Werbesprech

Die Werbung hat Unwucht

Die Werbebranche kommt nicht zur Ruhe. Werbungtreibende klagen über Probleme mit TV. Die digitale Werbung gleicht einem Scherbenhaufen. Und vermeintliche Lösungen erweisen sich als untauglich. Umdenken ist gefragter denn je.

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Die digitale Werbung gleicht einem Scherbenhaufen: Nirgends ist der Betrug mit digitaler Werbung größer als bei der Ausspielung auf mobilen Geräten. Quelle: dpa

In der Werbebranche läuft derzeit einiges unrund. Die sich verändernde Mediennutzung stellt die Werber vor scheinbar unlösbare Rätsel. Die Verbraucher sind immer schwerer zu erreichen. Und die Digitalisierung rast derweil wie ein Disruptionszug durch die Branche. Zwar reden alle über die Chancen, die die Digitalisierung mit sich bringt, doch auf Seiten der Werbungtreibenden, ihrer Agenturen und der Medien gibt es nur Verlierer. Gewinner sind kaum auszumachen.

Die Werbungtreibenden machen ihrem Unmut Luft. Anlässlich der Screenforce Days, der zweitägigen Glanzshow der TV-Vermarkter, meldeten sie sich mit einem endlos langen Forderungskatalog an die TV-Sender. Die Reichweiten, schreibt die Organisation Werbungtreibende (OWM) den Sendern ins Stammbuch, befänden sich im Sinkflug, die Attraktivität der Werbeblöcke ließe kontinuierlich nach, während die Kosten für die Umsetzung von Kampagnen deutlich steigen.

Die werbenden Unternehmen beklagen das sinkende Preis-/Leistungs-Verhältnis des Privatfernsehens ebenso wie die Qualität der Programme. Auch an den Werbeblöcken lassen sie kein gutes Haar: „Die TV-Anbieter haben in den letzten Jahren neue Erlösmodelle in Form von Beteiligungen an Startups etabliert und stellen diesen als Gegenleistung Freispots zur Verfügung. Dadurch verändern sich die Strukturen der Werbeblöcke zum Teil dramatisch.“ Zum Nachteil der zahlenden Werbekundschaft, so der Vorwurf.

Die erfolgreichsten Werbekampagnen des Jahres
Platz 10Der Spot „Rodeo“ von der Designagentur Loves, einer Tochter der Agentur Thjnk, für die Automarke Audi Sport. Szenen eines Rodeo-Auftritts werden mit rasanten Autobildern gegengeschnitten. Das Männerherz schlägt höher. Dafür gab es von der ADC-Jury zwei Mal Gold, ein Mal Silber und ein Mal Bronze. Quelle: Screenshot
Platz 9„German Mut 2016“ von der Agentur Heimat für die FDP. Die Freien Demokraten wollen ein Zeichen setzen gegen die typisch deutsche Verzagtheit, die im Angelsächsischen mit dem Begriff „German Angst“ belegt ist. Quelle: Screenshot
Platz 8Die Kampagne „Most open test drive“ von der Agentur BBDO Berlin für die Daimler-Tochter Smart. Dahinter verbirgt sich ein Spiel, bei dem zwei Personen in einem Smart sitzen, der Fahrer ist mit einem Lügendetektor verbunden, und das Autoerdeck bleibt so lange offen, wie die Fragen des Beifahrers wahrheitsgemäß beantwortet werden. Ein Beispiel: Die Tochter fragt, magst Du meinen Freund, und ihre Mutter antwortet zögerlich, nein. Das Verdeck blieb geöffnet. Quelle: Screenshot
Platz 7 Die Kampagne „Sea Hero Quest“ ist ein Onlinespiel, das dazu dient, der Demenzforschung zu helfen. Entwickelt hat es die Agentur Saatchi & Saatchi für die Deutsche Telekom. Spielen gegen das Vergessen: Schon zwei Wochen nach dem Launch hatten eine Million Menschen das mobile Spiel heruntergeladen, so berichtet es die Telekom. Quelle: Screenshot
Platz 6Die „Lachenden Pferde“ sind ein Viralfilm,, den die Agentur Grabarz & Partner für Volkswagen kreiert hat. Drei Pferde stehen auf einem Paddock und sehen wiehernd dabei zu, wie ein Fahrer sich vergeblich bemüht, rückwärts mit einem Pferdeanhänger einzuparken. Erst als ein anderer Mann mit einem Volkswagen Tiguan und eingebauter Anhänger-Einparkhilfe vorfährt, werden die Pferde wieder ernst. Quelle: Screenshot
Platz 5Die Kampagne „Iconic Moments“, die die Agentur BBDO Düsseldorf für Pepsi Light erstellt hat, zeigt drei Motive – einen Parcour-Läufer, einen Skateboarder und einen Breakdancer, die ihrem Sport nachgehen. Da sie dabei rote, weiße und blaue Kleidung tragen, ergibt sich im Bild das ikonische Muster von Pepsi. Höchst künstlerisch. Quelle: Screenshot
Platz 3Die „Eröffnungskampagne“ der Elbphilharmonie in Hamburg wurde von mehreren Agenturen konzipiert: Jung von Matt, Achtung und Madhat. Eigentlich hat Jung von Matt 2017 eine ihrer Award-Pausen eingelegt – für das teure Prestigeobjekt haben die Werber allerdings eine Ausnahme gemacht. Quelle: Screenshot

