Werner knallhart

Lufthansa-Piloten haben Komplexe

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Lokführer der Lüfte

Sollen LKW-Fahrer auch mit 55 in Rente gehen dürfen, weil es in der Koje an der lauten Autobahn in den Abgasen so ungemütlich ist? Und anders als bei Piloten ist Zeitschriftenlesen bei der Arbeit im LKW lebensgefährlich. Deshalb müssen die LKW-Fahrer die Zeitschriften heimlich und von außen unsichtbar auf den Schoß legen, was beim Lesen auf Dauer die Nackenwirbel belastet.

Nun gut, bei Start und Landung wird vom Piloten allerhöchste Konzentration verlangt. Das muss ein Lokführer so nicht leisten. Aber dafür hat ein ICE-Lokführer allein auf der viereinhalb Stunden langen Fahrt von Berlin nach Köln mindestens acht Starts und Stopps hinzulegen. Und dann muss er ja auch noch irgendwie die traditionelle Verspätung aufstauen. Das stresst. 

Auch Lokführer klagen über die zu langen Arbeitszeiten, Einsamkeit und Langeweile. Sie bekommen höchstens mal Besuch, wenn die Schaffner nach vorne geschlichen kommen, um heimlich im Triebkopf zu rauchen.

Ich hatte mal das Vergnügen, als Reporter in einer ICE-Lokomotive von Berlin ins Rheinland zu fahren. Ja, das meiste steuert der Computer. Der Lokführer kümmert sich im Wesentlichen um die Ein- und Abfahrt in die Bahnhöfe. 

Schläft er gar ein, wird der Zug automatisch gebremst. Schläft der Pilot, fällt das mitunter längere Zeit gar nicht auf. Und in beiden Systemen gibt es Überlegungen, die Technik in ferner Zukunft zentral fernzusteuern, um den Verantwortlichen an Bord zu unterstützen oder irgendwann sogar überflüssig zu machen.

Das Prestige ist verflogen

So betrachtet sind Piloten doch die Lokführer der Lüfte. Und das meine ich überhaupt nicht despektierlich. Die vom Ruhm alter Zeiten geschmeichelten Piloten allerdings werden gar nicht gerne mit den Lokführern in einen Topf geworfen. Und jetzt stimmt sich die Piloten-Gewerkschaft bei den Streiks schon mit der Bahn ab. 

Im Lufthansa-Management schmunzelt man darüber. "Das gefällt den Piloten gar nicht", sagt ein Lufthansa-Manager. Ich kann das verstehen. Früher bedeuteten die goldenen Streifen am Ärmel der Pilotenuniform noch Prestige. Piloten waren Weltenbummler, beneidet von allen, die sich gerade mal eine Reise mit dem Opel Kadett in den Schwarzwald leisten konnten. Piloten hatten doch immer Sex auf allen Kontinenten. 
Heute haben die Passagiere Sex auf allen Kontinenten und wissen: Die Piloten sind froh, wenn sie nach dem einschläfernden Flug nicht auch noch im Hotel ihren Mann stehen müssen. Deshalb ergibt ein Streik jederzeit Sinn. Nicht wegen des übersteigerten Selbstvertrauens - sondern gerade wegen des fehlenden.

Streiken Fernsehmoderatoren, kommt ein Spielfilm. Streiken Zeitungs-Journalisten, liest man eben etwas anderes. Aber streiken die Lufthansa-Piloten, herrscht in Deutschland und auf den internationalen Flughäfen der halben Welt Chaos. Das ist doch ein geiles Gefühl. "Sonnenaufgänge in 10.000 Metern Höhe, 270 Tonnen mit den eigenen Händen in die Luft abheben, nachmittags am Strand oder in den Metropolen der Welt unterwegs." So lockt die Lufthansa ihre Piloten. Ich glaube, sie versteht deren wahre Komplexe nicht.

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