Hier eine kurze Liste der größten Umbrüche in der Gastronomie der Gegenwart:
2002: Starbucks verkauft in Berlin Milch mit Espresso im Pappbecher und schreibt den Vornamen des Kunden drauf. Seitdem kostet Kaffee das Doppelte.
2002: Vapiano erfindet das "Iss schon mal alleine, sonst wird´s kalt"-Prinzip. Für Leute, die sich nichts zu sagen haben.
2005: Köche beginnen, den Tellerrand mit Crema di Balsamico einzusauen.
2009: Kariesplörre mit Klumpen bekommt einen eigenen Namen: Bubble Tea. Das glitschige Asia-Zuckerzeug fanden selbst Teenies zu albern. Ein Eintagsfliegen-Phänomen.
2011: Eine uralte US-Idee schafft es Jahrzehnte später auch zu uns: gefrorener Joghurt. Klingt wie ein Versehen, auf englisch aber cool. Das Prinzip: Ungesundes Fett und Zucker stecken nicht mehr im Eis, sondern im Cookie-Chocolate-Toffee-Peanutbutter-Topping.
2014: Der Cappuccino kommt still und leise zurück.
Bei einer solch mageren Bilanz ist es doch nur vernünftig, wenn die Gäste selber frischen Wind ins Café und Restaurant bringen. Und das haben sie getan: Sie bringen ihr Internet mit an den Tisch. Das allerdings passt vielen Gastronomen gar nicht.
Kaffetrinken und surfen
Besonders Betreiber von Cafés sind in der Zwickmühle: Wer zum Kaffeetrinken kommt, will ja nicht bloß Kaffee trinken. Wir sind hier ja nicht im Italien der Sechzigerjahre.
Nein, "Kaffee trinken gehen", das heißt heute "außerhäusig surfen". Wohl dem, der seinen Gästen kostenloses W-Lan anbietet - er gehört zu den coolen Top-Playern der Branche.
Für viele in der Abi-, Bachelor- oder Orientierungs-/Freiberufler-/ALG II-Phase ist Starbucks, Woyton, oder Balzac ein zweites Zuhause. Wie in der Sitcom "Friends". Dort trifft man sich und fällt sich quietschend um den Hals. Und wenn die Latte mit Vanilla-Flavour schon geschlagene 4, 20 Euro kostet, dann muss die auch für fünf Stunden Referat-Vorbereitung mit den Kommilitonen reichen.
Auf dem Tisch ein Laptop mit leuchtendem Apfel. Aber Wasser wird am Waschbecken in der Toilette getrunken.
Dieses Geschäftsmodell lohnt sich für die Gastronomen nicht immer. In Köln musste einst ein großes Wohnzimmer-Kuschel-Café in bester Lage dicht machen. Es war zwar immer gerammelt voll. Aber die Gäste lümmelten nur auf den Sofas rum und saßen beim Surfen ihre Geldbeutel flach, statt sie zu zücken.
Nun hat die Kette in den anderen Filialen umgestellt. W-Lan nur mit Code vom Kassenbon. Gültig zum Surfen für soundso viele Minuten. Danach nachbestellen oder Funkstille. Ätschibätsch.
Handys auf dem Tisch
Nur: Mittlerweile sind vor allem in den Großstädten die Internet-Verbindungen oftmals so gut und das Surf-Volumen in den Handy-Verträgen mit mehreren Gigabyte so üppig, dass ein W-Lan-Limit für viele Gäste kein Druckmittel mehr sein dürfte. Chatten, mailen, posten - das geht auch so.
Aus Sicht der Gastronomen haben die Kaffee-Ketten die Gäste also versaut. Denn wenn man bei der Latte decaf mit Sojamilch und Stevia surfen darf, warum dann nicht auch beim Lammkarree mit Thymian-Soße und einem Cabernet Sauvignon?
Ohne die Jugendsünde der Cafés hätte alles auch ganz anders kommen können. Ein Handy auf dem Esstisch hätte sich zu einem stilistischen Fauxpas entwickeln können - man legt ja irgendwie auch keine Packung mit Tampons neben den Teller. Stattdessen liegen Handys nun da wie einst die Zigaretten-Päckchen.
