Wie die Fluggesellschaft wachsen will Der Wahnsinn bei Etihad hat Methode

Mit einem Einstieg in Italiens Pleitelinie Alitalia will Etihad aus Abu Dhabi seine weltweite Airline-Gruppe innerhalb eines Jahres um den vierten Verlustbringer erweitern. Doch obwohl Vorgänger wie Swissair mit ähnlichen Ideen gescheitert sind, macht die Strategie für den Air-Berlin-Großaktionär Sinn.

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Wer Etihad-Chef James Hogan trifft, hält ihn nicht unbedingt für einen Visionär. Der leicht untersetzte gebürtige Australier wirkt immer ein wenig unter Druck und auf skeptische Fragen zur Strategie der von ihm geleiteten Airline aus dem Öl-Emirat Abu Dhabi reagiert der 57-Jährige in der Regel zwischen kurz angebunden und offen unwirsch. Dazu scheint er einen leicht verklärten Blick auf die Realität zu haben. „Das war kein schlechtes Investment“, beschrieb er im vergangenen März im Gespräch mit der britischen Tageszeitung „The Telegraph“ die Lage bei Air Berlin, an der Etihad knapp 30 Prozent der Anteile hält. „Das Geschäft ist profitabel“, ergänzte Hogan, obwohl Air Berlin keine zwei Wochen später melden musste, dass sie ohne den weitgehenden Verkauf des Vielfliegerprogramms im Geschäftsjahr wohl fast 190 Millionen Euro Verlust geschrieben hätte.

Trotzdem hat es der begeisterte Sportler Hogan geschafft, die Flugbranche um eine ungewöhnliche Strategie zu bereichern: den Aufbau einer weltweiten Gruppe von Fluglinien. Die Staatslinie der Vereinigten Arabischen Emirate hält Anteile an derzeit sieben Fluglinien aus aller Welt: von der irischen Aer Lingus über Air Seychelles genannten Linie der Seychellen bis zu Virgin Australia vom fünften Kontinent. Darunter sind drei Neuzugänge aus dem vorigen Jahr: Air Serbia aus Serbien, Jet Airways aus Indien, die in Etihad Regional umgetaufte Schweizer Nobellinie Darwin – sowie bald möglicherweise Alitalia.

Nach den klassischen Regeln der Branche ist Hogans Plan mit Wohlwollen betrachtet bestenfalls absurd.

Zum einen fliegt Etihad selbst schon als eine Airline an der Grenze. Zwar beschwört Hogan immer, sein Unternehmen schreibe Gewinne. Doch außer seinen Anteilseignern und ein paar Banken als Kreditgebern hat noch kein Außenstehender eine Bilanz gesehen. Klar ist hingegen: Etihad ist schneller gewachsen als jede Fluglinie vor ihr und leistete sich teilweise groteske Fehlplanungen wie Ultralangstreckenflüge am späten Vormittag, die oft halbleer starten mussten, weil die Luft in Abu Dhabi immer wieder so heiß ist, dass voll beladenen Maschinen der Auftrieb für einen sicheren Start gefehlt hätte.

Dazu schrieben mit Ausnahme von Aer Lingus alle Etihad-Töchter zuletzt Verluste, wenn sie nicht gleich wie Etihad selbst erst gar keine Bilanz veröffentlichten. Mit den Alitalia-Verlusten von derzeit wohl 700.000 Euro pro Tag könnte der Etihad-Club laut Schätzungen in diesem Jahr weit mehr als eine halbe Milliarde Euro Minus schreiben.

Zu guter Letzt hat Etihad formal bei keiner seiner Töchter das Sagen, weil der Konzern nirgendwo die Mehrheit hält. Das tut die Emiratslinie nicht aus Bescheidenheit: Bei mehr als 50 Prozent der Anteile in ausländischer Hand muss eine Airline den Betrieb dramatisch runter fahren, weil nach den antiquierten Regeln des internationalen Luftverkehrs zwischen zwei Ländern in der Regel nur Gesellschaften fliegen dürfen, bei denen Anteilseigner aus dem Start- oder dem Zielland die Mehrheit der Stimmrechte haben.

