Was habe ich nicht schon alles im Taxi erlebt, wenn ich das Pech hatte, die Fahrer in einem ihrer "Mein Job kotzt mich an"-Momente zu erwischen.
Ein Fahrer, der mir auf mein Bitten, mir für meinen Arbeitgeber eine Quittung über den Fahrpreis inklusive Trinkgeld auszustellen, antwortete: "Das Trinkgeld dürfen Sie gar nicht vom Arbeitgeber zurückerstatten lassen. Das ist Betrug. Dabei unterstütze ich Sie nicht."
Ein Fahrer, der sich weigerte, mich mitzunehmen, weil ich meinen Rollkoffer mit den Rollen nach unten in seinen Kofferraum gehoben habe, obwohl er sein Auto am Nachmittag gerade frisch gesaugt hatte. Er schmiss den Koffer wieder raus, ich maulte noch so etwas wie "Beförderungspflicht", da war er weg.
Ein Fahrer, der mich kilometerweit aus der Stadt herausfuhr, nur weil er nicht wusste, wo die Zielstraße lag. Und am Ende wollte er den Umweg von rund 15 Euro bezahlt haben mit der Begründung: "Ich kenn hier doch nicht jede Straße."
Ein Fahrer, der mich im strömenden Regen von Berlin anraunzte: "Jetzt stehe ick hier anderthalb Stunden rum und krieg ne Fahrt von fünf Minuten. Da machen wir jetzt aber einen Pauschalpreis von acht Euro."
Ich sag: "Nein. Erstens fahre ich Ihnen zuliebe jetzt nicht nach Potsdam und zweitens machen Sie bitte das Taxameter an. Sie bekommen ja auch ein Trinkgeld."
"Leute wie Sie machen mir den Tag zur Hölle!"
Und ich bin mir sicher, viele Taxifahrer können im Gegenzug auch von wirklich alptraumhaften Fahrgästen erzählen (zu denen ich mich ausdrücklich nicht zähle. Ich sach's nur. Das einzige Mal, an dem ich ein Taxi-Schreck war, war, als ich zuvor in einen Haufen Hundekot getreten bin, was uns aber erst unterwegs auffiel, nachdem der Fahrer die Heizung im Fußraum angestellt hatte. Aber naja).
Mit Apps wie MyTaxi oder taxi.eu ist offen ausgelebter Hass Geschichte. Ich erlebe keine frechen Fahrer mehr.
Die Apps bieten vordergründig eine einfache Möglichkeit für Fahrgäste, sich ein Taxi an einen über die Landkarte definierten Ort zu rufen und die Fahrt im Auto bargeldlos per Fingerabdruck auf das eigene Handy zu bezahlen. Mittlerweile hat sich das System in vielen größeren deutschen Städten als Alternative zum Anruf bei der Taxizentrale etabliert. Und wie auf wundersame Weise haben die Apps die Fröhlichkeit und die Nächstenliebe ins Taxigewerbe einziehen lassen. Zumindest die Liebe zwischen Fahrer und Fahrgast. Ich bin mir sicher, das hatten die Erfinder solcher Apps am Anfang gar nicht im Blick.
Das Taxi-Wunder funktioniert chronologisch betrachtet so:
1. Der Taxi-Ruf
Der Fahrgast bestellt ein Taxi per Knopfdruck und sieht sofort, wie lange das Auto noch bis zum Abholort brauchen wird. Außerdem kann der Kunde das Auto auf der Landkarte verfolgen und erkennt, wenn es Verzögerungen gibt.
Taxibranche vs. myTaxi – die Fakten
Die Daimler-Tochter myTaxi hatte Mitte Mai in Deutschland und international mit Rabatten von bis zu 50 Prozent für Fahrten geworben, die über die App vermittelt und bezahlt werden. Nach Einschätzung der Stuttgarter Taxi-Auto-Zentrale ist das wettbewerbswidrig. Denn eigentlich gelten von den lokalen Behörden festgelegte Preise für Taxifahrer. Diese dürften laut Personenbeförderungsgesetz weder über- noch unterschritten werden.
