Werbesprech

Marketing und das jüngste Gerücht

Tesla hatte mit einer mysteriösen Ankündigung auf Twitter für Aufsehen gesorgt. Der unangefochtene Meister in dieser Disziplin ist aber der Apple-Konzern. Sind Gerüchte das neue Ei des Kolumbus in Werbung und Marketing?

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Tesla-Chef Elon Musk Quelle: REUTERS

Werbung hat ein geradezu unglaubliches Füllhorn an Aufgaben. Werbung soll Aufmerksamkeit und Sympathie schaffen, Markenwerte aufbauen und festigen. Vor allem aber muss Werbung verkaufen. Niemand brachte es besser auf den Punkt als Sergio Zyman, ehemaliger Chief Marketing Officer des Brause-Imperiums Coca-Cola: „Advertising is not an art form. It’s about selling more stuff more often to more people for more money“ (zu deutsch: "Werbung ist keine Kunstform. Es geht darum, mehr Zeug häufiger an mehr Menschen für mehr Geld zu verkaufen").

Nicht minder groß ist das Füllhorn an Kanälen und Maßnahmen, die das Marketing nutzen und ergreifen kann, um auf seine Marken und Dienstleistungen aufmerksam zu machen. Neben klassischer Werbung in Massenmedien stehen Verkaufsförderung, Direct Marketing, PR, Customer Relationship Marketing und viele andere mehr zur Verfügung. Seit der Digitalisierung kamen unzählige neue wie Websites, Search Engine Marketing, Corporate Blogging, Data Mining und Social Media hinzu.

Wer sich als Verantwortlicher für Marketing und Werbung nach Erfolg sehnt, sieht sich gezwungen, immer mehr dieser Plattformen auch tatsächlich aktiv zu bespielen - wenn er keines dieser Felder dem Wettbewerb kampflos überlassen will. Wer aber glaubt, sich dann der verdienten Ruhe hingeben zu dürfen, sieht sich getäuscht. Denn nun erwacht eine neue, scheinbar jungfräuliche Disziplin am Marketing-Firmament: Das Gerücht.

Ein Tweet sagt mehr als tausend Worte

Es geht um geheimnisvolle, mysteriöse Ankündigungen. Das trickreiche an diesem neuartigen Marketing-Coup ist, dass man nicht darauf wartet, bis ein solches Mysterium um die Marke entsteht, sondern es selbst geschickt einfädelt und steuert. Das jüngste Beispiel ließ selbst erfahrenste Strategen vor Neid erblassen: Elon Musk, Chef des Autobauers Tesla, setzte am 30. März bei Twitter eine geheimnisvolle Botschaft ab:

Seine 1,8 Millionen Follower reagierten mit großem Engagement (Werbesprech: Involvement) auf die Ankündigung, dass Tesla kein (!) Auto vorstellt: Sein Tweet erhielt mehr als 7500 „Retweets“ und fast 6000 „Favorisierungen“.

Die Presse folgte mit unzähligen Berichten und steigerte die Spannung bis zum Exzess. Doch damit nicht genug: Der Aktienwert des Elektroauto-Bauers legte zu und rauschte um abenteuerliche $900.000.000 nach oben. Die Zeiten, in denen der Wert von Twitter für die Unternehmenskommunikation bezweifelt wurde, dürften damit endgültig der Vergangenheit angehören.

Forderten die Marketingchefs ihre Agenturen früher noch dazu auf, ihnen eine „Lila Kuh“-Kampagne zu entwerfen oder einen Film zu drehen, der „viral geht“, werden sie ab heute einen „Tesla“ fordern: Erfinden Sie ein mysteriöses Gerücht, das unseren Börsenkurs um mindestens hundert Millionen steigert.

Apple - immer einen Schritt voraus

Doch - wie so viele der gehypten „Alter Wein in neuen Schläuchen“-Maßnahmen - ist auch dieses, nennen wir es Mystery Marketing, nicht wirklich neu. In Sachen mysteriöser Ankündigungen ist Apple ungeschlagener Weltmarktführer. Bevor Apple ein neues iPhone einführt, wird gern einmal ein Prototyp in einer Bar liegengelassen, völlig unbeabsichtigt natürlich. Und die Öffentlichkeit fällt jedes Mal darauf herein.

Doch Apple wäre nicht Apple, würden sie nicht auch ihre Marketingkünste auf immer neue Spitzen trieben. Die angeblich von Erst-Besitzern kolportierte Nachricht, dass sich das iPhone 6 in der Hosentasche verbiegt - ein genialer PR-Schachzug - führte zu einem kaum versiegenden Strom von News, Tweets, Likes und Videos - und wie von Apple minutiös geplant zu einer Explosion der Nachfrage. In Sachen Mysterium macht Apple so leicht keiner etwas vor.

Twitter selbst, stets verlegen um ein nachhaltiges und für jedermann verständliches Geschäftsmodell, lanciert immer wieder gern das Gerücht, von Google aufgekauft zu werden - und schon ist die Welt in Ordnung und der Aktienkurs wieder im Lot.

