Werner knallhart

Das Ticket-Chaos bei Bus und Bahn macht arm und krank

Das System des Föderalismus ist in Deutschland gescheitert. Der Beweis: das katastrophale Fahrkarten-System im ÖPNV. Um das auf kundenfreundlich umzustellen, braucht es offenbar einen guten Diktator.

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Diese Städte sind Schwarzfahrer-Hochburgen
Platz 10: StuttgartSchwarzfahrten je 100.000 Einwohner: 1241 Angezeigte Schwarzfahrten insgesamt: 7615Über dem Durchschnitt: 113 Prozent Zu-/Abnahme der Schwarzfahrten im Vergleich zum Vorjahr: -658Quelle: Reisen.de, Zahlen aus dem Jahr 2012 Quelle: dpa
Platz 9: DüsseldorfSchwarzfahrten je 100.000 Einwohner: 1250 Angezeigte Schwarzfahrten insgesamt: 7405Über dem Durchschnitt: 114 Prozent Zu-/Abnahme der Schwarzfahrten im Vergleich zum Vorjahr: 2237 Quelle: AP
Platz 8: Mülheim an der RuhrSchwarzfahrten je 100.000 Einwohner: 1302 Angezeigte Schwarzfahrten insgesamt: 2176Über dem Durchschnitt: 123 Prozent Zu-/Abnahme der Schwarzfahrten im Vergleich zum Vorjahr: 106 Quelle: dpa Picture-Alliance
Platz 7: NeussSchwarzfahrten je 100.000 Einwohner: 1329 Angezeigte Schwarzfahrten insgesamt: 2020Über dem Durchschnitt: 128 Prozent Zu-/Abnahme der Schwarzfahrten im Vergleich zum Vorjahr: 500 Quelle: AP
Platz 6: EssenSchwarzfahrten je 100.000 Einwohner: 1331 Angezeigte Schwarzfahrten insgesamt: 7630Über dem Durchschnitt: 128 Prozent Zu-/Abnahme der Schwarzfahrten im Vergleich zum Vorjahr: 1315 Quelle: dpa
Platz 5: ErfurtSchwarzfahrten je 100.000 Einwohner: 1351 Angezeigte Schwarzfahrten insgesamt: 2789Über dem Durchschnitt: 131 Prozent Zu-/Abnahme der Schwarzfahrten im Vergleich zum Vorjahr: 1018 Quelle: dpa
Platz 4: RostockSchwarzfahrten je 100.000 Einwohner: 1407 Angezeigte Schwarzfahrten insgesamt: 2873Über dem Durchschnitt: 141 Prozent Zu-/Abnahme der Schwarzfahrten im Vergleich zum Vorjahr: -355 Quelle: dpa

Ich habe mal wieder einen ÖPNVH. Das ist der Hals, den man bekommt, wenn man eine Fahrkarte für den öffentlichen Personennahverkehr kaufen will.

Eigentlich habe ich mich ja freigekauft von all den Zumutungen, die ein Fahrkartenautomat zu bieten hat, denn ich bin glücklicher Inhaber einer BahnCard100 und mit der fahre ich auch im Nahverkehr ohne zusätzliche Tickets. Aber jüngst reiste ich mit einem Kollegen von Köln nach Düsseldorf und als wir da so vor diversen Automaten versauerten, da fiel mir wieder ein, was ich schon verdrängt hatte: Bei den Kölner Verkehrsbetrieben kauft man seine Fahrkarte entweder am Automaten am Bahnsteig oder in Bus und Bahn selber. Dabei akzeptieren die Automaten am Bahnsteig auch Maestro-Kartenzahlung, aber nicht alle. Geldscheine nehmen die aber schon.

In den Bahnen selber nehmen die Automaten nur Münzen. Und diese antiquierte Erfindung namens Geldkarte. Keine Geldscheine.

Egal, wo man die Tickets kauft, bei der KVB müssen die nicht mehr in der Bahn abgestempelt werden. Außer Streifenkarten. Dort sind vier Fahrten drauf. Das ist billiger.

