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Manche Marken sind ein Jahrmarkt der Peinlichkeiten

Marken investieren ein Vermögen in Marketing und Werbung, um Vertrauen bei den Verbrauchern aufzubauen. Was Jahrzehnte kostspieliger Investitionen bedarf, ist im Handumdrehen zerstört: Durch Mogelpackungen, Irreführung und Täuschung – und erst recht, wenn die Gesundheit der Kunden aufs Spiel gesetzt wird. Eine Kolumne.

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Von „Mogelmilch“ bis Schummel-Schinken
Die Mogelpackung des Jahres ist nach Ansicht von Verbrauchern die Bebe Zartcreme. In einer Online-Abstimmung der Verbraucherzentrale Hamburg votierte knapp ein Drittel von insgesamt mehr als 26.000 Verbrauchern für das Kosmetikprodukt aus dem Hause Johnson & Johnson, wie die Verbraucherschützer am Montag mitteilten. Die Bebe Creme ist ihren Angaben zufolge durch neue Füllmengen um bis zu 84 Prozent teurer geworden. Quelle: Screenshot: bebe
Die Verbraucherzentrale Hamburg verleiht den Negativpreis Mogelpackung des Jahres seit 2013. An der Wahl 2016 nahmen insgesamt 26.132 Verbraucher teil, sechs Mal so viele wie im vergangenen Jahr. 2014 erhielt die Windelmarke Pampers von Procter & Gamble den Negativpreis. Diese Produkte waren in diesem Jahr nominiert... Quelle: dapd
Der Konsumgüterriese hat im vergangenen Jahr die Füllmenge seiner Dentagard-Zahnpasta von 100 Milliliter auf 75 Milliliter reduziert. Doch die Tube sei weiterhin in den meisten Drogerien und Supermärkten zum gleichen Preis verkauft worden, sagen die Verbraucherschützer. Der geschrumpfte Inhalt entspreche einer versteckten Preiserhöhung von 33,3 Prozent. Quelle: Screenshot: Dentagard
Auf den ersten Blick wurden die Schinkenspezialitäten von Herta sogar billiger. Statt 2,19 Euro oder 2,29 Euro kosteten sie laut Verbraucherzentrale nur noch 1,89 Euro oder 1,99 Euro. Gleichzeitig sei die Füllmenge der neuen Packungen aber drastisch reduziert worden – von 150 auf 100 Gramm. Dadurch ergebe sich eine Preiserhöhung von rund 30 Prozent. Quelle: Screenshot: Nestlé
Bei der sogenannten Kopfsteher-Flasche seines Curry Ketchups hat das Unternehmen die Füllmenge von 500 auf 400 Milliliter reduziert. Da gleichzeitig auch der Preis etwas gestiegen sei, entspreche das einer versteckten Preiserhöhung von bis zu 28 Prozent, beklagen die Verbraucherschützer. Zudem sei die ganze Palette der verschiedenen Heinz-Kopfsteherflaschen kleiner geworden. Quelle: Screenshot: Heinz
Der Kaffeekonzern hat die Füllmenge der Kapselpackung um fast die Hälfte reduziert. Sie sank von 475,2 auf 264 Gramm. Außerdem hat das Unternehmen laut den Verbraucherschützern statt echter Milch in Form von Vollmilchkonzentrat nun „Mogelmilch“ verwendet. Diese werde aus Sahneerzeugnis, Milchproteinen, Milchmineralien und Wasser zusammengefügt und von Verdickungsmittel zusammengehalten. Quelle: Screenshot: Jacobs

Jahrein, jahraus erhält die Verbraucherzentrale Hamburg über 1000 Beschwerden von Verbrauchern. Aus den fünf häufigsten Beschwerden und den dreistesten Auswüchsen stellten sie die „Mogelpackungen des Jahres“ zur Wahl. In einer Online-Abstimmung votierten mehr als 26.000 Teilnehmer und kürten den unrühmlichen Sieger.

