Blickt man zurück auf das vergangene Jahr, dann gab es nur wenige Kampagnen, von denen man sagen könnte, sie hätten für Furore gesorgt. Zum einen Coca-Colas „Share a Coke“-Kampagne mit den individualisierten Namen, andererseits die Hornbach-„Panzerstahl-Hammer“-Kampagne, die bei fast allen Preisverleihungen der Werbebranche als Sieger aufs Treppchen stieg. Viel mehr hatte die Branche an spektakulären Kampagnen leider nicht zu bieten.
Jetzt wird Werbung supergeil
Das Werbefrühjahr startet jedoch bemerkenswert - mit gleich mehreren Werbekampagnen, die die Aufmerksamkeit der Menschen auf sich ziehen. Den Anfang machte Edeka mit seinem „Supergeil“-Viralspot, der schon mehr als sieben Millionen Mal bei YouTube angesehen wurde. Dieser Auftritt einer deutschen Handelskette ist so ungewöhnlich, dass er sogar in der amerikanischen Fachpresse Erwähnung fand.
Kurz darauf startete Opels #umparkenimkopf-Kampagne. Tina Müller, erste(r) weibliche Marketingvorstand in einem deutschen Automobilkonzern, beginnt ihre Arbeit mit einem mutigen Paukenschlag. Die schwer zu übersehende Kampagne soll das angeschlagene Image von Opel in Frage stellen und einen Neubeginn signalisieren.
Vergangene Woche ging es Schlag auf Schlag: Erst die O2-Tochter Netzclub mit einer Kampagne namens „Mach mit bei F.I.K.“, einer Anspielung auf den FKK-Trend vergangener Tage, die mit Nackedeis im Bus um einen werbefinanzierten Internetzugang wirbt. Dann die bislang so gut wie unbekannte Modemarke Wren, die mit ihrem „First Kiss“-Video nicht nur weltweit die YouTube-Hitlisten stürmte, sondern auch die Presse in Deutschland (Horizont: „Der beste Viral-Film aller Zeiten“) zu unzähligen Berichten veranlasste. Und nun auch Danone mit Activia, die im neuesten Spot ihre bisherige Blähbauchreklame durch niemand geringeren als Shakira ersetzen.
Aufmerksamkeit um jeden Preis
In einem Punkt sind sich diese neuen Werbehits sehr ähnlich: Sie wollen Aufmerksamkeit um jeden Preis. Der Weg ist durchaus richtig. Denn eine Kampagne, der ihre Zielgruppe keine Beachtung schenkt, kann weder Sympathie noch Kaufbegehren auslösen. Doch tun sie das?
Die meisten Käufer im Lebensmitteleinzelhandel sind, dem Bevölkerungsschnitt gleich, älter als 45 Jahre. Und der Anteil der älteren „Silver Ager“ nimmt bei steigender Lebenserwartung und sinkender Bevölkerungszahl bekanntlich immer stärker zu. Auch Edeka dürfte wissen, dass man den demografischen Wandel kaum mit Werbung aufhalten kann. Statt jedoch eine Kampagne für die älteren Konsumenten zu lancieren, die ihre Bedürfnisse vom Einzelhandel zu wenig berücksichtigt sehen, zielt man mit der Viral-Kampagne ausgerechnet auf die jüngeren.
Die „Supergeil“-Kampagne wird Edeka, dazu muss man kein Prophet sein, keine neuen Kunden zuführen. Zumal sie den Slogan „Wir lieben Lebensmittel“ regelrecht konterkariert, der parallel dazu im Fernsehen beworben wird. Hinzu kommt, dass die Edeka-Kaufleute den Streifen mit dem „gestylten Penner“ offenbar selbst nicht besonders supergeil finden: Als RTL den Spot in einem Edeka-Markt nachspielen wollte, verstand man keinen Spaß und schmiss den scheinbar verwirrten Protagonisten kurzerhand raus.
Wenn Werbung Autos umparkt
Als Audi 1986 für seinen Quattro den Slogan „Vorsprung durch Technik“ erfand und diesen Vorsprung mit einem spektakulären TV-Film, der in die Werbegeschichte einging, unter Beweis stellte, war dieser Anspruch auch nach innen gerichtet. Die eigene Entwicklung verstand den Aufruf und entwickelte Autos, die heute selbstverständlich in einem Atemzug mit Mercedes und BMW genannt werden. Wenn das auch Tina Müllers Absicht bei Opel ist, dann beschreitet sie selbstbewusst den richtigen Weg. Nun müssen jedoch auch Taten folgen. Die jüngsten Kreationen des Hauses, Adam und Mokka, liegen zwar im Soll, der Opel Adam schwächelte jedoch bereits nach wenigen Monaten. Das beste, was Opel passieren kann: In zehn Jahren blicken wir auf die #umparkenimkopf-Kampagne zurück und erkennen, dass dies der Startschuss in eine erfolgreichere Zukunft war.
Über die „Mach mit bei F.I.K.“-Kampagne hingegen müssen wir nicht viele Worte verlieren. Sie verdient höchstens Hohn und Spott. Sie enthält keine Aussage über die O2-Marke und kaum ein Internet-User wird sich mit ihr ernsthaft identifizieren wollen. Umsatzsprünge wird diese krude Sex-sells-Kampagne wohl nicht auslösen.
Wie man dagegen eine bislang fast unbekannte Marke ins Zentrum der Aufmerksamkeit seiner Zielgruppe pusht, das beweist die Modemarke Wren mit ihrem viralen „First Kiss“-Blockbuster. Der Film geht emotional unter die Haut und besitzt viel Gespür für seine Zielgruppe. Und - das hören Werber nicht gern - er macht eine Marke bekannt, ohne Millionen für Werbung („paid media“) zu investieren. Von Wren werden wir sicherlich noch hören.
Das Ende des Blähbauchs
Activia als alteingeführte Marke im hoffnungslos überbesetzten Joghurt-Regal betreibt mit Shakira einen wahren Quantensprung. Der Werbefilm bleibt bei seiner Botschaft „Wohlfühlen“, zeigt jedoch statt „Mutti in der Küche, die gegen ihren Blähbauch anlöffelt“ den schönsten Bauch des Popgeschäfts, wie die Frankfurter Rundschau einmal schwärmte. Die Marke bleibt sich und ihrer Botschaft treu und wird Shakiras Honorar locker wieder einspielen.
Werbekampagnen müssen sich nun einmal am Erfolg messen lassen. Und dazu ziehen die Unternehmen in der Regel den Umsatz als Erfolgskennziffer heran. Coca-Cola setzte durch seine Kampagne acht Prozent mehr Brause ab. Auch Hornbach erzielte und erwartet in einem schwierigen Umfeld einen leicht steigenden Umsatz. Wren, Activia und womöglich auch Opel werden die gewonnene Aufmerksamkeit ebenfalls zu monetarisieren verstehen. Pure Aufmerksamkeit jedoch, die nicht auf die Marke einzahlt und letztendlich damit auch den Umsatz ankurbelt, ist wertlos. Sergio Zyman, ehemaliger Marketingchef von Coca-Cola, sagte dazu: „Advertising is not an art form. It’s about selling more stuff more often to more people for more money.“ Recht hat er.