Wo Schwarzfahren richtig teuer ist
In einer Untersuchung vom Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) wurden 15 europäische Länder anhand der Höhe ihres Bußgeldes miteinander verglichen. „Deutschland ist geradezu ein Paradies für Schwarzfahrer, wenn man sich diesen europaweiten Vergleich anschaut", sagt Hauptgeschäftsführer Oliver Wolff. Hierzulande zahlt ein ticketloser Fahrgast derzeit nur 40 Euro. Nun wollen die Bundesländer das "erhöhte Beförderungsentgelt" auf 60 Euro anheben. Eine entsprechende Bundesratsinitiative hat Bayern auf den Weg gebracht. 2015 könnten die Bußgelder fürs Schwarzfahren also um 20 Euro steigen. Doch beim "erhöhten Beförderungsentgelt" muss der Bund mitspielen. Und deshalb scheiterten bislang alle Versuche kläglich, das Bußgeld anzuheben. Jeder sah den anderen in der Verantwortung, den ersten Schritt zu gehen. Mit den Bundesratsinitiative dürfte nun tatsächlich Bewegung in die Angelegenheit kommen. Denn auch Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) befürwortet grundsätzlich eine Anhebung der Strafzahlung. Der VDV hofft auf eine schnelle Gesetzesnovelle. Jedes Jahr würden dem öffentlichen Nahverkehr in Deutschland durch Schwarzfahrer etwa 250 Millionen Euro an Einnahmen entgehen, hieß es beim VDV - bei steigender Tendenz. Vor allem in Chemnitz, Köln, Berlin und Oberhausen dürfte die Freude über höhere Bußgelder groß sein. Sie galten 2012 als Städte mit dem höchsten Schwarzfahrer-Anteil in Deutschland.So werden Schwarzfahrer in anderen Ländern zur Kasse gebeten: Quelle: dpa
Dabei kommt heraus, dass Amsterdam ein regelrechtes „Schwarzfahrerparadies“ ist. Hier haben Schwarzfahrer nicht viel zu befürchten. Lediglich 38 Euro kostet es, sollte man dabei erwischt werden ohne Ticktet im Bus, in der Straßenbahn oder der Bahn unterwegs zu sein. Quelle: rtr
Prag kommt als Schwarzfahrer ebenfalls günstig weg. Maximal 38 Euro erwartet hier ein Fahrgast ohne Fahrschein. Quelle: dpa
Die finanziellen Probleme Spaniens sind beträchtlich. Die Strafen für Fahren ohne Ticket sind milde. Nur 40 Euro muss man in Madrid bezahlen, sollte man keinen Fahrschein haben. Quelle: dpa
Nur geringfügig teurer ist es in Warschau. Dort zahlen ungebetene Fahrgäste bis zu 43 Euro. Quelle: REUTERS
Schon etwas teurer wird es in Englands Hauptstadt. In London zahlen Schwarzfahrer 60 Euro, wenn sie erwischt werden. Quelle: dpa
In Österreich ist ein Bußgeld von 70 Euro fällig, wenn ein Passagier ohne Ticket erwischt wird. Um die Zahlung zu verhindern, werden die Fahrgäste immer kreativer: Schon jetzt warnen österreichische Schwarzfahrer im Internet offen vor Kontrollen. Neben den offiziell zugänglichen Quellen – die Wiener Linien etwa stellen die am häufigsten kontrollierten Linien täglich selbst ins Netz – warnen die Fahrgäste auf verschiedenen Webseiten oder Social-Media-Plattformen vor den Kontrolleuren. Quelle: dpa

Fährt man in Köln mit der S-Bahn (also die von der Deutschen Bahn betriebenen Schnellbahnen mit dem runden grünen Logo), muss man die Fahrkarten außerhalb der Bahn kaufen. An Bord gibt es keine Automaten. Fährt man mit einer Streifenkarte und will diese wie gewohnt in der Bahn abstempeln, dann steckt man in der Falle! Kommen dann Kontrolleure, sind gnadenlos 40 Euro fällig, denn abgestempelt werden müssen die Streifenkarten bei der S-Bahn bereits am Bahnsteig. Wie gesagt: alles in Köln, alles im selben Tarifsystem. Perfide, was? Das spült Schwarzfahrer-Geld in die öffentliche Kasse.

Will man ab Hauptbahnhof mit dem RegionalExpress nach Düsseldorf fahren, ist alles prima. Dann kann man vorher am Automaten angeben, wohin genau in Düsseldorf die Reise gehen soll und schon gilt eine Fahrkarte für Bus und Bahn in Köln und in Düsseldorf.

