Werner knallhart

Die neue Lockerheit der Chefs

Daimler-Boss Dieter Zetsche hat die Geschäftszahlen ohne Krawatte präsentiert. Und Otto-Vorstandsvorsitzender Hans-Otto Schrader hat allen seinen Mitarbeitern das Du angeboten. Ist dieses neue Casual sympathisch oder albern?

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Quelle: dpa

Deutschlands Wirtschaftsbosse werden lockerer im Stil. Zumindest die ganz großen. Und das wird im Zweifel auf den Mittelstand abfärben. Die Frage ist nur: Ist lockerer auch schöner? Wird das Leben in der Firma jetzt besser zu ertragen sein? Die Krawatte ist doch das genormte Zeichen von Respekt. Genauso wie das Sie. Weg damit?

Ich bin hin und her gerissen. Aber ich werde mich in den nächsten Zeilen festlegen. Zunächst mal hoffe ich, Sie stimmen mir zu, wenn ich sage:

  1. Kleidung ist Ausdruck der eigenen Persönlichkeit.
  2. Wer sich im Leben so gibt, wie es seiner Persönlichkeit entspricht, ist authentisch.
  3. Authentische Menschen sind sympathischer als die, die einem Image hinterherlaufen.

Okay soweit? Daraus folgt der Tod des Dresscodes. Und dass wir stattdessen jedem selber überlassen sollten, wie er sich kleidet.

Genauso wie wir jedem praktisch selber überlassen, wie er sich frisiert. Es gibt keinen knallharten Haircode. Höchstens bei Polizei und Militär. Aber wir reden hier von der freien Wirtschaft. Dort kassiert man doch höchstens mit ranzig riechender Filzmähne mal einen Anschiss.

Es gibt auch keine Vorgabe für Brillen. Niemals liest man auf Einladungskarten: "Eyecode: Hipster oder Linsen".

So kleiden Sie sich richtig

Lässt man den Dresscode fallen, sind allerdings einige aufgeschmissen. Das fällt in Firmen mit Casual Friday auf. Das muss man vorm Wochenende mitunter sehr ekelfest sein.

Na und? So lernt man seine Kollegen immerhin von ihrer echten Seite kennen. Ich bin für das Recht auf die eigene Blamage.

Seltsamerweise fühlen sich aber viele unwohl in ihrer eigenen Haut, wenn andere nicht so gekleidet sind, wie man selbst. Ich habe das mal auf dem Bundespresseball erlebt. Dort flanieren die Herren allesamt im Smoking. Aber ein Kollege kam im gewöhnlichen Anzug mit Krawatte. Vielleicht wusste er es nicht besser, vielleicht aber verachtete er auch die Gleichmacherei unter uns Pinguinen mit Fliege. Eins aber war sicher: Er fiel auf.

Die Reaktion einiger Pinguine: "Das muss aber auch nicht sein. Es ist ein feierlicher Anlass hier. Den muss man nicht konterkarieren. Es wird niemand gezwungen, dabei zu sein."

So finden Sie den richtigen Anzug
Das ReversSchmale Revers sind gerade angesagt. Das wirkt jung und dynamisch, die klassischere, elegantere Variante ist etwas breiter. Stil-Experte Bernhard Roetzel empfiehlt, nicht mit der Mode zugehen: "Wer sich wirklich gut kleiden will, wählt die Reversbreite passend zur eigenen Statur", sagt Roetzel. "Eine schmale Brust wirkt durch schmalere Revers breiter, eine breite Brust wirkt durch breite Revers schmaler." Quelle: Fotolia
Die SchulterpartieDie Schulternaht sollte nicht über die Schulter selbst hinausragen. Das führt zu länglichen Falten am Rücken und zu Hängeschultern. Quelle: dpa Picture-Alliance
Die SakkolängeDas Sakko muss das Gesäß komplett bedecken. Der Autor von "Der Gentleman. das Handbuch der klassischen Herrenmode", Bernhard Roetzel, kennt eine Ausnahme: "Kleinere Herren dürfen die Jacke etwas zu kurz tragen, das streckt." Quelle: AP
Die ÄrmellängeDie Hemdmanschette sollte ein bis eineinhalb Zentimeter aus dem Ärmel herausschauen. Quelle: Fotolia
Die HosenlängeDer Absatz des Schuhs muss frei sein. Die Hose sollte ein bis eineinhalb Zentimeter über der Absatzoberkante enden. Quelle: AP
Die SchuheSchwarze Schuhe passen zu schwarzen, anthrazitfarbenen, grauen und blauen Anzügen. Braune Schuhe lassen sich mit brauen, grauen und blauen Anzügen kombinieren. Außer dem Anzugstoff zählt jedoch auch der Gürtel: „Schuh und Gürtel sollen zusammenpassen, man muss aber nicht die identische Farbe anstreben“, sagt Modefachmann Bernhard Roetzel. Sein Tipp: „Ein schönes Detail kann es sein, wenn man zu Raulederschuhen einen Rauledergürtel trägt. Das ist aber kein Muss." Quelle: Fotolia
Der GürtelBeim geschlossenen Gürtel sollten zwei bis drei freie Löcher am Ende sichtbar sein. Wenn nur ein kurzes Ende herausragt, bezeichnet das Bernhard Roetzel als einen "kümmerlichen Eindruck und man wirkt auch dick." Quelle: Fotolia

Andererseits: An Karneval kommt man in Köln auch ohne Verkleidung in die Kneipe. Man macht sich wie auf dem Presseball dann eben zum Außenseiter. Aber das stört an Karneval weder Pinguin noch Clown.

