Werner knallhart

Bildverzögerungen versauen die WM-Spannung

Je nach Übertragungstechnik jubelt man bei der WM als Erster - oder der Nachbar ruiniert die Spannung kurz vor dem Tor. Die moderne Übertragungstechnik tötet die Stimmung.

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Eines vorweg: Ich will auf keinen Fall die guten, alten Zeiten loben, in denen wir mit unserer alten Röhre nur drei Fernsehprogramme empfangen konnten. Mittags lief Telekolleg, nachmittags die Sesamstraße. Früher war das meiste schlechter. Aber eins war eben doch besser: Fiel bei der Fußball-WM ein Tor, dann erfuhren wir es alle in derselben Sekunde.

Das geht heute längst nicht mehr. Je nachdem, mit welcher Technik man das Fernseh-Signal empfängt, ist man ganz vorne mit dabei - oder glotzt hinterher. Das kann dann schon mal bis zu acht Sekunden ausmachen. Wir haben das kürzlich gestoppt.

Guckt man die Tagesschau, ist das wurscht. Die aufgezeichnete Wettervorhersage für morgen ist auch noch in drei Augenblicken aktuell. Aber bei einem Fußball-Spiel sind acht Sekunden eine Ära.

Die Zukunft des Fernsehens
Dieser Ultra HD Fernseher sieht schön aus: Für gutes Fernsehvergnügen fehlen allerdings noch die Inhalte. Ein japanischer Sender will ab 2016 in 8K senden. Aber noch bereiten sie Herstellern und Sendern jede Menge alt bekannter Probleme. Die Frage ist nämlich, wie TV-Sender eigentlich Bilder in UHD-Auflösung zum Zuschauer bringen wollen. Experten vermuten, dass es in zwei bis drei Jahren soweit sein könnte, dass diese Geräte den Massenmarkt erobern. Quelle: REUTERS
Noch sind für 3D-Filme spezielle Brillen notwendig, um das Fernsehen zum Erlebnis zu machen: Doch der Hersteller Philips hat bereits im Frühjahr einen Prototypen für einen 3D-UHD-Fernseher vorgeführt, der sich durch eine bessere Raumtiefe als der Toshiba-TV auszeichnet. Es wird erwartet, dass diese Fernseher vielleicht noch in diesem Jahr auf den Markt kommen. Quelle: dpa
Sie sehen aus wie ein Bild, das man ins Regal stellt, sind aber Fernseher mit einem extrem flachen "OLED-Display" - zusätzlich mit konkaver Wölbung. Die Wölbung wird erst durch den Einsatz organischer Leuchtdioden (OLED) möglich, die gerade ihren Siegeszug in der Displaytechnik antreten. Es gibt bereits mehrere Anbieter wie Samsung und LG, die entsprechende Fernseher entwickelt haben - zu teilweise saftigen Preisen von knapp 9000 Euro. Quelle: REUTERS
Hoher Stromverbrauch und besonders teuer sind diese Modelle der TV-Tapete: Aber machbar sind die Geräte bereits aufgrund der OLED-Displays. Bis sie sich aber tatsächlich rentieren und auch in Hinblick auf ihre Energieeffizienz besser werden, wird es wohl noch eine Weile dauern.
Samsung führte auf der IFA in Berlin wieder diverse Plasma-Geräte ins Rennen. Besonders heiß diskutiert wird das neue Flaggschiff der Serie F8590. Eingebaut ist ein Full-HD-Panel, das für satte Schwarztöne und eine beeindruckende Bildhelligkeit sorgt. Sprach- und Gestensteuerung sind zur App-Bedienung eingebaut. Ebenfalls integriert ist eine ausfahrbare Kamera sowie integriertes WLAN. Der F8590 wird in zwei Größen erhältlich sein. Als PS64F8590 in 64 Zoll und PS51F8590 mit 51 Zoll Diagonale. Er soll 2500 bis 3500 Euro kosten. Quelle: Presse
Auf der Ifa kam ein sogenannter Laser-Beamer immer wieder als Wunsch auf. Bereits 1993 gab es Laser-Videoprojektionen, auch Laser-TV sind in der Entwicklung. Der erste, der auch wohnzimmertauglich ist, wurde 2009 von Mitsubishi vorgestellt. Stören beim Fernsehgenuss könnte aber vor allem das Lüftergeräusch. Quelle: AP
Die neuesten Filme bequem auf der Couch sehen, in dem man sie aus dem Internet streamt - das geht schon heute, ist aber nicht immer legal. Auch machen die meisten Internetzugänge oder Flatrates das oft nicht mit. Internetstreaming macht nur Sinn, wenn auch die Internetzugänge und vor allem die Flatrates besser werden.

Acht Sekunden reichen, um eine Kurznachricht zu verschicken: "Scheiße."

Acht Sekunden reichen, um auf den Balkon zu gehen und durch die Nachbarschaft zu rufen: "Rote Karte und Elfmeter!"

Acht Sekunden reichen, um von Analog auf HD umzuschalten, um dasselbe Tor noch einmal live zu sehen. Zweimal live sehen! Das geht erst dank digitalem Fernsehen.