Entscheidet man sich aber mit einem Fernzug, also mit ICE oder IC, nach Düsseldorf zu fahren, wird es schlimm. Zwar gibt es die praktische City-Option bei der Fernfahrkarte, mit der man an Start- und Zielort auch den Nahverkehr nutzen kann. Zumindest wenn man Inhaber einer BahnCard 25 oder 50 ist. Aber das geht sowieso erst, wenn die Fernfahrt länger als 100 km lang ist. Leider liegt Düsseldorf gerade um die Ecke. Also ist erst eine verdammte separate Fahrkarte zum Hauptbahnhof Köln nötig. Die Fernzugkarte bekommt man am Schalter, per Handy, am Automaten oder auch an Bord. Letzteres kostet dann extra, aber immerhin geht das. Nicht so im RegionalExpress. Wer seine Karte dort an Bord kaufen will, ist ein Schwarzfahrer und wird entsprechend öffentlich gedemütigt.

Verwirrende Kurzstrecken

Die besten Apps für unterwegs
TAXOMETER errechnet den Fahrpreis, noch bevor Reisende ihr Taxi bestellen. So können Eilige besser entscheiden, ob ihnen die Fahrt das Geld wert ist. Wenn ja, lässt sich it er App per Taxiruf ein Fahrzeug bestellen.Für iOs Quelle: dpa
FLINC ist eine mobile Mitfahrzentrale. Autofahrer können ihre Reiseziele eingeben. Wer eine Mitfahrgelegenheit dorthin sucht, bekommt das auf dem Handy angezeigt. Bestätigt er, wird der Fahrer per Navi zu ihm geleitet. Für iOs, PC Quelle: AP
TRAPSTER zeigt Radarfallen und Ampelblitzer an und warnt Autofahrer, die sich ihnen nähern. Nutzer können zudem Blitzer und Laserfallen melden und so andere Verkehrsteilnehmer warnen.Für Android, Blackberry, webOS, Windows Phone Quelle: dpa
DB-NAVIGATOR ist die App der Deutschen Bahn, mit der Reisende Verbindungen suchen und Tickets buchen können. Zudem sehen sie, wo sich ihr Zug befindet und ob er Verspätung hat.Für Android, iOs, Symbian, webOS, Windows Phone Quelle: dapd
AIR BERLIN bietet eine App, mit der Passagiere Flüge buchen, einchecken und das Flugzeug boarden können. Zudem lassen sich gebuchte Flüge sowie das Meilenkonto einsehen. Vielflieger bekommen mit dem App Zugang zur Lounge.Für iOS Quelle: dpa
LUFTHANSA ähnelt mit ihrem App-Angebot dem von Air Berlin. Allerdings bietet die Software auch noch Informationen zu wichtigen Zielen - und sie läuft auf mehr Handyplattformen.Für Android, Blackberry, iOs, Symbian Quelle: dapd
MBRACE des Autoherstellers Daimler bietet einen Ausblick auf die Vernetzung von Auto und mobilem Internet. Die US-App erlaubt es Nutzern, ihren Mercedes per Handy zu ver- oder entriegeln und mit dem Navi zu interagieren.Für Blackberry, iOS Quelle: AP

Anders im Norden von NRW. Dort fahren RegionalExpresse der Deutschen Bahn, aber auch private Regionalbahnen wie die Eurobahn. Bei denen kann man das Ticket auch an Bord kaufen. Nicht beim Schaffner. Sondern am Automaten. Aber nicht mit Kreditkarte. Und oft auch nicht mit 50-Euro-Scheinen.

Kunden müssen in Westfalen also wissen, wer der Betreiber der Bahn ist, bevor sie wissen, ob sie schwarz fahren, wenn sie den Zug ohne Ticket betreten. Dabei stehen alle Züge einheitlich auf den Fahrplanaushängen. Erklären Sie diesen Humbug mal einem ausländischen Touristen. Das schmeißt sein Bild von Deutschland sofort über den Haufen.

