Werbesprech

Ist Online-Werbung noch zu retten?

Online-Werbung, die niemand sieht. Werbung, die mehr Bots als Menschen erreicht. Die Wirksamkeit der digitalen Werbung steht immer mehr infrage. Liefert die Dmexco endlich Antworten und Lösungen?

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Ist die Online-Werbung am Ende? Quelle: Fotolia, Montage

Am 13./14. September findet wieder die Dmexco, Europas größte Digitalmesse, in Köln statt. In diesem Jahr steht sie unter dem Motto „Lightening the Age of Tranformation“: „Im Zentrum des digitalen Wandels steht die Transformation von Marketing, Marken und ganzen Unternehmen. Nur wer den laufenden Veränderungsprozess von der Kommunikation bis ins Produkt hinein beherrscht, wird sein Geschäftsmodell zukunftssicher machen.“

Man will in diesem Jahr also Licht ins Dunkel des Zeitalters disruptiven Wandels bringen. Das klingt gut. Und man möchte meinen, die 50.000 Protagonisten und Messebesucher hätten Freude an diesem Wandel. Doch das Gegenteil ist der Fall. Pünktlich zur Dmexco peitschen Nachrichten durch die Branche, die nichts Gutes verheißen.

Ralf Heller, CEO der Digitalagentur Virtual Identity, analysiert die Ausgaben von Online-Werbung und kommt dabei zum Ergebnis, dass in Deutschland fast 800 Millionen Euro in Werbung investiert werden, die zwar mit den Werbekunden abgerechnet werden, jedoch keiner wahrnimmt.

Die erfolgreichsten Werbekampagnen des Jahres
Platz 10Der Spot „Rodeo“ von der Designagentur Loves, einer Tochter der Agentur Thjnk, für die Automarke Audi Sport. Szenen eines Rodeo-Auftritts werden mit rasanten Autobildern gegengeschnitten. Das Männerherz schlägt höher. Dafür gab es von der ADC-Jury zwei Mal Gold, ein Mal Silber und ein Mal Bronze. Quelle: Screenshot
Platz 9„German Mut 2016“ von der Agentur Heimat für die FDP. Die Freien Demokraten wollen ein Zeichen setzen gegen die typisch deutsche Verzagtheit, die im Angelsächsischen mit dem Begriff „German Angst“ belegt ist. Quelle: Screenshot
Platz 8Die Kampagne „Most open test drive“ von der Agentur BBDO Berlin für die Daimler-Tochter Smart. Dahinter verbirgt sich ein Spiel, bei dem zwei Personen in einem Smart sitzen, der Fahrer ist mit einem Lügendetektor verbunden, und das Autoerdeck bleibt so lange offen, wie die Fragen des Beifahrers wahrheitsgemäß beantwortet werden. Ein Beispiel: Die Tochter fragt, magst Du meinen Freund, und ihre Mutter antwortet zögerlich, nein. Das Verdeck blieb geöffnet. Quelle: Screenshot
Platz 7 Die Kampagne „Sea Hero Quest“ ist ein Onlinespiel, das dazu dient, der Demenzforschung zu helfen. Entwickelt hat es die Agentur Saatchi & Saatchi für die Deutsche Telekom. Spielen gegen das Vergessen: Schon zwei Wochen nach dem Launch hatten eine Million Menschen das mobile Spiel heruntergeladen, so berichtet es die Telekom. Quelle: Screenshot
Platz 6Die „Lachenden Pferde“ sind ein Viralfilm,, den die Agentur Grabarz & Partner für Volkswagen kreiert hat. Drei Pferde stehen auf einem Paddock und sehen wiehernd dabei zu, wie ein Fahrer sich vergeblich bemüht, rückwärts mit einem Pferdeanhänger einzuparken. Erst als ein anderer Mann mit einem Volkswagen Tiguan und eingebauter Anhänger-Einparkhilfe vorfährt, werden die Pferde wieder ernst. Quelle: Screenshot
Platz 5Die Kampagne „Iconic Moments“, die die Agentur BBDO Düsseldorf für Pepsi Light erstellt hat, zeigt drei Motive – einen Parcour-Läufer, einen Skateboarder und einen Breakdancer, die ihrem Sport nachgehen. Da sie dabei rote, weiße und blaue Kleidung tragen, ergibt sich im Bild das ikonische Muster von Pepsi. Höchst künstlerisch. Quelle: Screenshot
Platz 3Die „Eröffnungskampagne“ der Elbphilharmonie in Hamburg wurde von mehreren Agenturen konzipiert: Jung von Matt, Achtung und Madhat. Eigentlich hat Jung von Matt 2017 eine ihrer Award-Pausen eingelegt – für das teure Prestigeobjekt haben die Werber allerdings eine Ausnahme gemacht. Quelle: Screenshot