"Umparken im Kopf" - Wenn Firmen neugierig machen wollen
„Umparken im Kopf“Die Welt ist voller Missverständnisse – das greift die Werbekampagne „Umparken im Kopf“ auf ihren zahlreichen Plakaten in deutschen Innenstädten auf: „Aus Sicht der Physiker kann die Hummel unmöglich fliegen – Der Hummel ist das egal“ heißt es auf dem einen Plakat, auf dem anderen  „68 Prozent der Männer halten rothaarige Frauen für  feuriger – 90 Prozent davon haben noch nie eine kennen gelernt.“ Die dazugehörige Internetseite zeigt Videos von Prominenten, die sich über Vorurteile aufregen. Das werbende Unternehmen dahinter kommt nicht zum Vorschein. Dabei handelt es sich um eine sogenannte „Teaser“—Kampagne, die Neugier wecken will. In solchen Fällen folgt meist eine Auflösungs-Kampagne, die klar stellt wer oder was dahinter steckt. Hierbei soll es der angeschlagene Autobauer Opel sein, der dies jedoch nicht bestätigt. Werbeexperte Ronald Focken sieht darin einen Versuch, Opel von seinem staubigen Image zu befreien: „Opel hat seit seiner Neuaufstellung gute Kampagnen gemacht, aber konnte mit den herkömmlichen Werbemechanismen nicht von den alten Vorurteilen loskommen“, sagt der Geschäftsführer der Münchner Werbeagentur Serviceplan, die nicht in der Opel-Kampagne involviert ist. Solche Neugier weckenden Kampagnen lohnen sich immer dann, wenn es darum geht, eine alte Marke neu zu entdecken, oder neue Marken vorzustellen. Dies zeigen folgende Beispiele. Quelle: Screenshot
Ich bin ON Quelle: imago/Enters
Don't be a Maybe Quelle: imago / steinach
Daewoo und DuSchon 1995 bediente sich der südkoreanische Autohersteller Daewoo einer Teaser-Kampagne, um sich den deutschen Kunden vorzustellen. Die damals unbekannte Automarke bewarb sich, indem rote Lippen vor weißem Hintergrund eingängig „Daewoo! Daewoo und Du! Daewoo und Du, eine Freundschaft beginnt!“ sangen. Die Stimme dahinter kam von Popstar Jennifer Rush. Daraufhin wurde der Text eingeblendet: „Wenn Sie wissen wollen, wer oder was sich hinter Daewoo verbirgt, rufen Sie bis zum 27.02.1995 an und gewinnen Sie eine Reise nach Fernost.“ Auch hier sollte die Neugier wieder für eine ganze Marke geweckt werden, erklärt Ronald Focken von der Werbeagentur Serviceplan. „Wegen ihrer hohen Kosten gibt es Teaser-Kampagnen meist nie für einzelne Produkte, sondern immer für ganze Markenauftritte.“ Grundsätzlich gehen solche Kampagnen zurück – vor allem sind sie nicht mehr in dem großen Ausmaß zu finden, wie bei E.On 2002. Opel ist aktuell etwa mit weniger Plakaten vertreten und setzt stattdessen stärker aufs Internet.  „Marketingchefs haben heutzutage gar nicht mehr das Budget, in eine Kampagne mit so vielen Plakaten und Printanzeigen zu investieren, die letztlich nur Neugier schaffen soll.“ Quelle: Screenshot

Die Autobauer beherrschen diese Disziplin seit Jahrzehnten in Perfektion. Sie nennen es „Erlkönig“: Da wird ein angeblich neues Automodell hübsch verkleidet und solange über Autobahnen und Landstraßen gejagt, bis selbst der letzte Provinzjournalist ein Foto davon sein eigen nennen darf und es stolz seinen Lesern präsentiert. Selbstverständlich erhalten die Cracks unter den Automobiljournalisten die Route des Erlkönigs bereits Tage zuvor.

Opel hätte alles einfacher haben können

Nicht anders gingen die Werber von Opel vor, als sie ihre neue „Umparken im Kopf“-Kampagne erschufen. Unter Reklameleuten nennt man es „Teaser“: Der Betrachter erblickt ein Plakat mit einer Botschaft, jedoch ohne Absender. Er ist zunächst verwirrt ob dieses Mysteriums, wird aber bald von einer sündhaft teuren TV-Kampagne erlöst, die ihm verrät, dass in diesem Fall Opel hinter dem Geheimnis steckt.

Wie wir inzwischen alle wissen, war die Kampagne ein voller Erfolg: Opel verschaffte sich ein attraktiveres Image, verkaufte mehr Autos und steigerte seinen Marktanteil. Der einzige Wermutstropfen: Die Kampagne kostete ein Vermögen. Und spätestens seit Tesla wissen wir: Ein Tweet hätte völlig ausgereicht.

Was Erfolg hat, wird sofort kopiert. Der Verbraucher freut sich bestimmt riesig auf die nächsten Mystery-Kampagnen bei Twitter, etwa:

Activia: „Noch besser als Joghurt und Blähbauch. Seien sie gespannt auf den 30. April.“
Deutsche Bank-Vorstand Jürgen Fitschen: „Wir können Bank auch ohne Kunden. Warten Sie nur ab.“
Vodafone: „Der neue Red-Tarif - Voda erstmals ohne Phone.“
Deutsche Bahn: „Umgekehrte Wagenreihung war gestern. Breaking! Unsere neuesten Störungsursachen für den Sommerfahrplan…“

Jetzt muss allerdings noch ein schnittiger, cooler Begriff her: Ein passendes Buzzword für die Gerüchte- und Mystery-Marketingdisziplin. Denn ohne Buzz würde sie, das weiß jedes Kind, in der Marketing- und Werbebranche niemals zur Höchstform auflaufen. In Anlehnung an Elon Musk und zu seiner gebührenden Ehrung sollte man es „Musking“ taufen.

Es vergehen nur wenige Wochen, bis die ersten, hoch spezialisierten Musking- Agenturen aus dem Boden sprießen. Und die neuen Planstellen in den Marketingetagen hießen dann folgerichtig: CMM „Chief of Mystery Marketing“.

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