dimensionen signifikant mehr von ihren Anbietern als Kunden in anderen Märkten, um zufrieden zu sein.“ So eine Erkenntnis aus dieser Studie. Das mag am angeborenen Perfektionismus liegen, der vielen Deutschen zu eigen ist. Die Verfasser der Studie glauben, dass die besondere Härte des Wettbewerbs um die deutschen Verbraucher schuld daran ist, dass das Erwartungsniveau so angestiegen ist.
Die größten Werbe-Holdings der Welt
Umsatz: 5,2 Milliarden Dollar
U.a.: Dentsu, Carat, McGarry Bowen
Quelle: WPP
Umsatz: 7,1 Milliarden Dollar
U.a.: McCann, Lowe, FCB
Umsatz: 9,2 Milliarden Dollar
U.a.: Saatchi & Saatchi, Leo Burnett, Vivaki, Bartle Bogle Hegarty
Umsatz: 14,6 Milliarden Dollar
U.a.: BBDO, DDB, TBWA
Umsatz: 17,3 Milliarden Dollar
U.a.: JWT, Ogilvy, Y&R, Grey
Irrsinn statt Markenführung
In Wirklichkeit dürfte es daran liegen, dass der Kampf um die günstigsten Preise in Deutschland so stark ist wie kaum woanders. Angesichts der Kaufkraft des deutschen Verbrauchers ist das blanker Irrsinn. Die Studie bemerkt denn auch, dass wir in Deutschland die niedrigsten Lebensmittelpreise, kostenlose Girokonten und Telefon-Flatrates haben - dass aber der deutsche Konsument erstmals seit zehn Jahren nicht mehr alleine auf das Preisschild achtet, sondern längst andere Gesichtspunkte in seine Kaufentscheidung einbezieht: Nicht mehr der Preis sei wichtig, sondern Vertrauen.
Da muss den deutschen Unternehmen etwas entgangen sein. Ihre Werbung suggeriert dem deutschen Verbraucher meist, dass die feilgebotenen Marken und Angebote besonders günstig seien - günstiger, billiger, herabgesetzt oder gleich kostenlos. Sie begehen damit den größten Fehler, den Marketing und Werbung in der Markenführung machen können: Sie sprechen nicht darüber, was ihre Marke besonders und besser macht - sie sprechen stattdessen immer häufiger über den Preis. Das Signal, das beim Konsumenten ankommt, ist simpel: Alle Marken und Dienstleister sind offenbar gleich gut, also entscheidet er nach dem Preis. Dieses Phänomen erst hat die Preisvergleichsportale so stark gemacht und lässt die Preise in fast allen Segmenten immer weiter erodieren. Ein Teufelskreis.
Pyrrhus siegt
Wenn der deutsche Verbraucher immer häufiger und schneller Marke und Dienstleister wechselt, erleichtert es auf den ersten, flüchtigen Blick die Gewinnung neuer Kunden. Doch das wird immer mehr zum Pyrrhussieg: Einen verlorenen Kunden zurückzugewinnen oder einen neuen Käufer zum loyalen Kunden zu machen, kostet ein Mehrfaches dessen, was investiert werden muss, um einen treuen Kunden zu halten. Das weiß jeder Student im Fachbereich Wirtschaft und Marketing bereits nach dem zweiten Semester.
Marken geraten immer mehr ins Hintertreffen
Die Wirklichkeit ist dagegen ernüchternd. Statt Lösungen zu finden, geraten die Marken immer mehr ins Hintertreffen. In einem Beitrag für die Werbefachzeitschrift Werben & Verkaufen beschreibt Benedikt Holtappels, Geschäftsführer der Werbeagentur GGH Lowe, den Wandel des Endverbrauchers und sieht zahlreiche Marken auf dem Weg in die Bedeutungslosigkeit. Große Marken wie Coca-Cola, McDonald’s und Burger King verlieren - übrigens trotz ständiger Sonderangebote - Umsatz und Marktanteile an neue und vor allem lokale Marken, die sich dem neuen Gesundheitsbewusstsein der Verbraucher beugen und damit einen moderneren Touch verleihen: „Die Nahbarkeit von Marken spielt inzwischen gerade bei jungen Verbrauchern eine Riesenrolle.“
Deutschland digitales Schlusslicht
Eine weitere Erkenntnis der Accenture-Studie besteht darin, dass deutsche Kunden vor dem Kauf systematisch recherchieren, intensiv Kommentare nutzen und viel Wert auf den Rat von Freunden legen. Allerdings nutzt diese Sorgfalt wenig, denn oft erfüllen die Anbieter die Erwartungen nicht. Wenn es um die digitale Leistungsfähigkeit und die Nutzung der sozialen Medien geht, liegen deutsche Unternehmen weit hinter anderen Ländern zurück.
Dies bestätigt der „Bericht für Digitale Wirtschaft und Gesellschaft“, den die EU-Kommission in der vergangenen Woche vorlegte. Demnach setzen nur elf Prozent der Unternehmen in Deutschland soziale Netzwerke ein und bescheren unserem Land damit unter den 28 europäischen Ländern einen peinlichen 21. Platz in der Rangliste. Kein Wunder also, dass deutsche Verbraucher von ihren Marken enttäuscht sind und sich frustriert abwenden.
Wertewillen ist besser als verscherbeln
Es ist wohl an der Zeit, den Begriff „Marke“ neu zu lernen. Professor Alexander Deichsel gibt hierzu in Werben & Verkaufen (Ausgabe 9 - 2015) eine regelrechte Lehrstunde. Dabei führt der Begründer der Markensoziologie aus: „Man muss wissen, was man ist und was man kann. Man muss sich den Markt schaffen, sich im Markt durchsetzen - und zwar durch die eigene Spezifik.“
Zum Thema Preis sagt der Mitbegründer des Instituts für Markentechnik in Genf: „Der Preis ist der Blick der Marke. Er muss wertgerecht sein. Er ist Ausdruck deines Wertewillens.“ Und noch deutlicher: „Verkaufen heißt für den Soziologen binden. Und nicht etwa verscherbeln.“ Der Mann spricht deutliche Worte - und damit den werblichen Wahnsinn, der sich in deutschen Marketingetagen abspielt, konkret an.
Die Digitalisierung hat unser Einkaufsverhalten massiv verändert. Das hat das deutsche Marketing jedoch offenbar noch nicht verinnerlicht. Ebenso wenig, dass das Vertrauen, das die Verbraucher von Marken wünschen und erwarten durch Kommunikation mit ihnen entsteht - nicht durch Sonderangebote und Preisvergleiche. Indem die Marketingmanager ihre Marken verscherbeln, zerstören sie über Jahrzehnte aufgebaute Markenwerte. Sie berauben sich damit selbst um die Investitionskraft, die ihre Marken in der digitalen Welt dringend für die Kommunikation mit Käufern und loyalen Kunden benötigen.
Sie alle, die noch an den günstigsten Preis glauben, gehören zurück auf die Schulbank. Mitsamt ihrer Agenturen, die von traditioneller wie moderner Markenführung immer weniger verstehen.