Aber die Nachteile der Verzögerung überwiegen. Gehen Sie mal in die Oranienstraße nach Berlin-Kreuzberg. Man hat den Eindruck: Wer als Gastronom seinen Gästen nicht einen Großbildfernseher ins Fenster stellt und ein paar Stühle auf den Gehweg, der hat sie nicht mehr alle.

Nun sitzt man dort zum Beispiel vor seinem kleinen Kreuzberger Restaurant mit einem Bier und DVB-T vor der Nase und kann das Spiel gleichzeitig noch vom Kiosk nebenan hören. Der hat einen Fernseher an Eisenketten vor die Tür gehängt und eine Bank rausgestellt. Außerdem gibt's das Spiel auf der gegenüberliegenden Straßenseite auf zwei Fernsehern und zwei Leinwänden mit Beamer. In zwei oder drei dieser Etablissements gehen Bild und Ton rund sechs bis sieben Sekunden vor.

Immer wenn von drüben rüber gejubelt wird, hat man also gut sechs Sekunden, um sich ein paar Gedanken zu machen. Etwa beim Spiel Deutschland gegen Ghana.

Erstens: Wie klang der Jubel? Nach: Tor? Oder nach: fast ein Tor? Oder vielleicht war es doch eher ein anerkennendes Jauchzen über ein tolles Manöver, aber ohne Torerfolg?

Zweitens: Aus welchem Laden kommt der Jubel? Aus der deutschen Cocktailbar, aus dem von Türken betriebenen Hamburger-Laden mit Bio-Rindfleisch oder vom Mexikaner?

Drittens: Wie ticken die Gäste in dem jeweiligen Laden?

Beim Ausgleich von Miroslav Klose gegen Ghana lief das beispielsweise so:

Sekunde 1 bis 3: Sie hören Jubel, und er dröhnt brachial. Da jubeln keine Koreaner, sondern angetrunkene Hünen. Das könnten Deutsche, holländische Touristen oder, gerade noch eben so, aufgekratzte spanische Einwanderer sein. Oder afrikanische Flüchtlinge von der Mahnwache am Oranienplatz, die Zerstreuung suchen. Verdammt! Aber Afrika ist nicht gleich Afrika. Sind Afrikaner immer für Afrika?

Sekunde 4: Von wo kam der Jubel? Hinten rechts.

Sekunde 5: Sie drehen sich um: Die Jubelnden tragen DFB-Trikos. Jawoll!

Sekunde 6: Sie rufen: "Tor!"

Sekunde 7: Klose trifft!

Danach ist man sofort konditioniert. Nähert sich der Ball dem ghanaischen Tor, achten Sie nicht mehr auf das Spiel, sondern auf die Geräusche von hinten auf der anderen Straßenseite. Und Sie denken: "Jubelt! Bitte jubelt. Warum jubelt ihr nicht?"

Die Konsumenten haben sich an das Chaos gewöhnt

Nun ist so ein Fußballspiel live mit Vorschau nicht jedermanns Sache. Alternative: zuhause gucken und Fenster zu. Oder das größte Fan-Fest Europas am Brandenburger Tor. Gesponsert von Coca-Cola und Hyundai. Da basteln sich nicht irgendwelche kleineren Gastronomen was zurecht, mit stramm auf Halshöhe quer gespannten Mehrfachsteckdosen. Nein, da steckt Kohle drin. Da kommen zigtausende Fans. Da muss alles perfekt organisiert sein. Dachten wir, als wir Deutschland gegen Portugal guckten.

Und merkten: drei Sekunden Versatz zwischen Großbildwand an der Hauptbühne und den kleineren Monitoren weiter hinten auf der Straße des 17. Juni. Bewegte ich die Augäpfel von unserem Monitor nun also nur einen Millimeter nach rechts, glotzte ich am Horizont auf die Drei-Sekunden-Vorschau. Und auf Tausende Fans, die ausflippten, bevor sich bei uns etwas tat.