In Bielefeld steht an den Aufzugtüren zur U-Bahn: "Betreten des Bahnsteigs nur mit gültiger Fahrkarte". Aber was ist eine gültige Fahrkarte? Einzeltickets kommen bereits gültig aus dem Automaten, aber sind unabgestempelte 4er-Tickets gültige Tickets? Abgestempelt werden sie ja erst in der Bahn. Das Bielefelder Verkehrsunternehmen Mobiel schreibt auf den Stempel-Automaten, das Ticket müsse vor Fahrtantritt hier "entwertet" werden. Also ist erst ein entwertetes Mehrfachticket ein gültiges, mit dem man fahren darf. Aber wie kann dann ein gültiges Ticket wertlos sein?

Was würde wohl passieren, wenn man dem Kontrolleur erzählt: "Ich kann doch nicht mit einer wertlosen Fahrkarte fahren und wollte deshalb erst beim Aussteigen stempeln." Der Kontrolleur würde wohl entgegnen: "Erst die entwertete Fahrkarte ist eine gültige." Aber dann kann der kluge Fahrgast ja gar nicht anders, als zu entgegnen: "Wie soll ich dann schon mit einer gültigen Fahrkarte den Bahnsteig betreten, wenn erst das Entwerten sie gültig macht und die Entwerter erst in den Zügen angebracht sind?"
Der Kunde hätte eindeutig recht. Bis zum Bundesverfassungsgericht würde ich ziehen.

Genauso bescheuert sind Busse, die an der Haltestelle vorbei brausen und oben am Bus steht "Dienstfahrt". Ist ein Bus also ausdrücklich im Dienst, nimmt er keine Fahrgäste auf. Toller Dienst am Kunden. Dienst = kein Dienst.

Und dann die Kurzstreckentickets. Wer sich ein Handyticket kaufen möchte, der bekommt das Kurzstreckenticket meist gar nicht. Ätsch!

Außerdem gelten die Kurzstreckentickets mal für vier Stationen (Köln), mal für drei (Düsseldorf), in der S-Bahn womöglich nur für zwei, wenn sie dort überhaupt gelten. In vielen Städten kann man auf der Kurzstrecke wenigstens umsteigen. Nicht so wiederum in Bielefeld. Wer dort das Pech hat, die Linie wechseln zu müssen, um zum Ziel zu kommen, der muss dafür auch noch mehr bezahlen, nämlich für das normale Einzelticket. Obwohl er genauso viele Stationen abfährt.

Umsteigen kostet also extra. Wer denkt sich solch einen unsozialen Quatsch aus?

Warten auf den einheitlichen Deutschlandtarif

So geht man mit Kunden um, wenn Konkurrenz fehlt. Und geht etwas schief, ist immer der Fahrgast ohne gültige Fahrkarte der blamierte Dumme, der seine Personalien angeben muss und 40 Euro los ist (und bald wohl sogar 60 Euro - was bei vorsätzlichem Schwarzfahren ja ok wäre). Man müsste das eigentlich mal höchstrichterlich entscheiden lassen: Ab wann haftet das Verkehrsunternehmen für Missverständnisse im selber erdachten Ticket-Dschungel? Nirgends werden dem Verbraucher derartig viel inkonsequente Vorschriften zugemutet, wie in den öffentlichen Verkehrsmitteln Deutschlands.

Beispiel Schuh-Kauf im Internet: Ist eine Allgemeine Geschäftsbedingung unklar, ist sie ungültig. Der Verbraucher hat das gute Gefühl: Das Recht ist auf meiner Seite.

Das wäre doch mal was: Zum richtigen Ticket in fünf Sekunden. Wann kommt endlich der einheitliche, verständliche Deutschland-Tarif? Spricht man mit Mitgliedern des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV), dann schwant es einem: nie! Denn die einzelnen Verkehrsunternehmen finden ihre eigenen Systeme einfach unschlagbar geil.

Kann nicht unser Herr Dobrindt mal dazwischenhauen? Ach, ich höre ihn schon: "Ländersache." Die Länder sollen sich mal ein Beispiel nehmen an einem Berliner Busfahrer kürzlich. Ein Fahrgast wollte bei ihm eine Fahrkarte kaufen. Da verdreht der Fahrer die Augen: "Komm, jehn Se durch. Ick bin eh schon zu spät. Dit dauert mir jetzt allet zu lange."

DAS ist schnell, einfach und preiswert.

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