Neulich in einem türkischen Fisch-Restaurant auf der Oranienstraße in Berlin-Kreuzberg.
"Ich hätte gerne ein alkoholfreies Weizenbier."
"Nein, wir haben kein Bier", antwortete der Kellner, "wir verkaufen keinen Alkohol.“
Notgetränk für Deppen
Teilweise gibt es das immer noch: Alkoholfreies Bier gilt als Abart von alkoholhaltigem Bier - und das war in Deutschland jahrzehntelang das Problem der alkoholfreien Biere. Es war verdammt als Notgetränk für Schwangere und die Deppen, die an diesem Samstagabend die Autofahrer waren.
Das alkoholfreie Bitburger hieß bis 2007 denn auch Bitburger Drive. Die Variante von Jever wird bis heute so albern "fun" genannt. Man brauchte bislang als Entschuldigung schon gute Argumente dafür, statt eines richtigen Biers zur Langweiler-Variante zu greifen. Deshalb bestellten sich viele stattdessen lieber eine Cola.
Aber dann der Wendepunkt: Mitten in der zuckerfreien Cola-light-zero-Phase sprach sich ab 2008 plötzlich massenhaft herum, dass alkoholfreies Weizenbier ein isotonisches Sportgetränk ist. Gesund wie Apfelsaft mit Mineralwasser. Sogar nach Marathon-Läufen wie in Köln wurde den Athleten direkt nach dem Zieleinlauf ein alkoholfreies Weizen in die Hand gedrückt. Das war der Ritterschlag!
Alkoholfreies Bier war nicht einfach nur ein Bier mit weniger Alkohol. Es hatte den richtigen Bieren etwas voraus. Wer heute alkoholfreies Bier trinkt, ist nicht mehr der Loser. Er ist Sportler. Er ist gesundheitsbewusst.
Die Top Ten Brauereien in Deutschland
Verkauf 2012 in 1000 Hektoliter: Deutschland: 11.440 Export: 560
Verkauf 2012 in 1000 Hektoliter: Deutschland: 8000 Export: 4000
Verkauf 2012 in 1000 Hektoliter: Deutschland: 7015 Export: 507
Verkauf 2012 in 1000 Hektoliter: Deutschland: 6983 Export: 507
Verkauf 2012 in 1000 Hektoliter: Deutschland: 5510 Export: 168
Verkauf 2012 in 1000 Hektoliter: Deutschland: 4400 Export: 1000 (v.a. Paulaner)
Verkauf 2012 in Hektoliter: Deutschland: 3970 Export: 590
Verkauf 2012 in 1000 Hektoliter: Deutschland: 2700 Export: 200
Verkauf 2012 in 1000 Hektoliter: Deutschland: 2660 Export: 240
Verkauf 2012 in 1000 Hektoliter: Deutschland: 2621 Export: 166
Dazu kommt der Geschmack: Früher war er eine Beleidigung für den Gaumen. Wässrig, metallisch, fad. Heute müssen viele Brauer den sensorischen Vergleich ihrer alkoholfreien Schätzchen mit den alkoholhaltigen nicht mehr scheuen - zumindest wenn man nicht direkt die alkoholische Variante nebenher probiert. Ich behaupte: Selbst gestandene Feierabend-Säufer werden mit der ein oder anderen Marke zu überlisten sein, was den Geschmack angeht.
Einem Kollegen habe ich mal erzählt: „Ich streiche nun statt Butter öfters Tomatenmark aufs Brot. Ist gesünder.“ Da guckt mich mein Kollege an, als wäre ich nicht mehr ganz dicht: „Hä? Tomatenmark schmeckt doch nicht wie Butter!“
Ja, na und? Es schmeckt eben anders lecker. Und deshalb muss alkoholfreies Bier auch nicht exakt wie alkoholhaltiges Bier schmecken. Solange es gut schmeckt.
