Werbesprech

Werbung aus der Mottenkiste

War die Werbung früher besser? Vieles spricht dafür, wenn man Werbeklassiker wie die neu aufgelegten Allianz-Spots betrachtet. Von ihnen können wir lernen. Marken, die sich nicht darauf besinnen, welche Aufgabe die Werbung besitzt, werden die nächsten Jahre nicht überleben. Das Internet ist voll von ihnen.

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Allianz Quelle: dpa

Mancher Fernsehzuschauer erlebte in den letzten Tagen eine Überraschung. Im Werbeblock flimmerte plötzlich ein Spot der Allianz, der einem irgendwie bekannt vorkam - zumindest aber den Über-40-Jährigen unter den Zuschauern. Anlässlich des 125-jährigen Jubiläums der Versicherung griff man ganz tief in die Mottenkiste und zauberte einige Werbeklassiker aus den Achtzigerjahren hervor.

Aufwendig restauriert laufen die Spots nun erneut über den Bildschirm: Der Unfall mit dem italienischen Tomatenstapel, der Ausrutscher auf der Bananenschale und der Streit mit dem Nachbarn um den Kirschbaum. Die Botschaft, so erläutert Alexander Vollert, Vorstandsvorsitzender Allianz AG: „Die Allianz ist über Generationen an der Seite der Kunden, damals wie heute.“ Für die Fachzeitung Horizont ist es der ganz tiefe Griff in die Retrokiste.

Neuer Hype in alten Schläuchen

So anders als die Werbefilme heute wirken die alten Spots zunächst nicht. Doch vor 35 Jahren, also noch vor dem Start des Privatfernsehens in Deutschland, waren die Werbespots deutlich länger. Man nahm sich 60 Sekunden Zeit seine Geschichte zu erzählen, die Schnitte waren ruhiger. Heute dagegen, in Zeiten, in denen Controlling-Abteilungen über den Werbeausgaben des Marketings wachen, bringt es ein durchschnittlicher TV-Spot nicht einmal mehr auf 20 Sekunden. Die Botschaften müssen den Zielgruppen schnell, effizient und vor allem preiswert um die Ohren gehauen werden.

Vergeblich fordern viele Werber daher mehr „Storytelling“, als wäre es ein brandneuer Hype. Sie wollen - wie es Hornbach seit Jahren erfolgreich vormacht - aus dem Sumpf der Werbeblöcke herausragen, den Endverbraucher umgarnen und den Marken wieder Inhalte verleihen. Die meisten von ihnen wissen nicht, dass es diese „goldenen Zeiten“ der Werbung einmal gab. Stattdessen füllen Werbekunden die endlos langen Werbeblöcke mit Kurzbotschaften, in denen gerade einmal die Zeit bleibt, den unvermeidlichen Rabatt in die Wohnzimmer hinauszuschreien. Mit der ursprünglichen Aufgabe der Werbung, Marken zu positionieren und ihnen Inhalte zu geben, hat das nicht mehr viel zu tun. Gleichzeitig aber wundert sich die Branche, dass die Markenloyalität sinkt.

