Der feine Grat zwischen Vorschriften und Menschlichkeit. Vor einiger Zeit am späten Abend von Köln-Deutz nach Frankfurt. Da kommt die Schaffnerin durch. Eine ältere Dame hält sie auf und fragt mit zittriger Stimme: "Sagen Sie, wann kommt denn Köln Hauptbahnhof?"
"Der Zug hält nicht Köln Hauptbahnhof. Wir haben nur Deutz gehalten."
"Was? Oh Gott, was mache ich denn jetzt? Wie komme ich denn jetzt zurück?"
Die wichtigsten Baustellen der Bahn 2015
Von Mitte Januar bis Anfang Mai wird auf der Nord-Süd-Verbindung der Oberbau, die Leit- und Sicherungstechnik und der Tunnel unter die Lupe genommen. In dieser Zeit ist die Strecke zwischen Gesundbrunnen und Yorkstraße gesperrt. Von Ende August bis Ende November wird außerdem eine Brückenkonstruktion am erst 2006 eröffneten Berliner Hauptbahnhof saniert. Fernzüge halten dann im unteren Teil des Kreuzungsbahnhofs.
Mitte Mai sollen auf der Hochgeschwindigkeitsstrecke zwölf Weichen erneuert werden. Während der Bauzeit wird die Strecke gesperrt. Der Fernverkehr wird von Hannover über die alte Strecke nach Göttingen umgeleitet. Das dauert 30 Minuten länger.
Von Mitte April bis Mitte Mai werden auf der ICE-Strecke 44 Kilometer Schienenstrang ausgewechselt. Dazu wird die Strecke durch den Westerwald an vier Wochenenden gesperrt. Die Züge werden dann am Rhein entlang fahren. Die Fahrzeit verlängert sich um 60 Minuten.
Die Strecke bekommt von Ende Juni bis Mitte August auf 22 Kilometern neue Gleise. Fernzüge fahren einen Umweg über Venlo und brauchen dafür 45 Minuten länger. Auf der Route Köln-Siegen werden im gleichen Zeitraum 35 Kilometer Gleise renoviert. Davon sind in der Bauzeit 77 Nahverkehrszüge betroffen, die durch Busse ersetzt werden.
Von Mitte September bis Ende Oktober werden auf der Schnelltrasse Gleise und Weichen ausgetauscht. Dafür wird die Strecke zwischen Kraichtal und Stuttgart-Zuffenhausen zeitweise gesperrt. Die Umleitung über die alte Strecke kostet 40 Minuten Fahrzeit.
Von Anfang März bis April wird ein zehn Kilometer langer Streckenabschnitt saniert. Zeitweise ist eine Sperrung nötig. Die Fernzüge der Linie Nürnberg-Karlsruhe werden über Treuchtlingen umgeleitet. Das dauert 40 Minuten länger als sonst.
Auf dieser Route wird voraussichtlich noch bis August 2015 die Schienentechnik erneuert, damit Züge künftig dort mit Tempo 200 fahren können. Dabei muss ein alter Damm saniert, Gleise erneuert und neue Signalkabel verlegt werden. Ein Teil der Fernzüge muss über Augsburg umgeleitet werden. Das führt zu einer 30 Minuten längeren Fahrzeit.
"Unser nächster Halt ist Montabaur. Von da kommen Sie heute Nacht allerdings nicht mehr nach Köln zurück."
"Um Himmels Willen!" Die Seniorin schnappte nach Luft.
"Jetzt zeigen Sie mir erstmal Ihren Personalausweis."
"Aber warum das denn?"
"Ich will nur sehen, dass Ihre Meldeadresse nicht Montabaur ist. Es gibt da so eine Masche. Ticket bis nach Köln lösen aber dann bis Montabaur weiterfahren, weil man das mit Hauptbahnhof angeblich nicht wusste."
Die alte Dame eine schlitzohrige Schwarzfahrerin? Sie lief rot an: "Ich bitte Sie! WAS SOLL ICH DENN UM DIESE UHRZEIT IN MONTABAUR?"
Und jetzt geschah es. Die Schaffnerin hielt inne, atmete durch, flüsterte "Moment bitte", drehte sich auf dem Absatz um und verschwand.
Die alte Dame blickte ihr mit tränennassen Augen verdutzt hinterher: "Wo soll ich heute Nacht denn bleiben?"
Kurz darauf kam die Zugbegleiterin zurückgeeilt: "Sie fahren jetzt mit uns mit bis Frankfurt Flughafen. Dort wartet für Sie der letzte ICE des Tages Richtung Köln."
Ein Raunen ging durch den Großraumwagen: So etwas stand in keinem Vorschriftenkatalog. Ich werde nie vergessen: Wir drückten uns alle fast die Nasen platt, als wir der alten Dame dabei zusahen, wie sie vier Gleise weiter im nächtlichen Flughafenbahnhof allein in die einzige Tür kletterte, die an dem hunderte Meter langen ICE noch offen stand. Ein Mann in DB-Uniform erwartete sie schon. Sie stieg ein, die Tür schlug zu und der Zug fuhr ab nach Köln.