Werner knallhart

Die Weihnachtsmann-Lüge diskriminiert DHL-Boten

Kinder haben nichts davon, wenn wir ihnen den Weihnachtsmann und das Christkind vorgaukeln. Das macht doch vor allem uns Erwachsenen Spaß - auf Kosten derer, die sich in Wahrheit abrackern: die Packer und Boten von Amazon, DHL und Hermes.

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Die Geschichte vom fröhlichen Paketboten, der vor Weihnachten zustellt. Eine neue traditionelle Weihnachtslegende? Quelle: obs

Zu keiner Zeit wird die Lüge gesellschaftlich mehr akzeptiert als rund um die christlichen Feiertage. Ausgerechnet! An Ostern verteilt ein Nager die Eier, an Weihnachten kommt das Christkind oder wahlweise der Weihnachtsmann mit den Rentieren auf seinem Schlitten - das hängt nur davon ab, auf welche Story die Eltern sich anfangs einmal eingeschossen haben.

Ich hatte in den vergangenen Jahren an Heiligabend die Rolle des Weihnachtsmanns inne, meinen kleinen Nichten (fünf und drei Jahre) zuliebe. Das lief dann so:
Kurz vor der Bescherung warf ich mir heimlich im Gästezimmer die Weihnachtsmann-Verkleidung über und schleppte dann bei Sprühregen im Dunkeln die Geschenke aus der Garage in muffigen Jutesäcken vor die Haustür.

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Ich klingelte und spürte den Nervenkitzel: Würde mich die Ältere dieses Jahr enttarnen? Ich zog mir den Bart sicherheitshalber über die Nase hoch und die Perücke bis über die Augenbrauen runter. Die Tür ging auf: "Oh, hallo, Weihnachtsmann", säuselte der Vater. Und ich sah durch die weißen Fransen meiner Perücke hindurch die Kinder fest ans Bein der Mama geklammert mit großen Augen verstohlen hinter der Küchentür hervorlugen. Dann ging es los, Sie kennen das Spiel.
Und am Ende hatte ich das unfeierliche Gefühl im Bauch: Ob nun offiziell der Weihnachtsmann die Geschenke abliefert oder das Christkind oder der Pumuckl oder eben der DHL-Bote, das ist den Kindern auch wurscht. Hauptsache jemand bringt Geschenke. Warum dann also lügen? Warum die wahren Dienstleister der Ehre und Anerkennung berauben? Das ist doch Diskriminierung eines ganzen Berufsstandes!

13.000 Aushilfskräfte hat Amazon bundesweit für November und Dezember engagiert. Und die Paketzusteller für die heiße Phase 25.000 Aushilfen eingestellt, sagt der Branchenverband Paket und Expresslogistik. Allein Marktführer DHL rechnet in den Tagen vor Heiligabend in Deutschland mit mehr als acht Millionen zugestellten Paketen täglich und mit einem Plus von zehn Prozent im Vergleich zur vergangenen Weihnachtszeit. Hermes will um 20 Prozent zulegen.
Zigtausende rackern sich ab. Und wir erzählen unseren Kindern was vom Weihnachts-mann.

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Seit Jahrzehnten streiten sich die Experten, ob man den Kindern diese Weihnachtslüge zumuten darf oder nicht. Die einen sagen: Kommt irgendwann die Wahrheit raus, ist das ein schwerer Schlag für das Vertrauensverhältnis zwischen Kind und Eltern.
Die anderen sagen: Gelangen die Kinder in ein Alter, in dem sie durchschauen, jahrelang einem Irrtum aufgesessen zu sein, empfinden sie eher Freude und Stolz, jetzt zum Kreise der Eingeweihten zu gehören. Als natürlicher Schritt in der eigenen Entwicklung hin zu "schon groß".

Aber ob die Weihnachtsmann-Lüge nun schädlich ist fürs Kind oder unschädlich - eines wird gar nicht diskutiert: Die Fake-Story mit Weihnachtsmann und Christkind bringt den Kindern keinen Vorteil. Denn:

In jungen Jahren können Sie den Kleinen alles weismachen. Es gibt für sie keinen Unterschied zwischen "klar, logisch" und "hä? das ist doch unfassbar". Alle gesammelten Informationen bastelt sich das Kind zu seinem eigenen, unvollkommenen Weltbild zusammen.