Die beliebtesten Werbefiguren der Deutschen
Platz 10: Playboy-HaseDer Hasenkopf ist das Markenzeichen des von Hugh Hefner gegründeten, weltbekannten Männermagazins Playboy. Im Jahr 1953 wurde das Logo vom Designer Art Paul entworfen und schmückt seit der zweiten Ausgabe jedes Cover der US-Ausgabe. Quelle: AP
Platz 9: Jägermeister-HirschAuf den Flaschen des Kräuterlikörs aus Niedersachsen ist der Kopf eines Hirschs mit einem leuchtenden Kreuz zwischen seinem Geweih zu sehen. Bekannt wurde die Werbefigur durch eine TV-Kampagne, bei der die beiden Hirsch-Köpfe Rudi und Ralph freche Sprüche zum Besten gaben und so vor allem ein jüngeres Publikum ansprechen sollten. Quelle: AP
Platz 8: Salamander LurchiDie Zeichentrickfigur Lurchi ist seit 1937 das Markenzeichen des Schuhherstellers Salamander. Lurchi hat sich zu einer Kultfigur entwickelt; es erschienen zahlreiche Hefte mit Geschichten für Kinder und diverse weitere Sammelobjekte. Ursprünglich hatte das deutsche Unternehmen gar keine Kinderschuhe im Angebot, die Hefte sollten nur dazu dienen, quengelnde Kinder im Verkaufsraum ruhig zu stellen. Die Lurchi-Geschichten wurden vor allem durch den Texter Erwin Kühlewein und den Zeichner Heinz Schubel geprägt. Der ursprüngliche Zeichner der Figur ist bis heute unbekannt. Quelle: AP
Platz 7: Michelin-MannDie Werbefigur des französischen Reifenherstellers, hierzulande "Michelin-Mann" genannt, heißt im Original Bibendum. Firmengründer André Michelin ist auch der Vater der Werbefigur. 1894 sah sein Bruder auf der Weltausstellung in Lyon einen Stapel unterschiedlich großer Reifen und sagte zu André: "Wenn er Arme hätte, sähe er fast wie ein Mensch aus". Angeregt durch ein Werbeplakat, das einen dicken, Bier trinkenden Bayern mit dem Spruch „Nunc est bibendum” („Lasst uns anstoßen!”) zeigt, bestellte André Michelin ein Plakat, auf dem ein imposanter Reifenmann einen mit Glasscherben und Nägeln gefüllten Pokal hochhält - darüber der Trinkspruch „À votre Santé. Le pneu Michelin boit l'obstacle!” („Auf Ihr Wohl! Michelin schluckt die Hindernisse!”) So erhielt der Michelin-Mann seinen Namen Bibendum, erzählt der Konzern auf seiner Website. Quelle: dpa
Platz 6: Meister ProperDer zwinkernde Meister Proper mit Glatze und Ohrring verspricht deutschen Hausfrauen seit 1967 mühelose Sauberkeit. Bereits zehn Jahre zuvor wurde "Mr. Clean" in Chicago zum Leben erweckt. Zum Sortiment der Marke zählen zum Beispiel Allzweckreiniger, Badreiniger und WC-Steine. In den 90ern entstand ein Kult um Meister Proper, damals wurde sogar eine Modekollektion entworfen.Bild: Procter & Gamble Quelle: Presse
Platz 5: Lila Milka-KuhKühe sind lila - das weiß dank Milka in Deutschland jedes Kind. Bis heute gibt es 110 Werbespots mit der lilafarbenen Kuh. Schlagzeilen machte besonders das lebende Vorbild namens "Schwalbe": die Kuh sollte 1991 geschlachtet werden, bekam dann aber dank eines Aufschreis der Bevölkerung ihr Gnadenbrot. Quelle: dpa
Platz 4: HB-Männchen"Halt, mein Freund! Wer wird denn gleich in die Luft gehen? Greife lieber zur HB!", lautete der Slogan von Bruno, besser bekannt als "das HB-Männchen". Die Zeichentrickfigur gehörte zum Tabakwarenhersteller British American Tobacco, der damit für seine Marke HB warb. Die Zigarette wurde als Problemlöser und Entspannungsmittel beworben. Im Fernsehen wurden zwischen 1957 und 1984 Spots mit Bruno gezeigt, in den 60ern kannten 96 Prozent der Zuschauer das HB-Männchen. Damals war HB die bekannteste Zigarettenmarke Deutschlands. Quelle: dpa

War früher alles besser?

In den Siebziger- und Achtzigerjahren entstand nachhaltige Werbung für nachhaltige Marken, von denen bereits damals viele auf eine lange Markengeschichte zurückblickten. Henkel ersann 1970 für Persil die erfolgreiche Promotion-Kampagne „Das Beste“, die wir seitdem jedes Jahr aufs Neue erleben. Und irgendwie verwundert es nicht, dass sich die Werbepots kaum verändert haben.

Bezeichnend ist auch, dass die berühmtesten Werbekampagnen, mit denen VW und ihre Agentur DDB seit Jahrzehnten kokettieren, aus den Sechzigern stammen: „Er läuft und läuft und läuft…“ und „Es gibt Formen, die man nicht verbessern kann“.

Erst kürzlich wurde der Spot für die friesische Biermarke Jever durch einen neuen ausgetauscht. Der Klassiker lief seit 1995 und galt als der älteste im deutschen Fernsehen. 2004 hatte die Brauerei den Spot schon einmal aus dem Programm genommen, doch - so wird kolportiert - die Fans der Biermarke protestierten und die Brauerei entschied, den alten Werbefilm weiter auszustrahlen.

Besonders den weiblichen Fans hatte es der Hauptdarsteller Olivier Debray offenbar angetan. Der Medienpsychologe Roland Mangold ergänzt: „Der Spot strahlt eine ungeheure Ruhe und Weite aus.“ Für viele Zuschauer sei der Jever-Spot eine wahre Erholungsinsel im Wust der lärmigen Werbung.

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