Fünf Minuten Fotos vom Essen?
Im Internet kursieren jetzt Geschichten von Gastronomen, die von den guten alten Zeiten schwärmen. Ein Restaurant in New York zum Beispiel hat angeblich Bänder der Überwachungskamera von 2004 mit Aufzeichnungen von 2014 verglichen und analysiert.
Ergebnis: Im Vergleich zu früher bräuchten die Gäste heute deutlich länger, bis sie bestellen, weil sie vorher mit dem Handy rumspielen, statt sich auf die Speisekarte zu konzentrieren. Außerdem würden rund die Hälfte der Gäste im Schnitt alleine etwa fünf Minuten darauf verwenden, das Essen und sich selbst zusammen mit dem Essen zu fotografieren und zu posten, statt es direkt zu verzehren.
Außerdem hielten sie das Personal mit dummen Fragen nach dem W-Lan-Zugang und Bitten um ein Gruppenfoto zusammen durchschnittlich zehn Minuten von der Arbeit ab. Durch das Internet auf dem Handy habe sich die Aufenthaltsdauer der Gäste von damals durchschnittlich 65 Minuten auf 115 Minuten annähernd verdoppelt. Ist das nicht beeindruckend?
Gut, ich glaube in dieser Statistik keine einzige Zahl. Haben Sie mal fünf Minuten lang Fotos von einem Teller mit Essen gemacht? Das ist eine absurd lange Zeit. Die Amerikaner wissen doch, wie man ein Smartphone bedient.
Aber es ist doch beeindruckend, wie dieses Phänomen weltweit zum Thema wird. Und es stimmt ja: Wir Gäste setzen den revolutionärsten Trend der Gastro-Branche der vergangenen zehn Jahren ganz einfach selber: Entschleunigung! Bitte schön, das wollen doch immer alle.
Kreative Leistung
Nicht mehr Karte auf, Herr Ober bitte, Warten mit dem Blick auf die Uhr, Reinspachteln, zahlen bitte, auf Wiedersehen.
Dank des Smartphones halten wir inne, lassen unsere Gedanken gleiten, setzen uns künstlerisch mit der kreativen Leistung der Küche auseinander, teilen unsere Freude mit anderen. Dank technischer Schwierigkeiten entstehen Bande zwischen Gästen und Personal.
Früher nur Bestellungs-Empfänger, sind Kellnerinnen und Kellner heute auch Technical Support und nehmen aktiv Teil am bunten Leben der Gäste. Hätten Sie das einem schlichten Smartphone zugetraut? Und zum Dank gibt es anschließend auf Facebook Schwärmereien über ein schönes kulinarisches Erlebnis kostenlos. Hach, schöne neue Welt.
Dass sie das Personal dabei von der Arbeit abhalten, ist doch egal. Denn dadurch, dass die Gäste ewig den Tisch nicht freimachen, ist ja auch weniger zu tun. Und auch, wenn das den Gastronomen mit Blick auf den Umsatz nicht gefällt: Das wird nie wieder anders.
Handy-Verbot in Restaurants?
Im ICE-Restaurant hat man jüngst versucht, den Gästen die Arbeit mit moderner Technik pauschal zu verbieten. Auf einem Pappschild pro Tisch stand: „Aus Rücksicht auf andere Gäste“. Doch jedes Mal, wenn auf einer meiner Fahrten der Kellner einen Gast um Rücksicht bat, meldete sich von irgendwo ein anderer Gast: „Also, mich stört das nicht“. Mittlerweile ist die unbeholfene Erziehungsmaßnahme eingestellt worden.
Ein Handy-Verbot in Restaurants birgt noch eine ganz andere Gefahr: Als Gastronom sollte man sich nie mit einem Smartphone-Junkie anlegen. Die Rache liest sich dann sofort online auf diversen Bewertungsportalen: „Der Laden ist echt von gestern. Nie wieder!“