Etihad ist mehr als eine Fluglinie

Damit erinnert die von Etihad vornehm „Equity Partner“ genannte Airline-Schar fatal an die kläglich gescheiterten Versuche anderer Fluglinien, durch Zukäufe im Ausland zu wachsen. So kaufte sich British Airways Teile der gerade in American Airlines aufgegangenen heutigen US Airways und der australischen Qantas. Doch weil das am Ende statt Synergien vor allem Ärger mit Gewerkschaften und Aufsehen brachte, lösten die Briten das ebenso auf wie die heutige Air-France-Tochter KLM ihr Investment in die damalige Northwest Airlines.

Die wegen ihrer lange soliden Bilanz als fliegende Schweizer Bank bewunderte Swissair kostet das Experiment sogar das Leben. Im Rahmen der von der Beratung McKinsey erdachten Hunter-Strategie kauften die Eidgenossen eine Art fliegender EU mit Anteilen an einem Dutzend Verlustlinien wie TAP Air Portugal, Air Littoral und AOM aus Frankreich, der Belgischen Sabena, Volare aus Italien, South African Airways und der deutschen Ferienfluggesellschaft LTU. Hier zahlten die Schweizer laut Insidern jedoch zumindest nicht drauf, weil sie die LTU-Flotte verkauften.

Doch trotz der mahnenden Beispiele macht die Strategie von Etihad-Chef Hogan durchaus Sinn. Zum einen ist seine globale Shopping-Tour für Etihad finanziell weit weniger gefährlich als etwa für die Swissair. Dank der schier unendlichen Öl-Milliarden hat Etihad-Alleininhaber Abu Dhabi bereits die vom Unternehmen nicht kommentierten Anlaufverluste von mehreren Milliarden Dollar gut weggesteckt und kann sich auch weitere rote Zahlen leisten.

Zudem hat Etihad auch ohne Stimmrechts-Mehrheit bei seinen Partnern großen Einfluss. „Fast alle Linien brauchen Geld und Verbindungen außerhalb ihres Netzes“, so ein Etihad-Manager. „Und beides bekommen sie am leichtesten von uns – wenn sie sich bei ihrer Strategie und der Sanierung in unsere Richtung bewegen.“

Der wichtigste Punkt jedoch: für Etihad ist die Familie der Fluglinien ein gutes Marketing-Instrument. Sie soll die Marke Etihad durch die Verbindung zu starken lokalen Airlines wie Air Berlin schneller bekannt machen, als sie dies mit klassischer Werbung je schaffen könnte.

Denn Bekanntheit braucht Etihad dringend, denn das Unternehmen ist mehr als nur eine Fluglinie. Sie soll ihre Heimstadt Abu Dhabi weltweit bekannt machen und für die Eigner- und Herrscher-Familie Al Nahyan den schmerzenden strukturellen Nachteil gegenüber dem Nachbaremirat Dubai und nicht zuletzt dessen erfolgreicher Staatslinie Emirates wettmachen.

Etihad ist wie Qatar Airways aus dem Gas-Emirat Katar und anfangs auch Emirates nicht in erster Linie ein Unternehmen, das Geld verdienen sollen. Sie soll zu allererst wie eine Abteilung für Tourismusförderung den Standort Abu Dhabi fördern und dabei gleichermaßen Geschäftsleute in die Banken und Bürohochhäuser locken wie Touristen in die Luxushotels, Museen oder weitere Attraktionen wie den Formel-Eins-Kurs in Abu Dhabi – und notfalls auch ins benachbarte Dubai.

Das ist nicht ganz leicht. Das relativ arme Nachbar-Emirat Dubai hat mit der gleichen Idee über mehr Tourismus für die Zeit nach dem Öl vorzusorgen mehr fast 20 Jahre früher angefangen als Abu Dhabi. Und Dubai ist extrem erfolgreich, besonders angesichts der Tatsache, dass die Backofenhitze vom späten Frühjahr bis zum frühen Herbst längere Strandbesuche fast unmöglich macht – und selbst abends Außenterrassen ebenso herunter gekühlt werden müssen wie das Wasser für die 30-Grad-Schonwäsche.