Das Personenbeförderungsgesetz ist auch dazu da, Taxifahrer vor ruinösem Wettbewerb zu schützen. MyTaxi argumentiert, dass das Gesetz nicht für die App gilt, da nur Fahrten vermittelt werden. Außerdem hätten die Fahrer, die durch das Gesetz geschützt werden sollen, den vollen Fahrpreis erhalten. Lediglich den Rabatt an den Kunden habe myTaxi erstattet und diesen so „zu einer Taxifahrt“ eingeladen, argumentierte der Anwalt vor Gericht.
Die gibt es. Anbieter von öffentlichem Nahverkehr (ÖPNV) schießen zum Beispiel kleine Beträge für Frauen-Nacht-Taxis zu. Allerdings vermitteln die ÖPNV-Betriebe keine Taxifahrten. Und diese Koppelung war zumindest vor dem Stuttgarter Landgericht der springende Punkt.
Die Richterin vor dem Stuttgarter Landgericht machte in der Verhandlung klar, dass die einstweilige Verfügung, die bislang in Stuttgart, Filderstadt und Leinfelden-Echterdingen gilt, gute Chancen auf Bestand hat. Die Daimler-Tochter trage das unternehmerische Risiko zum Beispiel für Zahlungsausfälle, da die Zahlungen auch über die App abgewickelt werden und die Taxifahrer ihre Forderungen an die Fahrgäste abtreten können. „Um ein Taxiunternehmen zu sein, ist es nicht erforderlich, dass die Beförderung auch durch das Unternehmen erfolgt“, so die Richterin. Dadurch werde myTaxi „in die Nähe“ von Taxiunternehmen gerückt.
Nach der ersten Verhandlung sieht es so aus, als würden die Rabatte von myTaxi zumindest in Stuttgart, Filderstadt und Leinfelden-Echterdingen verboten. Nach vorläufiger Rechtsauffassung sei die Aktion wohl wettbewerbswidrig, sagte die Richterin während der Verhandlung Anfang Juni. Denn der Taxifahrer erhalte „nur grundsätzlich“ den vollen Tarif.
Eher nicht. Die Richterin machte klar, dass es nicht um den Schutz der Taxizentralen vor Konkurrenten gehe. Diese betreiben teilweise schon ihrerseits Apps, die ähnliche Dienste wie myTaxi anbieten.
Das tut er bereits: Der Deutsche Taxi- und Mietwagenverband (BZP) hat seinerseits eine einstweilige Verfügung gegen die Rabatte von myTaxi vor dem Landgericht Hamburg erwirkt. So solle unter anderem verhindert werden, „dass weiter in irreführender Weise flächendeckend bundesweit mit einem 50-prozentigen Rabatt auf Taxifahrten“ geworben werde. Die Branche befürchtet, dass Aktionen wie die von myTaxi die herkömmlichen Vermittlungszentralen Kunden kosten und die Strukturen des Gewerbes zerstören.
Vorteil für den Gast: Er steht nicht blöd an der Straße herum. Wie bestellt und abgeholt. Eine Demütigung weniger im Leben.
Vorteil für den Fahrer: Er steht nicht blöd auf der Straße herum. Fahrer berichten: Die Wartezeiten sind kürzer geworden, weil die Kunden pünktlich rauskommen. Was für ein Team!
Dazu kommt, dass sowohl Fahrgast als auch Fahrer beim Vermittler wie MyTaxi erfasst sind. Der Fahrer kennt den Namen des Kunden, der Kunde neben Namen sogar die Autonummer des Fahrers in spe. Sich in der Sicherheit der Anonymität daneben zu benehmen und den anderen zu versetzen, ist also für beide nicht möglich. Einziger Knackpunkt: Kunden können Anfragen wieder kostenlos stornieren, während der Fahrer auf dem Weg zur Abholung ist. "Das nutzen ein paar Idioten aus für Späße und stornieren, wenn sie auf der Karte sehen, dass wir kurz vor der Ankunft sind", klagte mir noch vorgestern ein Fahrer sein Leid. Aber das seien Ausnahmen. Das darf sich halt nur nicht als Volkssport rumsprechen. Sonst ist die neue Lebensfreude in der Branche schnell wieder flöten.
So funktioniert Taxifahren heute
2. Die Fahrt
Meist gehen die Fahrten schon gut gelaunt los. Alles andere wäre seit Neuestem nämlich geschäftsschädigend.