Diese Unternehmen profitieren von der Fußball-WM
AB InBevWer in einem brasilianischen WM-Stadion ein Bier zischen will, muss zu Budweiser aus dem Konzern AB InBev greifen. Für den weltgrößten Bierhersteller und WM-Sponsor hat die Fifa extra das Ausschankverbot in Stadien aufgehoben. Auch zwei Kilometer um die Stadien herum darf nur Budweiser getrunken werden. Außerhalb dieser Bannmeilen ist es ebenso schwer, um AB-InBev-Produkte herum zu kommen. Ob Brahma, Skol oder Antarctica – fast alle gängigen Biermarken in Brasilien gehören längst zu AB InBev. Quelle: dapd
AdidasDer fränkische Sportartikelhersteller Adidas stellt mit dem "Brazuca" den offiziellen WM-Ball her. Das 129,95 Euro teure Stück wird reichlich Abnehmer finden: Sein Vorgänger, der "Jabulani" zur WM in Südafrika, verkaufte sich immerhin über 15 Millionen Mal. Quelle: dpa
Hyundai und KiaBrasilien ist mit 1,6 Millionen Neuzulassungen von Januar bis April 2014 dem Verband der Autoindustrie (VDA) zufolge der fünftgrößte Automobilmarkt der Welt. Daraus erhofft sich vor allem die koreanische Hyundai Kia Automotive Group einiges rauszuholen. Als Fifa-Sponsor stellt der Konzern mit 1.021 Fahrzeugen die offizielle WM-Flotte während des Großereignisses. Quelle: dapd
ContinentalWährend in den WM-Stadien der Ball rollt, sollen in den Straßen Brasiliens die Reifen von Continental rollen. Schon jetzt hat der Reifenhersteller aus Hannover einen Marktanteil in Brasilien von zehn Prozent. Als Sponsor der WM soll dieser Anteil steigen - nicht nur in Brasilien, sondern weltweit. Quelle: dpa
Deutsche ArchitektenbürosZahlreiche WM-Spiele werden in deutschen Designobjekten stattfinden. Die Planungsentwürfe der Stadien Manaus (Foto), Belo Horizonte und Brasilia stammen aus dem Hamburger Architektenbüro "gmp" und die neue Arena in Salvador stammt von "Schulitz + Partner" aus Braunschweig. Quelle: dpa
Coca-ColaCoca Cola darf sich rund um die WM über einen hohen Absatz freuen - vor allem im heißen Brasilien. Laut dem Marktforschungsinstitut YouGov gibt jeder vierte Brasilianer Coca Cola als seine beliebteste Getränkemarke an. In Deutschland ist es jeder Neunte. Um außer die Fans in den WM-Stadien auch die Zuschauer rund um den Globus zu erreichen, will das Unternehmen dieses Jahr seine größte WM-Kampagne aller Zeiten aufstellen: Dazu gehören YouTube-Videos, TV-Spots, die Original-WM-Trophäe, die in einer PR-Aktion für Coca Cola um die Welt reiste und der neue "Coke-Song" von Sänger David Correy für die WM. Quelle: dpa
SonyViele Fans kaufen zur WM gerne neue Fernseher, um das Fußballspektakel in Top-Qualität zu erleben. An diesem Geschäft will WM-Sponsor Sony mit verdienen und hat mit dem 55 Zoll großen Sony 4K (Foto) den „offiziellen WM-Fernseher“ herausgebracht. Quelle: dpa

Und nicht nur das: Der Ton aus unseren Lautsprechern kam noch nicht einmal synchron zu unserem Bild an und war obendrein von hinten zusätzlich verzögert. Wir wurden von einem 3-D-Echo beschallt, das nicht zum Bild passte. Ich wiederhole: gesponsert von Coca-Cola und Hyundai.

Dass der Stadt Berlin das egal war, hätte uns Herr Wowereit wahrscheinlich schriftlich gegeben. Aber diesen Weltkonzernen konnte das doch nicht recht sein! Von den Tausenden Fans mal ganz abgesehen. Probt man sowas nicht mal kurz vorher? Nennt man das nicht Soundcheck? Haben wir auf unserer Abifeier in den Neunzigerjahren besser hingekriegt. Und da war noch ein Kassettenrekorder mit im Spiel.

Aber anders als in den Neunzigerjahren haben wir uns damit abgefunden, dass Produkte nicht mehr zusammenpassen. Früher gab es nur eine weiße Schokolade. "Die Weiße" von Nestlé. Früher gab es nur ein oder zwei Telefonmodelle von der Deutschen Bundespost und zwar in beige, orange, dunkelgrün und weinrot. Und der Videorekorder wurde per AV-Stecker am Fernseher angeschlossen, fertig.

Heute gibt es Kabel und Satellit und analog und HD und Sky und Entertain und Amazon Instant Video und iTunes mit Apple TV und HDMI-Sticks für Fernsehempfang und Handys, mit denen man Milch einscannen und nachbestellen kann, aber nicht in Deutschland. Und diese Filme lassen sich auf jenem Computer nicht streamen und dieser Stöpsel passt seit der neuesten Generation auch nicht mehr. Und hierfür und dafür gibt es zukünftig keine Updates mehr. Und diese App zeigt nicht die Carsharing-Fahrzeuge von jenem Anbieter an und dieses mobile Bezahlsystem wird von jener Supermarktkette nicht akzeptiert. Und jede Möchtegern-Schokoladenmanufaktur stellt heute weiße Schokolade her.

Und deshalb haben wir uns längst damit abgefunden: Der Überblick ist futsch. Es passt nichts mehr zusammen. Und deshalb meckert auch kein Fußballfan auf der Fanmeile über Bild-und Tonprobleme. Weil er nicht weiß, ob das mittlerweile nicht schlicht normal ist.

Wer wissen will, wie die Zukunft aussieht, der kann mal die Live-Streams der diversen Online-Mediatheken ausprobieren. Da kann man zum Beispiel live im Internet die Fußballspiele parallel zum Fernsehbild aus anderen Kameraperspektiven verfolgen. Und wie modern dieses Angebot ist, erkennt man alleine schon an der Verzögerung. Anzahl der Sekunden, die das Parallel-Bild im Internet dem Fernsehen hinterherhinkt: 45.

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