Werner knallhart

Bildverzögerungen versauen die WM-Spannung

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Die Konsumenten haben sich an das Chaos gewöhnt

Nun ist so ein Fußballspiel live mit Vorschau nicht jedermanns Sache. Alternative: zuhause gucken und Fenster zu. Oder das größte Fan-Fest Europas am Brandenburger Tor. Gesponsert von Coca-Cola und Hyundai. Da basteln sich nicht irgendwelche kleineren Gastronomen was zurecht, mit stramm auf Halshöhe quer gespannten Mehrfachsteckdosen. Nein, da steckt Kohle drin. Da kommen zigtausende Fans. Da muss alles perfekt organisiert sein. Dachten wir, als wir Deutschland gegen Portugal guckten.

Und merkten: drei Sekunden Versatz zwischen Großbildwand an der Hauptbühne und den kleineren Monitoren weiter hinten auf der Straße des 17. Juni. Bewegte ich die Augäpfel von unserem Monitor nun also nur einen Millimeter nach rechts, glotzte ich am Horizont auf die Drei-Sekunden-Vorschau. Und auf Tausende Fans, die ausflippten, bevor sich bei uns etwas tat.

Diese Unternehmen profitieren von der Fußball-WM
AB InBevWer in einem brasilianischen WM-Stadion ein Bier zischen will, muss zu Budweiser aus dem Konzern AB InBev greifen. Für den weltgrößten Bierhersteller und WM-Sponsor hat die Fifa extra das Ausschankverbot in Stadien aufgehoben. Auch zwei Kilometer um die Stadien herum darf nur Budweiser getrunken werden. Außerhalb dieser Bannmeilen ist es ebenso schwer, um AB-InBev-Produkte herum zu kommen. Ob Brahma, Skol oder Antarctica – fast alle gängigen Biermarken in Brasilien gehören längst zu AB InBev. Quelle: dapd
AdidasDer fränkische Sportartikelhersteller Adidas stellt mit dem "Brazuca" den offiziellen WM-Ball her. Das 129,95 Euro teure Stück wird reichlich Abnehmer finden: Sein Vorgänger, der "Jabulani" zur WM in Südafrika, verkaufte sich immerhin über 15 Millionen Mal. Quelle: dpa
Hyundai und KiaBrasilien ist mit 1,6 Millionen Neuzulassungen von Januar bis April 2014 dem Verband der Autoindustrie (VDA) zufolge der fünftgrößte Automobilmarkt der Welt. Daraus erhofft sich vor allem die koreanische Hyundai Kia Automotive Group einiges rauszuholen. Als Fifa-Sponsor stellt der Konzern mit 1.021 Fahrzeugen die offizielle WM-Flotte während des Großereignisses. Quelle: dapd
ContinentalWährend in den WM-Stadien der Ball rollt, sollen in den Straßen Brasiliens die Reifen von Continental rollen. Schon jetzt hat der Reifenhersteller aus Hannover einen Marktanteil in Brasilien von zehn Prozent. Als Sponsor der WM soll dieser Anteil steigen - nicht nur in Brasilien, sondern weltweit. Quelle: dpa
Deutsche ArchitektenbürosZahlreiche WM-Spiele werden in deutschen Designobjekten stattfinden. Die Planungsentwürfe der Stadien Manaus (Foto), Belo Horizonte und Brasilia stammen aus dem Hamburger Architektenbüro "gmp" und die neue Arena in Salvador stammt von "Schulitz + Partner" aus Braunschweig. Quelle: dpa
Coca-ColaCoca Cola darf sich rund um die WM über einen hohen Absatz freuen - vor allem im heißen Brasilien. Laut dem Marktforschungsinstitut YouGov gibt jeder vierte Brasilianer Coca Cola als seine beliebteste Getränkemarke an. In Deutschland ist es jeder Neunte. Um außer die Fans in den WM-Stadien auch die Zuschauer rund um den Globus zu erreichen, will das Unternehmen dieses Jahr seine größte WM-Kampagne aller Zeiten aufstellen: Dazu gehören YouTube-Videos, TV-Spots, die Original-WM-Trophäe, die in einer PR-Aktion für Coca Cola um die Welt reiste und der neue "Coke-Song" von Sänger David Correy für die WM. Quelle: dpa
SonyViele Fans kaufen zur WM gerne neue Fernseher, um das Fußballspektakel in Top-Qualität zu erleben. An diesem Geschäft will WM-Sponsor Sony mit verdienen und hat mit dem 55 Zoll großen Sony 4K (Foto) den „offiziellen WM-Fernseher“ herausgebracht. Quelle: dpa

Und nicht nur das: Der Ton aus unseren Lautsprechern kam noch nicht einmal synchron zu unserem Bild an und war obendrein von hinten zusätzlich verzögert. Wir wurden von einem 3-D-Echo beschallt, das nicht zum Bild passte. Ich wiederhole: gesponsert von Coca-Cola und Hyundai.

Dass der Stadt Berlin das egal war, hätte uns Herr Wowereit wahrscheinlich schriftlich gegeben. Aber diesen Weltkonzernen konnte das doch nicht recht sein! Von den Tausenden Fans mal ganz abgesehen. Probt man sowas nicht mal kurz vorher? Nennt man das nicht Soundcheck? Haben wir auf unserer Abifeier in den Neunzigerjahren besser hingekriegt. Und da war noch ein Kassettenrekorder mit im Spiel.

Aber anders als in den Neunzigerjahren haben wir uns damit abgefunden, dass Produkte nicht mehr zusammenpassen. Früher gab es nur eine weiße Schokolade. "Die Weiße" von Nestlé. Früher gab es nur ein oder zwei Telefonmodelle von der Deutschen Bundespost und zwar in beige, orange, dunkelgrün und weinrot. Und der Videorekorder wurde per AV-Stecker am Fernseher angeschlossen, fertig.

Heute gibt es Kabel und Satellit und analog und HD und Sky und Entertain und Amazon Instant Video und iTunes mit Apple TV und HDMI-Sticks für Fernsehempfang und Handys, mit denen man Milch einscannen und nachbestellen kann, aber nicht in Deutschland. Und diese Filme lassen sich auf jenem Computer nicht streamen und dieser Stöpsel passt seit der neuesten Generation auch nicht mehr. Und hierfür und dafür gibt es zukünftig keine Updates mehr. Und diese App zeigt nicht die Carsharing-Fahrzeuge von jenem Anbieter an und dieses mobile Bezahlsystem wird von jener Supermarktkette nicht akzeptiert. Und jede Möchtegern-Schokoladenmanufaktur stellt heute weiße Schokolade her.

Und deshalb haben wir uns längst damit abgefunden: Der Überblick ist futsch. Es passt nichts mehr zusammen. Und deshalb meckert auch kein Fußballfan auf der Fanmeile über Bild-und Tonprobleme. Weil er nicht weiß, ob das mittlerweile nicht schlicht normal ist.

Wer wissen will, wie die Zukunft aussieht, der kann mal die Live-Streams der diversen Online-Mediatheken ausprobieren. Da kann man zum Beispiel live im Internet die Fußballspiele parallel zum Fernsehbild aus anderen Kameraperspektiven verfolgen. Und wie modern dieses Angebot ist, erkennt man alleine schon an der Verzögerung. Anzahl der Sekunden, die das Parallel-Bild im Internet dem Fernsehen hinterherhinkt: 45.

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