Denn Fahrer, die pampig sind, saumäßig rasen, herumbummeln, Umwege fahren, zum Gepäck einladen nicht aussteigen, nach Rauch oder Zwiebeln stinken, mit einem gammeligen Auto anrücken oder die ganze Zeit mit dem Handy am Ohr herum gurken, müssen mit der Rache des Kunden rechnen. Und diese Rache per App hat zwei Stufen.
Stufe 1: Das Trinkgeld. Das kann bei MyTaxi per Knopfdruck gnadenlos verweigert werden. Das sieht der Fahrer dann noch, bevor der Fahrgast aussteigt. Bäng!
Stufe 2: Die Bewertung des Fahrers und des Autos. Das kann auch erledigt werden, wenn der Fahrer schon wieder weg ist. Für das Nachtreten aus sicherer Distanz.
Vorteil für den Kunden: Liegt auf der Hand. Denn aus dieser frisst einem jeder Fahrer, der weiß, wie wichtig ein guter Ruf mit vielen Sternen im Internet ist. Mehrere negative Bewertungen bedeuten faktisch eine Berufsunfähigkeit in der MyTaxi-Welt. Deshalb das neue MyTaxi-Lächeln.
Vorteil für den Fahrer: Mit einem sympathischen Auftreten und einem schicken Auto hat man endlich einen Vorsprung vor der Konkurrenz. Es zählt nicht mehr nur allein, wer zufällig in der Nähe ist. Die Kunden können gnadenlos sieben. Fahrer mit Dienstleistungsbewusstsein erleben hier eine Goldgräberstimmung.
3. Die Bezahlung
MyTaxi bietet dem Kunden voreingestellt als Vorschlag drei Trinkgeld-Buttons: 10 Prozent, 15 Prozent, 20 Prozent.
Vorteil für den Fahrer: Während 20 Prozent ja schon einem Heiratsantrag gleichkommen, ist auch 15 Prozent noch ganz ordentlich. Eine Fahrt von 18 Euro 70 wird so nicht etwa auf 20 Euro aufgerundet, sondern auf satte 21 Euro 50. Die über Jahre hinweg eher üblichen 7 bis 10 Prozent sind hier schon auf 10 Prozent angehoben - der niedrigste Geiz-Button. Wenn man bedenkt, dass MyTaxi mittlerweile nur noch 7 Prozent fixe Provision von den Fahrern verlangt, kann eine Fahrt mit solchen Trinkgeldern durchaus attraktiv werden. Ganz davon abgesehen, dass die App den teilnehmenden Fahrern ohnehin zusätzliche Fahrten vermittelt, zum großen Teil solche mit Geschäftsreisenden.
Vorteil für den Kunden: Kein Wechselgeld-Theater ("Kleiner hammses nich?") Wer die Quittung einreichen kann und nicht auf den Cent achten muss, ist mit zwei Klicks und einem Wisch schnell wieder raus aus dem Auto. Die Quittung kommt per E-Mail und kann direkt an die Buchhaltung weitergeleitet werden. Ohne Zettelkram. Wer die Trinkgeldsumme unter 10 Prozent senken möchte, muss allerdings null Prozent geben.
Das Faszinierendste jedoch hat Vorteile für Fahrer und Kunden: Das Taxi-Fahrvergnügen. Das ist zwar ganz eigennützig motiviert. Das Tolle ist aber der psychologische Kniff: Ist der Fahrer netter (egal warum), ist auch der Kunde besser drauf. Und ein gut gelaunter Kunde hebt die Stimmung beim Fahrer. Eine wahre Aufwärtsspirale der guten Laune. Wegen einer popeligen App!
Neulich fuhr ich in einem MyTaxi-Wagen durch Berlin. Der Fahrer roch nach Schweiß, dass es mir fast die Tränen in die Augen trieb. Sollte ich was sagen? Nein, lieber nicht. Nicht, dass er vor peinlicher Berührung die Kontrolle verlor. Ich öffnete das Fenster. Am Ende der Fahrt poppte in der App ein Feld auf: "Nachricht an den Fahrer". Sollte ich ihm von seinem Hygieneproblem schreiben? Aber wäre es persönlich nicht anständiger gewesen? Ich Feigling. Ich verachtete mich für mein fehlendes Rückgrat und gab dem armen, arglosen Fahrer zum Ausgleich fünf von fünf Sternen. Ich wollte nicht nur ein schwacher, sondern dann auch ein milder Richter sein.
So funktioniert Taxifahren heute.