Ich habe vor einiger Zeit einen alten Heinz-Erhardt-Film gesehen, da fährt er (ich glaube, als Willi oder so) mit seiner Familie nach Italien in den Urlaub. 1970 war das noch so verrückt wie heute eine Floßfahrt an den Nordpol.
In dem Film konnte man etwas lernen: nämlich was Spaghetti sind. Total lange Nudeln, die man aber nicht in voller Länge von oben in Schlund einführt, sondern wie ein cleverer Italiener auf die Gabel dreht. Tsä! Da staunte Deutschland nicht schlecht.
Wenn ich heute in ein italienisches Restaurant gehe, dann fühle ich mich meist in diese alten Zeiten zurückversetzt. Oder zumindest in meine Kindheit in den 80ern. Da kann die Küche noch so fein sein - die Inneneinrichtung ähnelt meist den Hobbykellern von damals: Poster mit Fußballern an der Wand, ausgetrunkene Korbflaschen, vergilbte Autogrammkarten, Auto-Kennzeichen aus aller Welt, Buntnesseln im Fenster, an der Theke hängen Wimpel, darunter ein übergroßes Glas, halbgefüllt mit 1-Cent-Stücken. Auf den Tischen rot-weiß karierte Tischdecken und Speisekarten in Klarsichthüllen, eingeschlagen in mit Schaumgummi weich gefütterten Umschlägen aus braun marmoriertem Lederimitat.
Der Kontrast aus geschmackvollem Essen und geschmackloser Einrichtung ist ja irgendwie ganz lustig. Konzentration auf das, was zählt. Sehr gut. Nur der Trikolore-Lolli kommt nicht mehr mit der Rechnung. Ich kann es nicht ändern: Ich sehe eben selbst im fahlen Kerzenschein nicht mehr aus wie sieben.
Diese Regeln gelten bei einem Geschäftsessen
Wenn der Aperitif vor dem Essen gereicht wird, sollte das Glas nicht zum Tisch mitgenommen werden; das erledigen Kellner. Eingedeckte Gläser werden von rechts nach links, Besteck von außen nach innen verwendet. Gläser werden nur bis zum ersten Drittel eingeschenkt und nur am Stiel angefasst, falls sie einen haben.
Es wird nicht getrunken, bevor der Gastgeber dazu aufgefordert hat. „Guten Appetit“ wird kaum noch gewünscht. Kommt das vom Gastgeber und Koch, riecht es nach Eigenlob; wünscht es der Gast, könnte man meinen, es sei nötig. Wünschen Sie lieber einen netten Abend und gute Gespräche. Und angestoßen wird nur mit weinhaltigen Getränken, zunicken und zuprosten ist aber dezenter. Cheers!
Einmal aufgenommenes Besteck berührt die Tischdecke nicht wieder, bei Pausen wird es auf dem Teller geparkt.
Erlaubt ist, jederzeit zum Büfett zu gehen, um einen weiteren Gang zu holen. Tabu ist hingegen, den Teller bis zum Anschlag vollzupacken. Speisen nie am Büfett verzehren oder probieren! Und nie mit gebrauchtem Geschirr zurück ans Büfett (Ausnahme: privat).
Das Brot vor dem Essen ist keine Vorspeise, sondern eine Beilage zur Vorspeise. Es wird nur gebrochen, nie wie eine Stulle mit Butter bestrichen und gegessen! Richtig: Brot in Happen brechen, jedes Stück einzeln bestreichen und essen.
Heiße Getränke, die in Tassen nach dem Essen gereicht werden, dürfen erst serviert werden, wenn alle Besteckteile (Messer, Gabel, Teller) abgeräumt sind.
Artischocken, Austern, Canapés, Garnelen, Muscheln, Spareribs, Wachteln dürfen mit den Fingern gegessen werden. Ebenso Geflügel – aber nur, wenn es nicht anders geht.
Sie stoßen ein Weinglas um und bekleckern den Nachbarn: alles kein Desaster! Bitten Sie den Kellner diskret heran. Er beseitigt die Spuren. Den Nachbarn bitten Sie um Entschuldigung und bieten an, für etwaige Reinigungskosten aufzukommen. Sind nur Sie betroffen, ziehen Sie sich diskret auf die Toilette zurück.
Gastgeber mit Stil fragen: Was halten Sie von einem Menü? Wollen wir eine Vorspeise nehmen? Möchten Sie Wein dazu trinken? Anschließend passt er sich den Wünschen der Gäste an und lässt ihnen bei der Bestellung den Vortritt. Er bezahlt auch nicht am Tisch, sondern am Empfang.
Wird ausgebreitet und einmal gefaltet auf den Schoß gelegt. Fällt sie beim Essen runter, bitten Sie das Personal um eine neue. Nicht aufheben! Wer aufstehen muss, legt die Serviette locker links neben den Teller (amerikanisch: auf den Stuhl). Der Gastgeber deutet mit derselben Geste an, dass das Essen beendet ist.