Erzählen Sie einem Kind: "In Afrika gibt es Tiere, die sind grau und riesig und wiegen so viel wie drei Autos, aus deren Zähnen hat man früher Klaviertasten gemacht, und die haben eine Nase, die bis zum Boden geht, die ist länger als der Schlauch von unserem Staubsauger. Und mit dieser Nase saugen sie Wasser auf und spritzen es sich dann in den Mund", dann geht das für das Kind in Ordnung.

Was soll einen in einer solch verrückten Welt noch umhauen?
Aus meiner Zeit als Programmentwickler fürs Kinderfernsehen kenne ich noch die alte Regel: keine Zauberer für kleine Kinder. Denn kleine Kinder sagen sich gelangweilt: "Klar kann der einen Hasen aus dem Hut zaubern. Er ist ja schließlich ein Zauberer", und schalten um.

Eine wahre Weihnachtslegende

Das Gleiche gilt auch für den Weihnachtsmann und das Christkind. Als Erwachsene müssen wir uns hier ganz kühle Gegenfragen der Kleinen anhören und verstricken uns immer weiter im Lügengeflecht:

"Papa, bei Julia kommt nicht der Weihnachtsmann, sondern das Christkind. Wieso?"

"Wegen des Aufwands. Das schafft doch kein Mensch allein."

"Weihnachtsmann, wo ist denn dein Schlitten mit den Rentieren?"
"Öhm, der steht dahinten um die Ecke im Halteverbot. Ich muss dann mal weiter, hohoho."

Die Kinder nehmen das zur Kenntnis. Fertig. Aber seien wir ehrlich: Uns Erwachsenen macht das Theater einen Heidenspaß! Wir machen das für uns. Für ein bisschen kribbelige Weihnachts-Romantik, die uns an unsere eigene Kindheit erinnert.

Die Kinder aber brauchen all das nicht für das sagenhafte Weihnachtsgefühl. Baum schmücken, Lieder singen, Plätzchen backen, die traditionelle Lästerei über den trockenen Advents-Kuchen der Großtante und dann natürlich die Fragen aller Fragen: Was von der Wunschliste geht in Erfüllung? Dass Kinder auch ohne rotzfreche Lügen voller Vorfreude sind, beweist der eigene Geburtstag. Was konnte ich Tage davor vor lauter Glück nicht einschlafen! Ganz ohne irgendwelche Fake-Helden.

Eine ganz neue Studie zweier Ökonomen der Uni Oxford hat untersucht, was Kleinkinder im Alter von zwei bis drei Jahren ganz besonders glücklich macht: Geschichten erzählt und vorgelesen zu bekommen und - auf Platz 2 - gemeinsam einzukaufen. Noch vor dem Besuch auf dem Spielplatz. Das gemeinsame Erleben macht es aus (nicht das Geldausgeben). Zusammen mit den Eltern Weihnachtsgeschenke im Laden oder eben auch im Internet auszusuchen, könnte folglich das Kind zufriedener machen, als der Besuch vom Weihnachtsmann.

Wenn Sie nun aus schlechtem Gewissen oder inspiriert durch die Wissenschaft Ihre Lü-gen wieder kassieren wollen, empfiehlt sich für dieses Jahr eine sanfte Übergangslüge hin zur vollen Wahrheit Weihnachten 2017, damit Sie nicht ins Rudern kommen: "Liebes Kind! Du weißt ja noch nicht das Neueste: Heutzutage, da viele Kinderwünsche zu Weihnachten am praktischsten über den Online-Versandhandel abgewickelt werden, müssen hoch spezialisierte Logistikunternehmen weltweit dem Weihnachtsmann unter die Arme greifen. Das Christkind ist eh raus aus der Nummer wegen Kinderarbeit, die Rentiere dürfen aus Tierschutzgründen nicht mehr so hoch fliegen, deshalb wundere dich nicht: Die Geschenke bringt dieses Jahr vorab der Mann mit dem gelben Auto."

Ich finde, die Geschichte vom fröhlichen Paketboten, der vor Weihnachten zustellt, was die Verwandtschaft vorher im Internet bestellt hat, kann sich über Jahre hinweg durchaus als traditionelle Weihnachtslegende etablieren. Und diese Legende ist wahr!

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