Wie hart Unternehmen auf Zechpreller reagieren Immer mehr Deutsche kaufen, ohne zu bezahlen

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Unternehmen rüsten auf

Logistikzentrale von Hermes Quelle: AP

Kaufhäuser und Supermärkte versuchen, mit Alarmanlagen am Ausgang und Safes für teure Waren Ladendiebe in den Griff zu bekommen. Trotzdem greifen Langfinger jeden Verkaufstag immer noch Waren im Wert von sechs Millionen Euro ab und verursachen einen jährlichen Schaden von rund 1,9 Milliarden Euro. Bei Online-Shops können Kunden zwar nichts in den Taschen verschwinden lassen, nutzen aber andere Methoden.

Weil die Zechprellerei im Internet zulegt, rüsten die Unternehmen auf. Mit welchen Mitteln sie die Plage bekämpfen, gilt in den meisten Fällen als Betriebsgeheimnis. Nur wenige reden offen darüber, wie sie säumige Kunden jagen oder notorische Nichtzahler abwehren. Zu ihnen zählt die Otto-Gruppe, die der WirtschaftsWoche Einblick in ihr konzerneigenes Betrugsdezernat gewährt hat.

Kunden zahlen selten vor Erhalt der Ware

Die Taskforce von rund 20 Leuten sitzt in kommunikativen Vierer-Büros auf dem repräsentativen Otto-Campus in der Hansestadt Hamburg. Die Truppe aus smarten Angestellten passt nicht ins Klischee gnadenloser Ermittler, ist dafür aber umso effektiver. "Unsere Abwehr steht", sagt Hans-Georg Spliethoff, Leiter des Kreditmanagements bei Otto. Je stärker der Handel über das Internet boomt, desto mehr Schlingel und Zahlungsschwache filtern und sieben die Spürnasen aus dem gigantischen Heer der Besteller heraus. Das ist bei Otto besonders wichtig, weil kaum einer der Kunden vor Erhalt der Ware zahlt.

"Fast alle unserer Kunden – 99 Prozent – wollen auf Rechnung kaufen, weil diese Zahlungsart für sie am bequemsten und sichersten ist", sagt Otto-Oberjäger Spliethoff. Zugleich gehört der Kauf auf Rechnung für Versandhändler zum Geschäftsmodell, weil sie dadurch Kunden gewinnen und die Umsätze steigern – ein gefundenes Fressen für Betrüger.

Das Zahlungsverhalten der Deutschen, die Lieblingsopfer der Betrüger und die größten Gläubiger

Um denen auf die Schliche zu kommen, durchstöbern Spliethoffs Mitarbeiter alle zugänglichen Winkel der analogen und digitalen Welt. Sie schnüffeln etwa in düsteren Internet-Chatrooms, in denen notorische Abzocker unter Pseudonymen schamlos ihre neuesten Tricks herausposaunen: Bestellt euch einen teuren Laptop und ein paar billige T-Shirts dazu, riet unlängst ein Chatter, schickt dann die Klamotten zurück und behaltet den Rechner! Mahne der Versandhändler die Bezahlung an, solle man einfach behaupten, man habe alles zurückgeschickt. Der Händler würde dann annehmen, die Retouren fehlerhaft erfasst zu haben, und aufs Geld verzichten.

"Finger weg von Otto!"

Finden die Otto-Detektive Anhaltspunkte, ihr Arbeitgeber könnte auf diese Weise hereingelegt werden, können sie äußerst hartnäckig werden. In einem Fall verfolgten sie das Pseudonym aus einem Betrüger-Chatroom bis ins soziale Netzwerk Facebook, wo sie ein Nutzerkonto fanden, das schließlich den Klarnamen preisgab. "Finger weg von Otto!", heißt es inzwischen im Internet, "die schicken immer gleich die Bullen mit."

Gleichzeitig screent die Otto-Taskforce alle Bestellungen nach Verdachtsmomenten. Bei Unterhaltungselektronik, Markenklamotten und teuren Parfüms sind die Ermittler besonders wachsam. Oft ordern Betrüger zum Beispiel in hoher Zahl teure Artikel unter verschiedenen Namen, um nicht aufzufallen. Erkennt die Filtersoftware solche Muster, knöpfen sich die Otto-Fahnder die Bestellungen vor, indem sie etwa bei dem Kunden anrufen und die Ware erst einmal auf der Rampe lassen. "Einen niedrigen zweistelligen Millionenbetrag an Betrugsschaden verhindern wir pro Jahr", sagt Taskforce-Chef Spliethoff. Das ist ein Vielfaches dessen, was der Präventionstrupp kostet.

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