Schon im vergangenen Jahr waren die peinlichen Siegermarken keineswegs unbekannte, sondern ganz große Namen der Markenartikelindustrie. Zur absoluten Nummer 1 unter den Mogelpackungen wählten die Verbraucher damals Pampers-Windeln von Procter&Gamble, die durch ein fünffaches Reduzieren der Füllmenge wiederholt versteckte Preiserhöhungen durchzusetzen versuchten. Auf den weiteren Plätzen befanden sich Leerdammer von Bel, der Schokoriegel Lion aus dem Hause Nestlé und die Iglo-Mittelmeerküche.

Die Mogelpackungen des Jahres
Mittelmeer-Küche von Iglo Quelle: Verbraucherzentrale Hamburg
Lion-Mehrfachpackung Snack Size Quelle: Verbraucherzentrale Hamburg
Hafertaler mit Schokolade Quelle: Verbraucherzentrale Hamburg
Leerdamer Léger Quelle: Verbraucherzentrale Hamburg
Pampers baby-dry Quelle: Verbraucherzentrale Hamburg

Die Marketingverantwortlichen sollten wissen, dass sich derartige Negativ-Preise schädlich auf das Image auswirken und das Vertrauen in die Marken erheblich beschädigen. Schlimmstenfalls hat es sogar Auswirkungen auf Abverkauf und Marktanteil. Man sollte also meinen, dass sie daraus ihre Lehren ziehen und den offensichtlichen Betrug am Verbraucher stoppen. Doch weit gefehlt, wie wir sehen werden.

Versteckte Preiserhöhung um 84 Prozent

Kommen wir zu den Siegern dieses Jahres, die kürzlich den „blauen Brief“ der Verbraucherzentrale Hamburg erhielten. An erster Stelle - und damit Mogelpackung des Jahres 2015 - finden wir die bebe-Zartcreme des internationalen Kosmetikgiganten Johnson & Johnson. Fast ein Drittel der Verbraucher votierten für die Creme, die durch veränderte Füllmengen um bis zu 84 Prozent teurer geworden war. Auf den weiteren Plätzen: Dentagard von Colgate-Palmolive, Herta-Schinken von Nestlé (erneut!), Kraft Heinz Ketchup und Jacobs Kaffee-Kapseln Latte Macchiato. Im letzteren Fall bemängelten die Verbraucherschützer nicht nur die Reduzierung der Füllmenge, sondern gleich auch die Verwendung von „Mogelmilch“. Bravo.

Foodwatch prangert Kindermarketing für Lebensmittel an
Foodwatch: Kindermarketing für Lebensmittel Quelle: Foodwatch
Mondelez Quelle: Foodwatch
ferrero Quelle: Foodwatch
Intersnack Quelle: Foodwatch
Coca-Cola Quelle: Foodwatch
Pepsico Quelle: Foodwatch
Danone Quelle: Foodwatch

Die „Mogelpackung des Jahres“ wird erst seit 2013 gekürt. Die bereits seit zehn Jahren geführte Mogelpackungsliste der Verbraucherzentrale enthält über 1000 Produkte. Daran erkennt man, dass es keinesfalls „Ausrutscher“ der Markenartikelindustrie sind, die wir hier zu beklagen haben, sondern eine ständige und bewusste Irreführung der Verbraucher, die bezeichnenderweise von den größten Konzernen und ihren Marken angeführt wird.

Mangelhaft ist auch die Intelligenz der Hersteller

Dass zeitgleich die Stiftung Warentest in ihrer jüngsten Bewertung von 26 Olivenölen der höchsten Güteklasse „nativ extra“ zum erschreckenden Ergebnis kommt, dass jedes zweite dieser Öle mangelhaft ist, überrascht inzwischen nicht mehr. Auch nicht, dass einige der Produkte als „gesundheitlich bedenklich“ eingestuft wurden. Dass in fünf der getesteten Produkte Mineralöl in hoher Dosis festgestellt wurde, bedarf keines Kommentars. Vier sind mit dem möglicherweise krebserregenden Kohlenwasserstoff-Typ MOAH belastet. Die Verbraucherorganisation Foodwatch forderte Hersteller und Händler umgehend zum Rückruf der belasteten Olivenöle auf, die ein „ernstzunehmendes Gesundheitsrisiko“ darstellten.

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