Niemals bei Tisch! Make-up auffrischen, Lippenstift nachziehen, Augen nachtuschen – dazu zieht sich die Dame stets zurück.
Einzig richtig: nicht pusten, nicht mit dem Brot tunken, den Löffel nur mit der Spitze zum Mund führen. Cremesuppen und Suppen mit Einlagen werden nur ausgelöffelt, klare Brühen dürfen auch ausgetrunken werden.
Was sich aber bis heute nicht geändert hat: Die Kellner weigern sich seit Jahrzehnten, guten Abend, bitte, danke, kommt sofort, gerne, Entschuldigung und auf Wiedersehen zu sagen. Stattdessen sagen sie Sachen wie buonasera, prego, grazie, subito, scusi und arrivederci. Meine Begleitung neulich meinte: "Das machen die extra. Wegen der Folklore."
Ich sag: "Das ist es ja gerade."
Denn das macht mich immer so verlegen. Solange ich mir einrede, dass die italienischen Kellner die einfachsten Höflichkeitsfloskeln auf Deutsch nicht beherrschten, ist ja alles ganz einfach. Ich sehe großzügig über die Sprach-Defizite im Job hinweg, finde, dass Italienisch so engagiert und melodisch klingt, und fertig.
Aber die Kellner spielen die Authentizität nur. Wie soll man da reagieren? Was man tut, man tut es falsch.
Es ist ähnlich ausweglos, wie wenn ein Geigenspieler sich direkt vor einem am Tisch aufbaut und einem mehrere Minuten etwas vorfiedelt, wohl wissend, dass seine Dienstleistung nicht bestellt war. Man kann praktisch nur blöde dastehen: Entweder heuchelt man Interesse, dann bleibt der noch länger und kommt man um einen Obolus nicht herum, oder man ignoriert die Musik, das kauft einem aber keiner ab, oder man zeigt sich akustisch belästigt und wedelt genervt mit den Händen. Dann ist man komplett blamiert.
Es gibt nur einen Ausweg: Man inszeniert mit seinem Tischpartner schnell irgendeinen lautstarken Streit.
Vertreibung des Folklore-Kellners
Aber was tun beim Folklore-Kellner?
Variante 1: Auf Italienisch mitmachen
Gerne genommen im Prenzlauer Berg, wo Grundschullehrer bei einer Flasche Rotwein damit ihre neue Flamme beeindrucken wollen: "Prego due spaghetti con, Dings, äh, was heißt nochmal Muscheln?" Die neue Flamme guckt dann lächelnd in die gepolsterte Karte und versucht, im Erdboden zu versinken.
Variante 2: Auf dumm stellen
Kellner: "Buonasera! Per favore, Dottore?"
Gast: "Was ist los?"
Variante 3: Die hat ein Freund ausprobiert, dessen Muttersprache Russisch ist. Weltmännisch kontern.
Kellner: "Buonasera! Per favore, Signore?"
Freund: "Čto mozete posovetovat?"
Kellner: "Was ist los?"
Variante 4: Um die Wette klugscheißen.
Gast: "Zwei Espressos, bitte."
Kellner: "Zwei Espressi, bringe sofort."
Gast: "Nein, nein, zwei Espressos war schon richtig. Im Deutschen brauchen wir kein Plural-i. Sie können aber natürlich gerne due espressi sagen."
Wie wäre es anderswo? Bei McDonald's in Hildesheim vor jedem Burger noch ein "May I take your order?" und ein "Enjoy your meal!" - landestypisch aber affig.
Die Sushi-Bestellhotlines würden zusammenbrechen, würden am Telefon die Wünsche auf Japanisch abgefragt.
Würden wir beim Dönermann immer auf Türkisch bedient, er käme rüber wie schlecht integriert.
Und ich kann mir auch nicht vorstellen, dass man in einem BMW-Autohaus in Kuala Lumpur angesprochen wird mit "Grüß Gott, welches hübsche Auto darf es denn sein, bittschön?"
Naja, die Konter-Varianten 1 bis 4 sind ja eigentlich alle nicht so sympathisch. Vielleicht ist ja Variante 5 die eleganteste:
Variante 5: Das diplomatische Drüber-weg.
Kellner: "Prego Signori, due espressi."
Gast: "Danke. Hammse Zucker?"
Oder noch besser: Ich bin für ein Sprachabkommen, wie es eins so nur in Europa geben kann. Ab sofort hören die Kellner mit italienischen Wurzeln damit auf, so zu tun, als seien wir hier auf Sizilien. Dafür hören wir Deutschen auf, im Italien-Urlaub drauflos zu plappern, als seien wir im Harz. Dann könnte ich bei meinen Spagetti Vongole endlich wieder entspannen.