Die Online-Werbung gerät immer stärker in den Fokus der Kritiker. Susanne Kunz, Mediachefin von Procter & Gamble, klagt: „Wir erleben in Digital große Vertrauensverluste und Verunsicherung“ . Während die Agenturen noch abwiegeln und viele Werbekunden derzeit um Ruhe und Sachlichkeit bemüht sind, rennen ihnen die Fakten davon.
Das Marktforschungsunternehmen Forrester schätzt, dass nicht sichtbare und betrügerische Online-Werbung die Unternehmen im vergangenen Jahr 7,4 Milliarden Dollar gekostet hat und prognostiziert, dass der Schaden bis 2021 auf 10,9 Milliarden ansteigt. Der Anteil der in Deutschland im 1. Quartal 2017 betrügerisch ausgelieferten Online-Werbung liegt bei 35 Prozent. Dieses Geld - 2017 bis zu 650 Millionen Euro - ist verloren. Für die Werbekunden, aber auch für Websites, die Werbeinnahmen zur Finanzierung ihrer Redaktionen dringend benötigen.
Der große "Financial Times"-Fake
Ein prominentes Beispiel meldete Ende September die "Financial Times". Sie stellten fest, dass auf mehreren Ad Exchanges insgesamt 300 Webseiten zu finden sind, die so tun, als seien sie FT.com. Insbesondere bei der automatisierten Werbeauslieferung („Programmatic“) steuern die Systeme diese Fake-Accounts an und liefern für FT.com vorgesehene Werbung an sie aus. Sie läuft dort ins Leere. Alleine der Financial Times gehen dadurch Werbeeinnahmen von monatlich einer Million Pfund verloren.
Anthony Hitchings, bei FT verantwortlich für die digitale Werbung, kommentiert es mit den Worten: “The industry continues to waste marketing budgets on what is essentially organized crime.” Die Werbeindustrie verschwendet ihr Geld weiterhin an organisiertes Verbrechen.
Auf einer Veranstaltung des US-Branchenmagazins Adweek zum Thema datengetriebener Werbung sagte Matt O’Grady, CEO von Nielsen Catalina Solutions, er schätze den Anteil betrügerischer Programmatic-Onlinewerbung auf über 50 Prozent. Bei Real-Time-Bidding-Prozessen sei der Anteil noch höher. Das bedeutet, dass die Hälfte dieser Werbung nicht von Menschen gesehen wird. In Deutschland liegt der Anteil programmatisch ausgelieferter Onlinewerbung derzeit bei 45 Prozent.
Am meisten Geld für Onlinewerbung gibt in Deutschland der Einzelhandel aus. Auf ihn wird 2017 mehr als ein Fünftel aller digitalen Ad Spendings entfallen. Größte Treiber sind der E-Commerce und die steigende Bedeutung der mobilen Werbung. "Die Investitionen des deutschen Einzelhandels in mobile Werbung sind in jüngster Zeit rasant gestiegen, da (...) insbesondere die Modefirmen diesen Kanal zunehmend nutzen“ erklärt Monica Peart, Leiterin Prognose bei eMarketer.
Der Albtraum: Bad Advertising
Der Anteil betrügerischer Werbung in Deutschland steigt; das Markenrisiko nimmt damit immer mehr zu. Schuld an der Misere ist Adtech. Je mehr die Auslieferung der Werbung Programmen überlassen wird, desto anfälliger wird das System für Betrug.
In seinem jüngsten Buch „BadMen“ wird der renommierte, US-Werber und Online-Kritiker Bob Hoffman (@adcontrarian) noch deutlicher. Er hält Adtech für eine Bedrohung, nicht nur für die Werbebranche, sondern für die gesamte Menschheit. Er schreibt: „It is hard for us to imagine that a technology we are using… has morphed into a monster.“ Es sei unbegreiflich, dass eine alltägliche Technologie inzwischen zum Monster mutiert ist. Hoffman hält Adtech schlicht für „Überwachungs-Marketing“.
Big Advertising is watching you
Die Werbung, die uns eigentlich umgarnen und verführen soll, beginnt uns auf Schritt und Tritt zu überwachen. Hoffman: „We were taught to fear totalitarian governments. We feared they would know everything about us, follow us everywhere, track our every move, and keep secret files about us which could be used to influence our lives in ways that were only vaguely visible to us. We are well on our way to such a nightmare. Except it isn’t our government that knows everything about us, follows us everywhere, tracks our every move, and keeps secret files about us. It is the marketing industry.”
