Die Deutsche Bahn betreibt einen Twitter-Account: An @DB-Bahn kann man Fragen zu allem rund um die Zugfahrt stellen und bekommt manchmal sogar flott Antwort. Ich formulierte jüngst aus einer Zigarettenrauchschwade heraus, die aus dem hinteren Triebkopf nach vorne in den Passagierbereich gezogen war: "Auf vielen Fahrten geht ICE2-Personal unterwegs in die hintere Spitze zum Rauchen. Dürfen Fahrgäste da auch mit?"
Und die Antwort des DB-Twitter-Teams knapp zwölf Stunden später lautete: "Nein."
Und ich spürte in jedem dieser vier Buchstaben knirschendes Zähnefletschen. War ich dem gigantischen Staatsbahn-Monopolisten zu nahe getreten?
Den Twitter-Profis von den Berliner Verkehrsbetrieben wäre das nicht passiert. Dort sitzen Menschen mit Spaß an kleinen Seitenhieben und keilen gerne mit Humor zurück.
Etwa über den BVG-eigenen Kanal #weilwirdichlieben. Der Hashtag ist natürlich wie dafür gemacht ist, verärgerte Kunden dazu zu provozieren, Dinge zu twittern im Stil von: "Wenn ihr uns Kunden liebt, warum kommt dann der scheiß M29 schon seit 16 Minuten nicht?" Aber gerade diese ironisch überhöhte Anbiederung an die Fahrgäste ist der Clou. Diese Mischung aus Augenzwinkern und echtem Beistand.
Beispiel:
Kunde twittert: "Sommertemperaturen draußen und der Bus ist beheizt."
BVG antwortet: "Da waren wohl wieder die finnischen Techniker am Werk. Einfach dem Fahrer Bescheid sagen."
Kunde: "Hab ich gemacht. Die Antwort: Ick hab doch dit Fenster bei mir uff, dit reicht doch. :\"
BVG: "Dann war vielleicht was kaputt. Aber könnte man wirklich netter sagen."
Bäng. Es ist was kaputt. Heißt: Technische Fehler passieren leider. Könnte man wirklich netter sagen: Solidarisierung mit dem Kunden gegen die eigenen Kollegen. Das macht Eindruck und versöhnt. Garniert mit dem Finnen-Gag - was soll man da als Kunde noch Böses denken? Kommunikation unter Freunden, statt zwischen Kunden und Dienstleister. Twitter-Rhetorik 1+.
Botschaft: Ich nehme dich ernst, aber nehmen wir bitte so eine Busfahrt nicht allzu ernst.
Diese Haltung zieht sich wie ein roter Faden auch durch die Werbung der BVG. Die bedient sich außerdem am coolen Berlin-Image.
Es gibt eine, die zu dir fährt.
— Weil wir dich lieben (@BVG_Kampagne) 14. Juli 2016
📷 @triolenschaukel pic.twitter.com/GomhgZ1DJr
Plakat zum Gaypride: Ein Mann sitzt bei einem anderen auf dem Schoß. Beide in Leder-Fetisch-Klamotten. Text: "Bringt dich ans andere Ufer. Die Tageskarte."
Wäre doch eigentlich auch ein Spruch für die Kölner Verkehrsbetriebe. Dort wirbt man aber eher so: "Das Handy-Ticket. Perfekt für spontane Aktionen." Und auf dem Plakat hält ein Mops ein Smartphone in der Hand. Weil Tiere ziehen ja immer.
Auf den Berliner Straßenbahnen: "Weine nicht, wenn der Regen fällt. Tram, Tram. Tram, Tram."
Oder: "Berliner Luft? Finden wir gut. Lassen wir so."
Liebe Verkehrsbetriebe in Deutschland, versucht es doch auch mal!
In der Bushaltestelle: "Schön, dass du uns besuchst. Ach ja, Schuhe kannst du anlassen."
