Werbesprech

Die Werbung scheitert am Trend

Werbung darf provozieren. Doch wer blind vermeintlichen Trends hinterherläuft, erleidet Schiffbruch - wie jüngst Pepsi. Es ist an der Zeit, dass Werbung Trends setzt, um die Branche wieder attraktiv zu machen.

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Pepsi Quelle: REUTERS

Werbung will modern sein, die Sprache der Konsumenten sprechen. Sie soll Trends ansprechen, die in aller Munde sind. Sie darf dabei auch kontrovers sein und polarisieren. Wie etwa im Jahr 2002, als der „Geiz ist geil“-Slogan von Saturn den damaligen Nagel auf den Kopf traf und damit vehemente, gesellschaftliche Diskussion auslöste.

Heute erscheint der Großteil der Werbung irgendwie belanglos. Die Aufmerksamkeit der Verbraucher sinkt, ihnen sind die meisten Marken und deren Kampagnen gleichgültig. Dass gleichzeitig die Zahl der Medien, Werbeträger und Kampagnen immer weiter ansteigt, ist dabei nicht sonderlich hilfreich, aber Fakt.

Das Wirtschaftsmagazin „Bilanz“ glaubt nun eine der Ursachen für wirkungslose Werbung entdeckt zu haben und titelt: „Wie die Werbeindustrie den Schlagertrend verpennt“. Die allgemeine Unsicherheit angesichts Flüchtlingskrise, Putin, Erdogan und Trump sei schuld an der neuerlichen Heile-Welt-Schlagerwelle, auf der Stars wie Helene Fischer und Andrea Berg derzeit surfen. Nur die Werber in den Hipster-Hochburgen Berlin und Hamburg hätten den Trend nicht erkannt. Weil Schlager in deren Filterblasen als uncool gelten, unterschätzten sie den Marktwert der Schlagerstars, so die These.

Abgesehen davon, dass die größten deutschen Werbeagenturen in Düsseldorf und Frankfurt zu finden sind, ist Helene Fischer jedoch vermutlich nicht die Lösung des Problems.

Heile Welt und leerer Kopf

Wer mit der Zeit gehen will, stößt heute auf Verbraucher, die kritischer sind als je zuvor. Pepsi traf erst in der vergangenen Woche wegen unbedachter, Heile-Welt-und-leerer-Kopf-Werbung ein Shitstorm ungeahnten Ausmaßes. Im Spot nutzt Pepsi auf höchst unsensible Weise die jüngsten Demonstrationen in den USA und damit ein gesellschaftlich relevantes und politisch heikles Thema für dreiste Eigenwerbung. Pepsi musste den Spot zurückziehen und sich öffentlich dafür entschuldigen.

Nicht anders erging es Nivea. Eine neue, für den Nahen Osten konzipierte Facebook-Kampagne für das Deo „Invisible“ arbeitet mit dem Slogan „White is Purity“ („Weiß bedeutet Reinheit“). Neben den zu erwartenden Rassismus-Vorwürfen handelte sich Nivea sogar weltweiten Beifall von Rechtsextremen ein, die den "White is Purity"-Slogan in ihrem Sinne umdeuteten.

Der Mutterkonzern Beiersdorf stoppte die Kampagne und entschuldigte sich: „Vielfalt und Gleichbehandlung zählen zu den zentralen Kernwerten von Nivea: Unsere Marke steht für Vielfalt, Toleranz und Gleichberechtigung.“

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Auf dem Papier sehen solche Aussagen schön aus. Wer aber nicht auch danach handelt, macht sie wertlos.

Der Super-Gau: Werbung in IS-Videos

Derzeit ziehen Dutzende der größten Unternehmen der Welt (u.a. Nestlé, Audi, General Motors, Toyota, Pepsico und McDonald‘s) in Großbritannien und den USA ihre Werbegelder aus Google und YouTube ab, nachdem bekannt wurde, dass ihre automatisch („programmatisch“) ausgelieferte Werbung vor YouTube-Videos des IS zu sehen waren. Der Schaden für Google soll sich auf 750 Millionen Dollar belaufen.

