Werner knallhart

Nordsee ist in den Neunzigern steckengeblieben

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"Komm, wir gehen zu Nordsee", das müssten mal Teenager sagen

Ich bin halber Schwede, wir essen zu Weihnachten schon zum Frühstück eingelegten Hering und werfen Anchovis ins Kartoffel-Gratin. Ich bin mit Fisch als Fleischersatz aufgewachsen und wenn ich Lust auf einen schönen Batzen Fettig-Fleischig-Würziges habe, dann schmeiße ich mir ein Stück Lachs in die Pfanne. Aber ich käme nie, nie (in Worten: nie) auf die Idee, bei Nordsee Sushi zu kaufen. Das hat da nichts zu suchen. Ich erwarte im Sushi-Restaurant auch kein Matjes. Was machen die da bloß mit ihrer schönen Marke Nordsee?

Nordsee vertraut nicht dem Nordsee-Fisch. In einer ihrer letzten großen Kampagnen versuchten sie, Fischesser als sexy zu positionieren. Weil Fisch offenbar ein Imageproblem hat.

Jetzt gibt es eine neue Kampagne. Diesmal wird betont, dass nicht alle Leute gerne Fisch essen (und dass die was verpassen). Da dreht sich in einem Spot ein kleines Mädchen angewidert vom Fisch ab und dann isst ihn die Mutter. Als ob Nordsee sagen will: "Essen doch wenigstens Sie bei uns, auch wenn Ihr Kind lieber einen Döner will."


Nordsee sieht sich wohl als der einzige Fisch-Verfechter. Und positioniert sich in der Defensive. So wie einst Opel: "Wir haben verstanden". Asche auf unser Haupt.

Nordsee sollte seinem Fisch vertrauen. Und die Schuld lieber auf das Image schieben, was sie ihm selber verpassen. Es ist nicht der Fisch. Es ist das, was Nordsee draus macht.

Die Kette Gosch, die man vor allem auf Hauptbahnhöfen sieht, verleiht dem Fisch ein ganz anderes Image. Sie nennen sich Gosch Sylt. Aha! Da geht es schon los. Bei denen denkt man an Strandkörbe, an Drachen steigen lassen und an Muscheln sammeln.
Wo essen wir Fisch? Im Urlaub. Mit Weißwein. In der Windjacke. Im Sonnenuntergang. Bei Gosch gibt es Weißwein. Bei Nordsee Coca-Cola light.

Und vergleichen Sie mal die Websites der beiden Firmen. Bei Gosch sind die Restaurants allesamt abgebildet. Bei Nordsee finden Sie kein einziges Foto einer einzigen Filiale von innen. Eine Restaurantkette versteckt die Restaurants. Und zeigt Fotos von augenscheinlich perfekt im Studio drapiertem Fisch. Wahrscheinlich weil die Restaurants optisch noch nicht im Hier und Jetzt angekommen sind. Die Renovierungsphase dauert an. Und solange wird Nordsee zum Gutteil das Ambiente eines Karstadt-Restaurants ausstrahlen. Da isst man, um gediegen satt zu werden. Oder um in guten alten Zeiten zu schwelgen.

"Komm, wir gehen zu Nordsee." Laut Nordsee würde das wohl eine Mutter nach dem Sandalen-Kaufen in der Fußgängerzone zu ihrem Kind sagen, das dann sofort anfinge zu quengeln.

"Komm, wir gehen zu Nordsee", das müsste irgendwann mal der Teenager sagen, um seine Kumpels zur Abwechslung mal von Vapiano wegzulocken.

Absurd im Moment, ich weiß. Aber das kann ja noch kommen. Ich kriege vor Vorfreude jetzt schon Bismarck-Schmacht.

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