Alarmierende Zahlen

An den digitalen Medien haben die Protagonisten im Werbegeschäft derzeit ebenso wenig Freude. Der erste Adblocker-Bericht für Deutschland kommt zu einem alarmierenden Ergebnis: Bis Ende 2018 werden über 20 Millionen Deutsche Software installiert haben, die digitale Werbung ausblendet. Das heißt, dass fast ein Drittel aller Online-Nutzer durch Werbung nicht erreicht werden kann. Online fehlt damit die Reichweite, die hier dringend für die Kampagnen der werbenden Unternehmen benötigt wird.

Währenddessen verlagert sich die Online-Nutzung der Verbraucher immer mehr vom Desktop hin zu mobilen Endgeräten. Zwischen 2010 und 2016 wuchs der mobile Internetkonsum laut einem Bericht der Agentur Zenith jährlich um 44 Prozent. Zeitgleich vollzieht die Werbung den gleichen Schritt und investiert immer mehr Werbegeld in mobile Werbung. Die Steigerungsrate liegt hier mit 43 Prozent auf gleicher Höhe.

Doch die Gefahren, die in der mobilen Werbung lauern, könnten größer nicht sein. Der aktuelle Adobe Digital Insights-Report kommt zum ernüchternden Schluss: „Mobile Inhalte sorgen für erheblich kürzere Aufmerksamkeitspannen als Desktop-Inhalte.“ Je mehr Geld die Werber also in mobile Werbung investieren, desto weniger Aufmerksamkeit erkaufen sie für ihre Botschaften. Sie sägen sprichwörtlich am Ast, auf dem sie sitzen.

Deutschland Weltmeister im Klickbetrug

Auch der Betrug mit digitaler Werbung ist nirgends größer als bei der Ausspielung auf mobile Geräte. Deutschland ist nach einer Studie des Ad Tech-Anbieters Pixalate sogar weltweiter Spitzenreiter in Mobile Ad Fraud. Demnach ist 43 Prozent aller programmatisch eingekauften Werbung auf Smartphones in Deutschland betrügerisch, d.h. unsichtbar oder durch Klickbetrug abgerechnet. Werber, die auf mobile Werbung setzen, setzen ganz offensichtlich auf das falsche Pferd.

Erst kürzlich wurden in den USA zwei neue Ad Fraud-Programme entdeckt, die alles Bisherige in den Schatten stellen. „Judy“ und „Fireball“ können bis zu 30 Milliarden betrügerische Ad Impressions pro Minute erzeugen und verbreiten. Kein Wunder, dass immer mehr Werbekunden wie Procter & Gamble oder Unilever ihre Digitalbudgets drastisch reduzieren. Sie setzen ihre Mediaagenturen ebenso wie die undurchsichtige Lieferkette im Digital-Business gehörig unter Druck und fordern mehr Transparenz und Standards im Online-Werbegeschäft.

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