Und den Deutschen scheint es tatsächlich zu schmecken: 2013 haben die deutschen Bierbrauer fast fünf Millionen Hektoliter alkoholfreies Bier verkauft. Das sind immerhin fünf Prozent der gesamten deutschen Bierproduktion, jede zwanzigste Flasche. Mehr als doppelt so viel wie vor dem Beginn des Booms 2008. Und es wird immer mehr, obwohl der Bierkonsum in Deutschland insgesamt seit Jahren rückläufig ist - mit minus zehn Prozent zwischen 2003 und 2013.
Alkoholfreies Bier kann man mittlerweile mit Ausnahme der Läden wie dem Fischrestaurant auf der Oranienstraße selbstverständlich bestellen. Waren es anfangs vor allem die alkoholfreien Weizenbiere, kommt es mir so vor, als ob nun auch in der Gastronomie das alkoholfreie Pils im großen Stile Einzug hält.
Marketing-Frechheiten
Alkoholfreies Bier ist damit zu einer eigenen Erfrischungsgetränke-Sparte aufgestiegen. Und wird deshalb nicht mehr allein mit alkoholhaltigem Bier verglichen, sondern mit Limonaden, Säften und Schorlen. Und kommt da bei den Nährwerten ganz gut weg.
Hier der Vergleich (Angaben pro 100 ml)
Getränk | Kaloriengehalt in Kilokalorien |
Jever fun Alkoholfrei | 13 |
Gerolsteiner Apfelschorle | 24 |
Bitburger Radler Alkoholfrei | 26 |
Coca-Cola | 42 |
Beck´s 4,9% vol | 43 |
hohes C Orange | 43 |
Red Bull | 45 |
frische Vollmilch | 64 |
Dazu kommt: Bier besteht allein aus Wasser, Hopfen und Malz. Industriezucker, Fruktose, Süßstoffe, Farbstoffe, Koffein und Taurin kommen im alkoholfreien Bier nicht vor.
Obendrein sind viele alkoholfreien Biere isotonisch, das heißt im Groben: Das Verhältnis zwischen Nährstoffen und Flüssigkeit im Bier entspricht dem des Blutes und deshalb kann das Bier leicht verdaut werden. Hier muss man allerdings gleich etwas die Luft rauslassen: Denn erstens reicht nach Expertenmeinung bis zu einer Stunde Hochleistungssport Wasser als Durstlöscher aus. Und zweitens fehlt dem Bier oft Natrium, um ein perfekter isotonischer Durstlöscher zu sein. Das gilt allerdings auch für Saftschorlen, die nicht mit ausreichend natriumhaltigem Mineralwasser zubereitet werden. Unterm Strich wirkt alkoholfreies Bier eigentlich wie ein prima Durstlöscher sogar für Kinder.
Verfahren zur Herstellung von alkoholfreiem Bier
Alkoholfreies Bier ist nicht alkoholfrei. Je nach Herstellungsverfahren liegt der Alkoholanteil zwischen 0,02 und den maximal erlaubten 0,5 Volumenprozent. Die ursprüngliche Methode, um unterhalb dieses Grenzwertes zu bleiben, ist das Abbrechen des Gärprozesses – mittels Kälteschock. Dann vergärt die Hefe nur so wenig Zucker, dass sich keine nennenswerten Mengen Alkohol bilden können.
Hier fließt normales Bier durch einen senkrecht stehenden beheizten Zylinder, in dessen Innerem Unterdruck herrscht. So wird der Siedepunkt des Alkohols massiv gesenkt; er verdampft bereits bei einer Temperatur zwischen 35 und 45 Grad Celsius. Das schont die Aromastoffe im Bier. Das entalkoholisierte Getränk fließt in einen separaten Behälter ab.
