Der Tag neigt sich zum Abend. Aufrecht, wie gewohnt im dunklen Anzug, farbigen Hemd mit weißem Kragen und feinem Binder, tritt Wolfgang Grupp vor sein Grab.
„Ich will wissen, wo mein Platz ist“, sagt der 73-Jährige und blickt auf eine braune Metalltafel. Die hat er an der Friedhofsmauer anbringen lassen, dort, wo er einmal seine letzte Ruhestätte zu finden gedenkt. „Wolfgang Grupp, geb. 4.4.1942“ hat er auf die Platte schreiben lassen, nur sein Sterbedatum fehlt noch. Daneben hängen fünf weitere Tafeln für seine Angehörigen, noch ohne Inschrift.
Eigentlich hätte er auch schon gern „Elisabeth Grupp, geb. 25.6.66“ auf einer der Platten vermerkt, den Namen seiner Gattin. Aber die habe es abgelehnt, im Alter von 48 Jahren auf ihr Ableben aufmerksam zu machen. Frauen hätten damit Probleme. „Ich war der Einzige“ sagt er, „der das spontan wollte.“
Generationenwechsel bei Trigema
Deutschlands berühmtester Mittelständler, der mit dem Schimpansen vor der Tagesschau für sich wirbt, in Talkshows auf Teufel komm raus polarisiert und erfolglose Top-Manager als verantwortungslose Absahner geißelt, der Eigentümer des T-Shirt-Herstellers Trigema im schwäbischen Burladingen ist und der jeden Morgen in seiner Privatkapelle betet, dieser draufgängerische wie demutbereite Sonderling der deutschen Wirtschaft, er ist in eine neue Lebensphase eingetreten.
Dafür ist das Freilicht-Mausoleum nur ein äußerliches Zeichen. Sein eigentliches Projekt hat Grupp im Stillen in Angriff genommen. Und das werden Hunderttausende von Familienunternehmern in Deutschland verfolgen: die Überleitung von Trigema an seine Tochter Bonita, 25, oder seinen Sohn Wolfgang, 23, die eigentlich noch zu jung und zu unerfahren sind.
Für viele Familienunternehmen ist die Nachfolge das Problem schlechthin, wie unlängst das Institut für Mittelstandsforschung in Bonn feststellte. Für Grupp mit seinen rund 1200 Mitarbeitern und fast 90 Millionen Euro Jahresumsatz hat die Zäsur aber ganz besondere Dimensionen.
Denn seine Firma Trigema ist über weite Strecken eine Ein-Mann-Show, deren Erfolg auf einem Eigensinn und Charisma beruht, von dem die auserkorenen Nachfolger weit entfernt sind. Anfang bis Mitte 20, das Studium gerade abgeschlossen, haben seine Lieben nicht nur über die Hälfte ihres Lebens fernab des Unternehmens und des Elternhauses verbracht. Sie haben dabei auch noch in englischsprachiger Umgebung den Duft der großen weiten Welt geatmet statt die Fabrik- und Landluft der schwäbischen Provinz.
Ausgerechnet zwei solche sollen nun im 13.000-Einwohner-Dorf Burladingen, ein bis zwei Autostunden von den nächsten Großstädten Stuttgart und München entfernt, ohne Freunde und Bekannte, ohne jemals längere Zeit ein anderes Unternehmen kennengelernt zu haben und unter einem Vater wie dem ihren die Probe aufs Exempel machen: Kann rigorose Aufzucht, flankiert von grenzenlosem Familiensinn, Elternliebe und materieller Großzügigkeit, den Nachwuchs über Jahre hinweg so emotional aufladen, dass dieser – trotz anderer Verlockungen – zum Einstieg in ein patriarchalisch geführtes Unternehmen bereit ist?
Reichen solche Voraussetzungen, um ein Unternehmen, das im Rhythmus einer fast übermächtigen Persönlichkeit an der Spitze tickt, fortzuführen? Oder verhindert jahrzehntelange Autokratie, dass der Nachwuchs jemals die Kraft haben wird, wenn erforderlich ganz andere Wege einzuschlagen, um das Unternehmen neu auszurichten? Das Experiment ist gerade angelaufen.
Aus einem Tag der Grupp-Familie
Morgens um acht, Fabrikant Grupp und seine Frau Elisabeth sitzen im Esszimmer ihrer Villa, zur Seite Tochter Bonita und Sohn Wolfgang. Die beiden haben sich bürofein gemacht. Wolfgang trägt Jeans, ein blaues Sakko und ein legeres weißes Hemd, Schwester Bonita ein halblanges weißes Kleid, dazu ein lila Jäckchen. Grupp Senior hat wie jeden Morgen bereits 400 Meter in seinem Pool und ein gutes Dutzend Liegestütze absolviert.