Etihad profitiert von der langjährigen Erfahrung seiner Partner

Das sind die beliebtesten Airlines der Deutschen
Das Internet-Reiseportal Tripadvisor hat von Anfang bis Mitte Februar 996 deutsche Besucher seiner Webseite befragt, welche Fluggesellschaft bei ihnen am beliebtesten ist.Platz 12 - EtihadDie arabische Airline Etihad mit Sitz in Abu Dhabi gehört zu den Top Zwölf der beliebtesten Airlines der Deutschen. „Etihad“ ist das arabische Wort für „Allianz“ oder „Union“. Auf dem Ruder des Flugzeugs ist das Wappen der Vereinigten Arabischen Emirate abgebildet. Ebenfalls auf dem zwölften Rang: Germanwings. Quelle: AP
Platz 9 - British AirwaysBritish Airways ist die größte britische Fluggesellschaft. Die Airline landet bei der Umfrage von Tripadvisor auf Platz neun. Gleich beliebt sind Tui Fly und Cathay Pacific. Quelle: REUTERS
Platz 8 – Austrian AirlinesDie Deutschen fliegen auf die Österreicher, oder besser mit ihnen. In der Rangliste der Tripadvisor-Lieblingsairlines landet die Tochter der Lufthansa auf Rang acht. Quelle: dapd
Platz 7 - KLMDie Royal Dutch Airlines KLM ist die größte niederländische Fluggesellschaft und gleichzeitig die älteste noch existierende Fluglinie der Welt. Die Linie wurde bereits 1919 gegründet und hat über 33.000 Angestellte. Deutsche reisen gerne mit KLM – Platz sieben für die Niederländer nach Rang neun im Vorjahr. Quelle: AP
Platz 6 - Thai AirwaysThai Airways International landet in der Umfrage auf dem sechsten Platz. In Deutschland fliegt die Gesellschaft aus Thailand Frankfurt und München an. Die Airline gehört zur Star Alliance. Quelle: dpa
Platz 5 - Air BerlinDie zweitgrößte deutsche Airline hat es wieder in die Top Fünf geschafft. Air Berlin ist aber von Rang vier auf fünf abgerutscht. Sie ist die Lieblings-Fluggesellschaft von gut fünf Prozent der Umfrageteilnehmer. Quelle: dpa
Platz 4 - Swiss AirDie Schweizer Airline Swiss Air legt großen Wert auf eine umfassende Flugbetreuung. Neben Ohrstöpseln, Decken, Pyjamas, Socken, Zahnbürsten und Augenbinden hat die Airline auch Rasierzeug und Nagelfeilen an Bord. Die Umfrageteilnehmer wählten die Schweizer auf Platz vier. Quelle: AP

Dubais Erfolg als Geschäftszentrum und Urlaubsziel verdankt es zum einen seiner jahrhundertelangen Tradition. Dubai war dank des Hafens schon immer ein Handelszentrum. Nun ist es dank seiner liberaleren Regeln für Alkoholausschank und begrenzt jugendfreie Abendunterhaltung ein touristisches Top-Ziel - nicht zuletzt für die vielen amüsierfreudigen Reisenden aus den strengeren Nachbarländern vom Iran über Saudi-Arabien bis zu den Schwester-Emiraten.

Zumindest ebenso wichtig für Dubais Erfolg ist die staatliche Fluglinie Emirates. Mit ihren derzeit fast 140 Zielen fliegt sie von Los Angeles über Kapstadt bis Tokio fast alle wichtigen Metropolen an – und noch ein paar unbekannte wie Sialkot im Norden Pakistans oder Conakry in Guinea.

Den Erfolg kann Etihad allein nicht wiederholen. Emirates ist eine bekannte Weltmarke dank des dichten Netzes, eines vom tatsächlichen Bordservice nicht immer eingelösten guten Images und des auf die jeweilige Zielregion zugeschnittenen cleveren Sponsorings von Sinfoniekonzerten in Europa bis zu Kricketspielen in Indien. Dazu arbeitet Emirates extrem effizient und fliegt für die Branche ungewöhnlich hohe Gewinne ein.