Neuer Trend: Influencer Marketing

Auch Facebook steht derzeit unter Druck wegen der Veröffentlichung von Hass-Posts und Fake News, wogegen die Betreiber lange Zeit nichts unternommen haben. Das Stichwort hierzu lautet „Brand Safety“: Marken wollen selbstverständlich nicht in rechtsextremen Umfeldern werben. Doch die erforderlichen Mechanismen, insbesondere bei der programmatischen Auslieferung der digitalen Werbung, greifen nicht.

Einer Umfrage der Agentur Frau Wenk unter 50 Marketingexperten zufolge erwarten zwei Drittel Budgetkürzungen auch deutscher Marken bei Google. Wenn Google und Facebook, die bis zu 80 Prozent der digitalen Werbegelder auf sich ziehen, nicht die Lösung sind, muss sich die Werbung wohl neue Trend-Felder suchen.

Einer der ganz großen Trends, auf den Werbung setzt, ist Influencer Marketing, also die Zusammenarbeit mit Markenbotschaftern wie Bibi, Gronkh, Dagi Bee und den Lochis. Das Trend-Thema droht jedoch längst zu überhitzen, insbesondere auf Plattformen wie Instagram. Influencer Marketing könnte sich schon bald als Strohfeuer erweisen.

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Die wahren Trends: Tatort und Aktenzeichen

Es stellt sich die berechtigte Frage, ob Agenturen überhaupt jedem digitalen Trend und jedem neuen Buzz blind hinterherlaufen sollten. Denn die alte Medienwelt sorgt für durchaus beruhigende Nachrichten und bisweilen sogar für Rekorde. Der Münsteraner „Tatort“ feierte jüngst mit 14,5 Millionen Zuschauern die höchste Quote seit 25 Jahren, auch bei jungen Zuschauern. Selbst „Aktenzeichen XY“ wurde Anfang April ausgerechnet beim jungen Publikum Tagessieger. Dass also junge Zuschauer kein lineares Fernsehen mehr gucken, erweist sich bisweilen als Mär.

Die jüngsten Nielsen-Zahlen aus dem Mutterland des Fernsehens, den USA, die uns in der Medienentwicklung angeblich um Jahre voraus sind, zeigen das lineare Fernsehen nach wie vor als ungeschlagenen Spitzenreiter. Im 4. Quartal 2016 bringt es dort „Live TV“ auf einen Marktanteil von 78 Prozent. Nur 5 Prozent der Amerikaner gucken auf dem PC Fernsehen und lediglich 2 Prozent auf dem Smartphone. Digitales Fernsehen scheint ebenso wenig das lineare TV zu töten wie seinerzeit Videorekorder die Kinos.

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Tabus brechen

Alleine verkrampft auf angebliche, digitale Trends aufzusetzen, ist für Agenturen und ihre Kunden also nicht die Lösung. Erst recht nicht dann, wenn sie wie im Falle von Pepsi und Nivea nicht einmal absichtlich oder mutig provozieren, sondern einfach nur peinlich sind. In den Sechziger- und Siebzigerjahren der Werbung, die als die „goldenen Zeiten“ in die Geschichte eingingen, waren es Künstler und Werbeikonen wie Charles Wilp für Afri Cola oder Fotograf Oliviero Toscani mit seiner legendären Benetton-Kampagne, die mit Tabu-brechenden Kampagnen für Furore sorgten.

Früher rannte die Werbung den Trends nicht hinterher, sondern schuf sie. Sie war bisweilen Vorreiter der gesellschaftlichen Diskussion. Den heutigen Agenturen muss man vorwerfen, dass sie zu mainstream sind. Sie müssen mutiger werden und die Verbraucher provozieren, ihre Kampagnen müssen Diskussionen auslösen. Dann würde nicht nur die Werbung attraktiver, sondern die ganze Branche, die schon seit Jahren verzweifelt um Nachwuchs ringt.

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