Werbesprech

Für die Werbung kann TV nicht trashig genug sein

Der Trash im deutschen Fernsehen nimmt immer mehr zu. Die Zuschauer wollen es so. Dass Vaginen, Hoden und nun Penisse auch die Werbekunden anlocken, ist einer simplen Mechanik zu verdanken. Für die Marken erweist sie sich jedoch als Falle.

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Ronald Schill (l), Janina Youssefian (Model) Quelle: dpa

„Widerwärtig“, „Trash-Rampe“, „Open-Air-Swingerclub“. In den Medien und erst recht im Netz überschlagen sich die Beschimpfungen. Es geht ausnahmsweise nicht um den amerikanischen Wahlkampf, sondern um die jüngste Ausgabe der RTL-Kuppelshow „Adam sucht Eva - Promis im Paradies“. Auf einer paradiesischen Insel treffen D-Prominenz und Normalo-Bürger splitterfasernackt aufeinander, um sich gegenseitig zu befummeln. Mehr muss man über den Inhalt nicht wissen.

Die Berliner „taz“ hält die Sendung gar für einen Fortschritt. Denn wenn sich nun auch Männer ausziehen müssen, verlieren sie ihre Überlegenheit. So würden auch sie endlich zum Objekt der Begierde. Eigentlich geht es also um Penisse in allen denkbaren Aggregatzuständen: „… von kältebedingter Zurückgezogenheit über wohltemperiertes, besonnenes Baumeln bis hin zu höchst erregter, von Nachtsichtkameras eingefangener Maximaldurchblutung“.  Der taz-Kolumnist gibt allerdings zu, dass der RTL-Trivialschund nur bei einem höheren Promillewert erträglich ist.

Das deutsche Fernsehen steckt fürwahr in der Krise. Die Zuschauerzahlen sind rückläufig und die meisten Quotenbringer früherer Jahre - selbst die Formel 1 - verlieren mehr und mehr an Attraktivität. Die letzten, verbleibenden Sendungen, die noch Zuschauer gewinnen, sind Trash-Produktionen wie eben „Adam und Eva“. Mit durchschnittlich 2,6 Millionen Zuschauern und einem Marktanteil von bis zu 20 Prozent landete RTL wieder einen Hit.

Ein Hit waren für RTL auch die Werbeblöcke. In „Adam sucht Eva“ warb die Crème de la Crème der deutschen Marken: Persil, Ariel, Vodafone, Krombacher, Saturn und viele andere, Nutella sogar auf der Website. Auch die Poco-Einrichtungsmärkte, denen man zugutehalten könnte, dass hier das intellektuelle Niveau von Werbung und Sendeplatz passgenau getroffen wurde. Doch ganz so einfach kann man das Phänomen nicht abtun. Der Trash im deutschen Privatfernsehen hat eine bemerkenswerte Historie.

Trash as trash can

Bis zum 21. Januar 1990 war die Fernsehwelt noch in Ordnung. An diesem denkwürdigen Abend strahlte RTL die legendäre „Tutti Frutti“-Show mit Hugo Egon Balder aus. Bis heute rätseln Fans über die Spielregeln, die allerdings schon damals keine Rolle spielten. Es ging irgendwie um Länderpunkte, aber eigentlich mehr um das wenig subtile Entkleiden der anwesenden Stripperinnen. Bis dahin war das deutsche Fernsehen unschuldig, fast jungfräulich. Danach war nichts mehr, wie es war.

„Big Brother“ läutete im Jahr 2000 (unvergessen: Zlatko und Jürgen, die seinerzeit so etwas wie TV-Geschichte schrieben) den Beginn einer schier unendlichen Reihe von Fremdschäm-Shows ein. Damals galt es noch als umstritten, die Protagonisten 24 Stunden am Tag von unzähligen Kameras bis in die Schlafzimmer zu beobachten. Die Werber trauten sich daher anfangs nicht, in der Sendung zu werben, staunten jedoch nicht schlecht, als Big Brother den zeitgleich ausgestrahlten Sendungen die jungen, coolen, hippen Zuschauer stahl.

Seit „Deutschland sucht den Superstar“, „Dschungelcamp“, „Bauer sucht Frau“ und „Schwiegertochter gesucht“, denen Jan Böhmermann einen Fake-Kandidaten unterjubelte, um die zweifelhaften Machenschaften hinter der TV-Bühne ans Tageslicht zu fördern, bleibt den Fernsehwerbern nichts anderes übrig: Sie müssen den Trash in ihre Mediapläne aufnehmen. Denn nur noch der übelste TV-Müll bringt noch nennenswerte Zuschauerzuwächse - die von den Werbern so begehrte und teuer eingekaufte Reichweite bei den „werberelevanten“ Zuschauern im Alter von 14 bis 49 Jahren.

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