Lange versuchte Etihad das Modell zu kopieren - freilich mit höherem finanziellen Aufwand und geringerem Erfolg. Denn trotz hoher Investitionen in riesige Flugzeugbestellungen, Sportsponsoring und den Kundendienst konnte Etihad den Abstand zu Emirates nur langsam verkleinern – nicht zuletzt, weil der Service wegen des starken Wachstums am Ende oft nicht immer den gleichen Standard hat. Gleichzeitig schrieb die Linie hohe Verluste. „Wer will die Kopie Etihad, wenn er das Original Emirates haben kann“, kommentiert trocken ein hoher Emirates-Manager.

Also verfiel Hogan notgedrungen auf eine andere Idee: wenn er Anteile von Fluglinien in einigen seiner wichtigen Märkte kauft, würde er von deren Bekanntheit profitieren und allmählich in deren Heimatländern als eine Art nationale Fluglinie gelten.

Am besten zeigt der Einstieg bei Air Berlin die Vorteile des Modells á la Hogan. Als der Etihad-Chef den Deal Ende 2011 abschloss, schien es so, als habe der damalige Air-Berlin-Chef Hartmut Mehdorn dem neureichen Airliner aus dem Morgenland schlitzohrig eine nicht zu sanierende Firma angedreht. Doch obwohl Etihad seitdem laut der Geschäftsberichte insgesamt mindestens 511 Millionen Euro in Form von Kreditlinien oder direkten Zahlungen wie dem Anteil am Vielfliegerprogramm nach Berlin schickte, ist der Deal für Etihad immer noch kein Verlustgeschäft.

Zum einen war die Investition aus Sicht von Etihad relativ preiswert. „Das Sponsoring des englischen Fußballverein Manchester City war teurer und hat trotzdem in Sachen Bekanntheit weniger gebracht als das Air-Berlin-Engagement in Deutschland“, freut sich ein Insider. So gewann Etihad über Air Berlin inzwischen angeblich gut 200.000 zusätzliche Passagiere mit mindestens 100 Millionen Umsatz, der sonst bei der Konkurrenz gelandet wäre.

Das soll auch bei Alitalia der Fall sein. „Alles was einen realistischen Business Plan verhindert muss vor einem Vertragsabschluss geklärt sein, damit Alitalia auch wirklich in die Gewinnzone kommt”, erklärt Hogan.

Dazu bietet der Verbund mit seinen fliegenden Töchtern einige Synergien. „Den Kaufpreis von 105 Millionen für die 29 Prozent hatten wir bereits nach sechs Monaten wieder verdient”, sagt Hogan. So drängt Etihad seine Gruppe zum gemeinsamen Einkauf. „Wenn wir mit Flugzeug- oder Triebwerksherstellern wie Airbus oder Rolls Royce reden, geht es nun um 500 Flugzeuge und entsprechende Mengenrabatte“, sagt Hogan. Das gleiche gilt für Flughafengebühren und die Kosten für das gemeinsam betriebene Vielfliegerprogramm. Bei den Flugzeugsitzen ist das jetzt bereits umgesetzt. So stecken in den Business-Class-Abteilen von Etihad und Air-.Berlin die gleichen Sessel – nur mit einem anderen Bezug.

Schließlich profitiert Etihad von der langjährigen Erfahrung seiner Partner in Sachen Flugbetrieb. Etihad übernahm nicht nur gut ausgebildete Piloten, die etwa Air Berlin im Rahmen seines Schrumpfkurses loswerden wollte. Durch die Zusammenarbeit der Wartungsbetriebe profitieren auch die durch das starke Wachstum stark belasteten Etihad-Werkstätten der Partner.

Noch ist nicht klar, ob am Ende das System Hogan zu einem dauerhaften Erfolg führt oder nicht doch durch die Kosten für Europas langlebigste Verlustlinie Alitalia an seine Grenzen gelangt – und sei es nur, weil Abu Dhabis Herrscher-Familie die Geduld verliert. „In jedem Fall bringt die Airline-Gruppe Etihad System schneller und weiter voran, als es die Airline auch bei noch so großem Kapitaleinsatz allein geschafft hätte“, sagt der Chef einer Konkurrenzlinie.

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