Sie kennen Tomatolix? Sally? Die Marmeladenoma? Wenigstens Julien Bam? Aber die Lochis kennen Sie doch? Sie sollten Sie kennen. Sie alle sind Preisträger des Webvideopreises 2017, der in der vergangenen Woche vor Tausenden begeisterter Zuschauer im ISS Dome in Düsseldorf zum siebten Mal von der European Web Video Academy (EWVA) verliehen wurde.
Alle Kommentatoren sind sich einig: Der Webvideopreis ist erwachsen geworden. 2011 von Markus Hündgen und Dimitrios Argirakos als bescheidene, kleine Veranstaltung im Astra Theater in Essen gestartet, zählt er inzwischen zu den begehrtesten Awards des Landes. Jan Böhmermann bezeichnet ihn als den „wichtigsten Internetpreis“ überhaupt. Die "Rheinische Post" nennt ihn gar den „Oskar einer neuen Generation“. Inzwischen fungiert die ARD als Medienpartner.
Der Promi-Auflauf in Düsseldorf war enorm. Von Barbara Schöneberger („Ich bin die Award-Babsi. Ich verleihe in Deutschland alles.“) moderiert, gingen die begehrten Preise auch an den WDR, Neo Magazin Royale, Carolin Kebekus und die BVG.
Marketing und Werbung tun sich mit dem Phänomen schwer. In den letzten Jahren hatten die Veranstalter große Schwierigkeiten, Sponsoren aus der Wirtschaft zu gewinnen. Die Werbung ist in der neuen Gegenwart noch lange nicht angekommen. Zwar hatte schon immer jede Generation ihre eigenen Lieblinge, doch die Borniertheit der Werbewirtschaft ist kaum nachzuvollziehen. Wo doch angeblich „Digital first“ die Hauptantriebsfeder moderner Marken zu sein hat.
Hart verdienter Glamour: Durchschnittseinkommen je Post je Nische auf Instagram
434 Dollar
Quelle: Adweek
385 Dollar
326 Dollar
320 Dollar
306 Dollar
217 Dollar
205 Dollar
205 Dollar
201 Dollar
172 Dollar
Teenies mit sieben Siegeln
Die Werbung irrt den jungen Zielgruppen zwar hinterher, doch sie versteht sie nicht. Für 30-jährige Product Manager, Art Directoren und Mediaplaner sind die heutigen Teenies ein Buch mit sieben Siegeln.
Das Einzige, was den Werbern einfällt, ist das Propagieren des neuen Buzz namens „Influencer Marketing“. Sie drücken jungen YouTube-Stars ihre Produkte in die Hand, damit diese bei ihren bisweilen Hundertausenden Fans für sie werben. Der Webvideopreis-Macher Markus Hündgen hält den Hype um Influencer für Horror-Marketing. Zudem gibt es reichliche Probleme mit den Medienwächtern.
Für André Krüger ist Influencer Marketing bereits kaputt. Er spricht vom Influencer-Doping und beanstandet gefakte Follower- und Like-Zahlen: „Noch immer ist es ein Leichtes, für den eigenen Instagram-Kanal Follower, Likes und Kommentare mittels automatisierter Bots zu generieren oder gleich für einen überschaubaren Betrag zu kaufen.“ Er fordert eine dringende Reparatur der jungen Disziplin.
Werber sind wie Flipperkugeln
Wirre Zeiten für Werber. Tatsächlich dengeln sie wie die Kugel eines Flipperautomaten hin und her zwischen den modernen, hippen Kommunikationsformen wie Influencer, Native, Content und Programmatic. Gleichzeitig sollen sich Marketingverantwortliche aber auch mit Big Data beschäftigen. Und aus ihrer Werbung „360-Grad-Kampagnen“ entwickeln.
Dabei sind die größten Probleme der Werbebranche noch ungelöst. Die Wirkung vieler Kampagnen schwindet - schon deshalb, weil die Reichweiten vieler Medien rückläufig sind. Die Auflagen der Printmedien sinken, das Fernsehen verliert Zuschauer an Netflix und Co. Und das Internet liefert keinen adäquaten Ersatz.