Was störte die Runde also auf dem Presseball? Ich glaube, es war die frustrierende Erkenntnis, selber nicht mutig genug gewesen zu sein, sich das Geld für Smoking, Lackschuhe und Bauchbinde zu sparen.

Wir rufen nach Individualität in allen Lebenslagen: Lass dir nicht von deinen Eltern einimpfen, was du studierst. Lass dir nicht von deinem Partner reinquatschen, welchen Job du annimmst. Fang bloß nicht an zu rauchen, nur weil deine willensschwachen Freundinnen es tun. Setze bei deiner Powerpoint-Präsi eigene überraschende Akzente. Aber beim Kleidungsstil mach das, was alle von dir erwarten. Hä?

Und was ist mit dem Duzen?

Wer die Krawatte weglässt, macht einfach mal was Neues. Und weil Schlips weg und Knopf auf sowas von Silicon Valley Style ist und die deutsche Autoindustrie beim aufkommenden Elektro-Zeitalter vom unkonventionellen Pioniergeist der Amerikaner ruhig mal einen tiefen Zug einatmen sollte, setzt Daimler-Chef Zetsche ein starkes Zeichen. Wer bei der Krawatte die Konventionen ignoriert, der sagt auch beim Autobauen nicht so leicht: "Des henn ma aber immer scho so gmacht."

Ich lege mich fest: Die fehlende Krawatte ist kein Zeichen von mangelndem Respekt, solange man auch dem anderen zubilligt, sie abzulegen. Krawattenpflicht ist etwas für stilunsichere Angsthasen. Das Gleiche gilt für Kostümchen, Strumpfhosen und hochhackige Pumps. Es spricht aber auch nichts dagegen, all dies freiwillig zu tragen. Gewöhnen wir uns doch einfach an ein bisschen mehr Abwechslung. Warum nicht auch auf Bällen?

Und was ist mit dem Duzen?

Letztendlich passt das Du doch perfekt zu einem Konzern, der einen Vornamen hat: Otto. Und dessen Logistiksparte einen Vornamen hat: Hermes. Die Duz-Vorreiterrolle steht Otto also gut zu Gesicht. So gesehen.

Kollegen von der WirtschaftsWoche haben den Otto-Chef wegen seiner Offensive im Interview gefragt, ob die Otto-Gruppe denn keine anderen Sorgen habe. Ich kann mir allerdings keine noch so großen Sorgen und Krisen vorstellen, die es verbieten würden, eine solche hausinterne Charme-Offensive zu starten.

Man kann Schraders Idee als anbiedernd empfinden, als aufgesetztes Rumgekumpel, aber eines ist es nicht: unfreundlich. Jemand, der so etwas anbietet, ist mir erstmal sympathisch.

Ich kenne einen privaten Fernsehsender, da duzen sich alle Mitarbeiter. Nur der Geschäftsführer wollte stets gesiezt werden, außer von wenigen ausgewählten Kollegen. So wird die Anrede zum Politikum. Das Du als emotionales vierzehntes Gehalt für die Lieblinge.

Chefs wischen Bedenken zum Geschäftsführer-Sie ja gerne mit Humor vom Tisch: "Sie Arschloch" gehe einem nicht so leicht über die Lippen wie "du Arschloch". Es spricht für Otto-Chef Schrader und seine Mitarbeiter, dass ihn diese Bedenken nicht ausgebremst haben.

Meist ist das Sie als Zeichen von Respekt gedacht. Flüchtlinge erzählen, dass sie es demütigend finden, von Hinz und Kunz geduzt zu werden, etwa vom Busfahrer. Sie sehnen sich nach Anerkennung und haben gerade erst im Sprachkurs gelernt: Fremde Erwachsene siezt man höflich.

Affig ist es auch, wenn der Chef oder die Chefin den Azubi duzt, sich selber aber siezen lässt. Das Gleiche bei Lehrern, die ihre fast erwachsenen Schüler duzen, sich das Geduze sich selbst gegenüber aber verbitten.

Siezen ist wie die Krawatte aber auch ein Zeichen von Zugeknöpftheit. Und Duzen ein Zeichen von entspanntem Vertrauen - wie ein offener Hemdkragen.

Und was spricht nochmal gegen entspanntes Vertrauen?

Ich lege mich fest: Wer als in der Hierarchie Übergeordneter allen seinen Kollegen gemeinsam das Du anbietet, kann nichts falsch machen. Und er zeigt, dass es ihm auf das Wir-Gefühl ankommt.

Jetzt muss der Zetsche-Dieter auch noch bei Daimler das kollektive Du anbieten. Das wäre genauso naheliegend wie bei Otto. Mercedes ist auch ein Vorname.

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