Alkohol und Bier werden in mehreren Schritten getrennt. Bei Unterdruck fließt alkoholhaltiges Bier von unten in die Anlage, wird erwärmt und verdampft. Oben erhöht sich die Konzentration des Alkohols von Boden zu Boden – unten kann der Alkoholgehalt auf bis zu 0,05 Volumenprozent gesenkt werden. Der Vorteil: Aroma kann entzogen und am Ende wieder zugeführt werden.
Eine Membran trennt zwei Gefäße. In dem einen ist Wasser enthalten, im anderen das alkoholhaltige Bier. Eine Pumpe drückt das Bier im Gefäß nach unten. Die Membran lässt dann den Alkohol durch, der nach und nach ins benachbarte Wasser abwandert. Nachteil: Nicht nur der Alkohol, auch viel des im Bier enthaltenen Wassers und andere Inhaltsstoffe wandern hinüber.
Diese Methode braucht keinen Druck, sondern nutzt die Wirkung des Konzentrationsunterschieds verschiedener Flüssigkeiten. Durch eine röhrenförmige Hohlfasermembran fließt das alkoholhaltige Bier. Auf der Außenseite fließt in entgegengesetzter Richtung Wasser. Durch das Konzentrationsgefälle drängt der Alkohol durch die Membran – das Wasser nimmt ihn auf.
Und trotzdem nein: Denn erstens macht alkoholfreies Bier womöglich den Weg frei für alkoholhaltiges. Und zweitens haben sich die Alkoholfrei-Brauer eine unfaire Marketing-Frechheit erlaubt: Sie nennen ihr Bier alkoholfrei, obwohl es bis zu 0,5 Prozent Alkohol enthält. Das wissen laut Verbraucherschützern aber 70 Prozent der Konsumenten gar nicht. Trotzdem ist diese Etikettierung erlaubt; auch Fruchtsäfte dürfen so viel Alkohol enthalten und gelten ebenfalls als alkoholfrei. Mal wieder einer dieser traditionellen Verbraucher-Irreführungen. So wie Kalbsleberwurst, die vorwiegend aus Schwein bestehen darf.
0,5 ist eben nicht 0,0. Was ist also mit Schwangeren, die an einem heißen Sommertag von mittags bis in die Nacht fünf Flaschen alkoholfreies Bier wegzischen? Die haben dann womöglich nichtsahnend so viel Alkohol getrunken wie in einer halben Flasche normalen Bieres steckt. Ohne es zu wollen.
Richtig alkoholfreies Bier gibt es aber auch. Das ist dann meist gekennzeichnet als „alkoholfrei 0,0“, wie das Bitburger alkoholfrei oder das Kulmbacher alkoholfrei. Doch Beschwerden der Verbraucher fruchten. Die deutschen Bierbrauer haben freiwillig versprochen: Ab 2015 steht auf den Flaschen mit minimal alkoholischem Inhalt „< 0,5% vol.“ Mal abwarten, wo und wie groß.
Laut Deutschem Brauer-Bund sind die Deutschen weltweit führend bei der Herstellung alkoholfreier Biere. Und wahrhaftig: Bei einem Restaurant-Besuch jüngst in Los Angeles habe ich als einziges alkoholfreies Bier ein Clausthaler auf der Karte entdeckt. Ausgerechnet den Klassiker aus Zeiten, als alkoholfreies Bier den Leuten bei uns noch peinlich war.
Wenn die deutschen Brauer jetzt durchstarten, dann kann das was werden: gesundes Bier, das schmeckt. Aus dem Land, das vielen in der Welt als die Heimat des Bieres gilt. Und alles trotzdem nach dem Reinheitsgebot von 1516. Tradition und Innovation. Das ist doch nun wirklich das perfekte Marketing-Paket! Na denn nichts wie los. Damit man nicht immer Jägermeister trinken muss, wenn man im Urlaub Heimweh kriegt.
Unser Redakteur Thorsten Firlus-Emmrich machte sich bereits auf die Suche nach dem besten alkoholfreien Bier für Sportler: >>Hier geht es zum Test