Oder jetzt zu Olympia auf Facebook ein Foto von Menschen in Allwetterjacken, die einem Doppeldecker-Bus hinterher rennen. Unterzeile: "Dabei sein ist alles."
Zu Gaulands Boateng-Bemerkung die BVG: "Übrigens: Wer keine Nachbarn mag, ist bei uns falsch." Darunter eine halbbesetzte U-Bahn-Sitzbank.
Übrigens: Wer keine Nachbarn mag, ist bei uns falsch. pic.twitter.com/oCNfaT30JB
— Weil wir dich lieben (@BVG_Kampagne) 30. Mai 2016
Oder: "Schon wieder Fashion Week? Wir sind ja schon froh, wenn unsere Gäste eine Hose anhaben."
Oder: "Frohen Ramadan! Pro-Tipp: Im Bus und Bahn ist Essen ohnehin nicht erlaubt."
Oder: "Der echte Berlin-Triathlon: Fähre verpasst, U-Bahn verpasst, Bus verpasst."
Und während andere Verkehrsbetriebe rätseln, ob man denn mit Witzen über Verbote und Verspätungen Werbung machen darf, macht es die BVG einfach. Weil es der Lebenswirklichkeit der Kunden entspricht. Das beseitigt jede Distanz.
Kritiker sagen: Investiert mehr in euren Service und weniger in Werbung. Aber wäre das so, müsste man in Berlin Sprüche lesen wie in Heidelberg: "Ferienzeit - Erlebniszeit mit der VRN-Tageskarte." Und auf dem Foto eine Familie mit Vater, Mutter und Kindern wie aus dem Otto-Katalog der 90er.
Oder in München. Über einem Nashorn mit Helm steht: "Hier stoßen Sie mit Ihrer Nase immer aufs passende Ticket. Online-Ticket-Navigator! Der Durchbruch zu schnellen Ticket-Infos."
In Frankfurt: "Alle fahren mit. Seit 20 Jahren."
Ob man als Erstes oder als Letztes einsteigt, zählt am Ende nicht: pic.twitter.com/VA84SiKyUD
— Weil wir dich lieben (@BVG_Kampagne) 8. August 2016
Oder man verrennt sich wie die Stuttgarter vor drei Jahren. Der VSS warb: "Das Abo rechnet sich. Das check ich auch ohne Abi." Darunter abgebildet ein tätowierter schwarzhaariger Muskelbursche im Tanktop mit Sonnenbrille und verschränkten Armen in Türsteher-Manier. Die Leute schäumten ob der Überheblichkeit gegenüber geringer gebildeter Kundschaft. Dazu der Geschäftsführer Horst Stammler: "Wenn man Werbung macht, dann ist es zunächst prinzipiell gut, wenn es überhaupt Reaktionen gibt." Nein, ist es nicht. Für Effekt-Hascherei ist eben nicht jedes Mittel recht.
Wenn schon überzeichnete Klischees, dann liebevoll und mit Respekt. Der Grad zwischen clever und peinlich ist eben schmal. Da muss man gut sein.
Die Berliner Verkehrsbetriebe gehen da mutig und schlau voran. Das passt zu einer Hauptstadt. Oder anders gesagt: Es passt so gar nicht zum Bild, das Berlins öffentliche Einrichtungen und Behörden sonst oft abgeben. Sonst klappt da nicht viel. Und deshalb ist die BVG-Kommunikation so erwähnenswert.
Tweet von Berliner Morgenpost vorgestern (Montag) Mittag: "Video aufgetaucht: Dieser Mann fährt einfach nackt mit der Berliner U-Bahn."
Antwort BVG: "Wo hat der denn seinen Fahrschein? Ach, vielleicht wollen wir das auch gar nicht wissen."
Liebe Verkehrsbetriebe in Deutschland. Versucht sowas doch auch mal. Es wäre für uns Kunden ja auch unterhaltsam, wenn es nicht klappt.