Der Albtraum, den wir einst fürchteten, wird wahr. Doch es ist keine totalitäre Regierung, die uns ausspäht, verfolgt und geheime Dossiers über jeden von uns erstellt - es ist die Marketingindustrie. Hoffman hofft dennoch, dass das dreiköpfige Monster aus Tracking, Überwachung und Adtech keine Überlebenschance besitzt.
Alexander Nix, Chief Executive von Cambridge Analytica, behauptet, dass in den USA von jedem Bürger zwischen vier und fünf Tausend Datenpunkten von der Marketingindustrie angesammelt worden seien. Man sei in der Lage, von jedem Erwachsenen ein höchst individuelles, persönliches Profil zu entwickeln. Das ist beängstigend. Und in Deutschland sind wir davon nicht mehr weit entfernt.
Adtech ist verantwortlich dafür, dass qualitativ hochwertige Websites um ihr Werbegeld betrogen werden. Die Systeme spähen zum Beispiel die Nutzer von FT.com oder spiegel.de aus, prüfen ob sie nicht auch auf preiswerteren Websites angesprochen werden können, und lenken die Werbung auf diese minderwertigen Seiten. Adtech ist der ökonomische Motor für Seiten, die von Fake News leben.
Online lebt von Fake
In der digitalen Welt ist nichts wie es scheint. Und offenbar nichts wahr. In „BadMen“ beschreibt Hoffman die Unart von Facebook uns Seiten zu empfehlen, die unsere Freunde angeblich liken. Hoffman hält das für fake, nachdem ihm eine Seite angezeigt wurde, die seiner Tochter „gefällt“. Denn sie leugnete das. Ich machte die Probe aufs Exempel und fragte selbst nach: Von den Seiten, die mir Facebook als „von Freunden gefällt“ anzeigte, leugneten 40 Prozent meiner Freunde. die Seiten jemals geliked zu haben. Die digitale Welt besteht scheinbar aus viel Lug und noch mehr Betrug.
Seit dem Aufkommen von Adtech, der datengetriebenen Werbeauslieferung, ist nach Aussage von Bob Hoffman die durchschnittliche Klickrate von ehemals 2 Promille inzwischen auf 0,6 Promille gefallen. Dass Programmatic die Effizienz steigert, ist also eine Mär. Im Gegenteil: Die Mediaagenturen beklagen, dass Programmatic den Personalaufwand für die Systemsteuerung sogar gesteigert habe.
So funktioniert Werben auf Facebook
Der genaue Preis richtet sich danach, wie viele Menschen die Anzeigen sehen sollen, wie genau die Zielgruppe definiert ist und vor allem, wie lange die Kampagne gehen soll. Theoretisch ist es aber möglich, nur einen Euro auszugeben.
Anzeigen können direkt von der Facebookseite gestartet werden, indem zum Beispiel ein bestimmter Beitrag beworben wird. Andere Anzeigenformate – wie verschiedene Arten von Videos und Fotos – können im Werbeanzeigenmanager ausgewählt werden.
Bei der Erstellung einer Anzeige muss ausgewählt werden, ob die Werbung auf Instagram im Audience Network (das heißt auch auf anderen, nicht zu Facebook gehörenden Seiten) oder Facebook selbst ausgespielt werden soll. Bei Facebook selbst wird dann noch zwischen der mobilen Ausspielung und einer Anzeige in der Desktopversion im Newsfeed oder der rechten Spalte unterschieden.
Facebook führt jede Zielgruppe eine Auktion durch, die darüber entscheidet welche Anzeigen Menschen ausgespielt werden. Entscheidend ist dabei nicht nur, wie viel der Werbetreibende bereit ist, zu bezahlen. Facebook beurteilt auch, wie relevant die Anzeige für die Zielgruppe ist und wie wahrscheinlich sie darauf reagiert. Aus diesem Gesamtranking ergibt sich, wer den Zuschlag bekommt.
Das Ende ist nah
Es ist Zeit, dem Irrsinn ein Ende zu bereiten. Genau das bereitet die EU in diesen Tagen vor. Im Mai 2018 wird die E-Privacy-Verordnung auf den Weg gebracht. Sie wird es der Werbung verbieten, Cookies zu setzen, um so jeden User verfolgen und stalken zu können. Es sei denn, der Verbraucher hat dazu seine ausdrückliche Einwilligung („opt-in“) gegeben.
Thomas Port, Geschäftsführer bei SevenOne Media, geht davon aus, dass diese Verordnung die Digitalwirtschaft in ihren Grundpfeilern erschüttern wird und womöglich ihr Ende bedeutet. Angesichts der berechtigten Vorwürfe der Überwachung hätte sie nichts anderes verdient.