Die Wirkung der Bannerwerbung befindet sich auf einem Tiefpunkt. Die Zahl der Adblocker steigt unaufhörlich. Die Branche kämpft mit Ad Fraud (Online-Betrug), Bots und immer größer werdenden Problemen mit Werbung auf unerwünschten Webseiten. Brand Safety ist das große Thema des Jahres. Die Automatisierung der Werbung („Programmatic“) ist keine Lösung, sondern vergrößert eher die Probleme.
Mobile: Das falsche Pferd
Bevor die Branche Gelegenheit fand, sich dieser Probleme anzunehmen, ziehen die Endverbraucher längst weiter: Noch in diesem Jahr werden 71 Prozent der weltweiten Internetnutzung auf Mobile entfallen. Zu diesem Ergebnis kommt der "Media Consumption Forecast" der Agentur Zenith. Auch der Anteil des mobilen Internet an der gesamten Mediennutzung steigt: 2019 werden 26 Prozent des Medienkonsums im mobilen Internet stattfinden.
Nach einer aktuellen Studie von Adobe zeigt sich hier jedoch die Kehrseite der mobilen Medaille. Trotz (oder wegen?) erhöhter Werbekosten sinken die Engagement-Raten auf allen Plattformen. Ganz besonders gilt das für Werbung auf Smartphones. Mobile Inhalte sorgen für deutlich kürzere Aufmerksamkeitsspannen. Die Werber setzen sehenden Auges wieder einmal aufs falsche Pferd.
Wenn bald ein Viertel der Werbegelder auf mobilen Medien ausgeliefert werden, wiederholt sich das Problem, das der Branche bereits mit Online Kopfschmerzen bereitet. Denn auf den deutlich kleineren Bildschirmen der mobilen Endgeräte findet sich dafür kein Platz. Unsere Smartphones quellen schon jetzt vor Werbung über. Mehr mobile Werbung wird die Verbraucher noch mehr zu Werbeverweigerern machen.
Der deutsche Online-Muffel
Ohnehin sind die Deutschen ein seltsames Volk. Nach einer Studie des Pew Research Center nutzen nach wie vor 15 Prozent unserer Bevölkerung das Internet überhaupt nicht. In den USA verweigern 10 Prozent, in den Niederlanden nur 5 Prozent das Netz.
Bei der Nutzung von Social Media sind wir sogar mit Abstand Letzter: Die Hälfte der Deutschen nutzt zwar das Internet, aber nicht die sozialen Kanäle. Der Anteil der Verweigerer in vergleichbaren Ländern liegt bei einem Viertel. Kein Wunder also, dass Facebook, Instagram und YouTube - und mit ihnen das Influencer Marketing - hierzulande keine Reichweite aufbauen.
Klares Ziel, klare Lösung
Mehr denn je braucht die Werbebranche Lösungen statt immer neuer Probleme. Die Marketingchefs beschäftigen sich derzeit mit so vielen Baustellen, dass sie den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sehen. Einfacher wird es, die richtigen Lösungen für die eigene Marke zu finden, wenn man ein klares Ziel vor Augen hat. Ein eindeutiges Ziel anstatt bündelweise Einzelmaßnahmen, die im überfüllten Werbemarkt schlichtweg untergehen.
Je klarer das Ziel, desto einfacher wird es, zu entscheiden, welche Maßnahme und welche der modernen Marketingdisziplinen Erfolg versprechen - was wichtig ist und was vernachlässigt werden kann. Wer Kundenbindung sucht, wird mit Content Marketing vermutlich mehr Erfolg haben als mit Influencern. Wer eine neue Marke einführt, dürfte mehr Erfolg mit TV haben als mit mobilem Content.
Von allergrößter Wichtigkeit ist jedoch die Frage, welches Maß richtig ist. Wie viel Programmatic macht Sinn? Wie viel Influencer Marketing ist zweckmäßig für die Ansprache der Zielgruppe? Agenturen, die hierbei helfen, gewinnen ihre Kompetenz als Berater zurück.
Ein klares Ziel hilft außerdem, den Erfolg zu messen und daraus zu lernen. Mutige Experimente machen Sinn - aber nur, wenn sie zielführend sind.