Das Problem nennt sich in Fachkreisen „Viewability“ und bezeichnet die Sichtbarkeit von Banner-Anzeigen. Heller postuliert: „Ein Banner, das man weniger als eine Sekunde mit weniger als der Hälfte seiner Fläche sieht, hat definitiv keine Werbewirkung.“ Dies beträfe über 40 Prozent aller Digitalanzeigen.

Werber mit Dachschaden

Würde man Branchenfremden erzählen, dass Kunden Geld für Werbung zahlen, die niemand sieht, würden sie die Werber für geisteskrank erklären oder uns zumindest auslachen. So schlägt Heller der eigenen Branche denn auch vor, dieses Geld besser anders zu investieren. Man könne damit immerhin 50 Millionen Bäume pflanzen.

Doch viele Probleme der Digitalwerbung sind weitaus haarsträubender. Nicht nur wissen Werbekunden oft nicht, wo ihre Werbung geschaltet wird, sie wissen nicht einmal, ob es überhaupt Menschen sind, an die ihre Banner ausgeliefert werden. Nach einer aktuellen Untersuchung der Cyber-Security-Firma Oxford BioChronometrics können bis zu 90 Prozent des Online-Traffics einer Digitalkampagne aus Bot-Traffic bestehen. Die Werbung wird an Maschinen ausgeliefert, die suggerieren, dass ein Verbraucher aus Fleisch und Blut sie betrachtet.

Der Oxford-CMO William Schekel hält Adfraud hierzulande für ebenso dramatisch wie in jedem anderen Land der Welt: „Konservativ geschätzt glauben wir, dass sich die durch Adfraud generierten Umsätze heute jährlich auf 50 Milliarden Dollar belaufen und sich in den nächsten Jahren auf 150 Milliarden Dollar verdreifachen werden. Adfraud ist ein globales Problem. Diejenigen, die Werbeflächen für ihre betrügerischen Aktivitäten suchen, interessieren sich nicht dafür, woher ein Werbekunde stammt oder in welchem Land seine Website registriert ist.“

So funktioniert Werben auf Facebook

Werbekunden greifen zum Rotstift

Der Betrug mit Online-Werbung entwickelt sich zu einem der größten Quellen weltweiter Kriminalität. In den USA wurde jüngst ein Programm namens „Judy“ entdeckt, das eine Milliarde betrügerische Ad Impressions pro Minute ausliefert. Das gebetsmühlenartige Beteuern deutscher Digital-Experten, hiervon seien nur die USA betroffen, erweist sich immer mehr als pure Ignoranz.

Das alles lässt die Marketingetagen der Werbungtreibenden nicht kalt. Als erster internationaler Konzern strich Procter & Gamble im 2. Quartal dieses Jahres 100 Millionen Dollar an digitalen Werbeetats. Die Begründung: “What it reflected was a choice to cut spending from a digital standpoint where it was ineffective, where either we were serving bots as opposed to human beings or where the placement of ads was not facilitating the equity of our brands.” Sie kürzten, wo die Werbung unwirksam oder an Bots ausgeliefert wurde. Dies hatte angeblich keinen Effekt auf das Geschäft, womit erwiesen sei, dass die Digitalwerbung unwirksam war.

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