Jetzt wird erst einmal gefrühstückt, gemeinsam, eine halbe Stunde. Grupp drückt die Taste einer Sprechanlage und sagt „Some more coffee, please“. Die Tür zur Küche öffnet sich, ein Diener in weißer Livree, den er vor Kurzem über eine Agentur in den Philippinen anheuerte, tritt ein. Ein höfliches „Thank you“, ein lächelndes „You’re welcome“ zurück, dann besprechen Eltern und Kinder, was heute anliegt in der Firma. Mutter Elisabeth drückt die Taste und sagt: „You can clear the table.“ Der Diener räumt ab, Vater, Mutter, Sohn und Tochter streben durch den Garten auf die andere Straßenseite, rüber zu Trigema.
Die jungen Grupps machen das noch nicht lange so. Bonita wohnt der täglichen Zeremonie seit August 2013 bei, als sie entschied, nicht in London zu bleiben, wo sie studierte, sondern das Angebot des Vaters akzeptierte, bei ihm anzufangen. Bruder Wolfgang zog fünf Monate später ebenfalls aus London nach.
Neuanfang für den Nachwuchs
Was Außenstehenden wie eine Rückkehr erscheinen mag, bedeutet für die beiden Geschwister einen Neuanfang. Denn die zwei waren den größten Teil ihres Lebens bei den Eltern nicht zu Hause, sondern in Ferien. Zu verdanken haben sie dies ihrem Vater, der bereits 47 Jahre alt war, als Bonita auf die Welt kam, und auf die 50 zuging, als Wolfgang geboren wurde. Grupp entschied, seinem späten Glück eine Erziehung angedeihen zu lassen, die er in zwei Etappen teilte.
In der ersten Phase, bis zum Ende der Grundschule, sollten ohne Einschränkung die Eltern die entscheidende Werte-Instanz bilden. Mutter Elisabeth, die es an der Universität im österreichischen Graz bereits zum Physikum gebracht hatte, brach ihr Medizinstudium ab und betreute die Kleinen; wenn es die Zeit zuließ, kümmerte sie sich um die Läden von Trigema. Vater Wolfgang liebte es, die Sprösslinge für ihre Folgsamkeit zu loben, indem er sie mit seiner „Betriebsfamilie“ verglich, als die er die Trigema-Belegschaft führt.
Embedded by Grupp: Eine Nacht in Burladingen
Wie seine Kinder „nie gegen mich aufbegehrten“, so würden „auch meine Mitarbeiter niemals gegen mich schüren oder gar streiken“, sagte Grupp einmal, während der fünfjährige Wolfgang mit Krawatte und die siebenjährige Bonita im Kleidchen im Beisein eines Gastes das Mahl einnahmen.
Kostspieliges Internatsleben
Die zehnjährige Zähmung durch die Eltern nahm jäh ein Ende, als die Kinder das vierte Schuljahr abgeschlossen hatten. Eben noch im Schoße der Mutter und des gestrengen Vaters, musste erst Tochter Bonita und dann Sohn Wolfgang fort, um die folgenden neun Jahre ein englischsprachiges internationales Internat in der Schweiz zu besuchen, das Aiglon College in der Nähe von Montreux.
Anfangs mindestens 120.000 Euro, später mehr als 160 000 Euro ließ Grupp sich das jedes Jahr kosten. Dafür musste er, der stets die Familie pries, sich im Fernsehen Doppelzüngigkeit vorwerfen lassen. Es sei für ihn wichtig, verteidigte er sich, den Kindern eine Bildung und Weltgewandtheit mitzugeben, die sie auf der Schwäbischen Alb nicht bekämen.
Für die beiden Heranwachsenden war das die Ansage ihres Lebens. Zwar hätten sie den Beschluss gemeinsam mit den Eltern gefasst, sagt Wolfgang. Doch worauf sie sich einließen, habe er nicht ermessen können.
Es sollte die zwei bis heute prägen.
15 Dinge, die Sie noch nicht über Wolfgang Grupp wussten
Er ist der Mann mit dem Affen. Das klingt nicht sehr nett, aber der Affe hat Wolfgang Grupp zum vermutlich bekanntesten Mittelständler Deutschlands gemacht. Grupp wirkt eitel, gilt aber als einer von Deutschlands Vorzeigeunternehmern. Mehr über sein Leben, seine Ansichten und seine Marotten.
1990 kaufte Grupp die Rechte an einem Affenspot, der ursprünglich für Toyota gedacht war. Es ließ sich leicht ein neuer Text über die Bilder legen. Danach drehte Trigema eigene Spots mit Schimpansen. Seit 1996 gibt es den heute bekannten Spot.
Im Hubschrauber: Die nächste Autobahn recht weit entfernt. Die Bundestrasse zu stark frequentiert. Das ist nichts für einen ungeduldigen Macher. Der 1995 gekaufte Bell Jet Ranger trägt natürlich das Trigema-Logo.
Sie hat ein Reetdach. Grupp entdeckte seinen Faible für Reetdach-Häuser während eines Urlaubs auf Sylt. Er wünschte sich Wohnlichkeit und Wärme, und dazu passte dieses Material am besten. Außerdem kennzeichnet die Villa der Rittersaal unterm Dach.
Trikotwarenfabrik Gebrüder Mayer: Josef Mayer, Grupps Großvater, gründete die Firma 1919/20 und überstand als Unterwäschehersteller auch die schwierigen 20-Jahre sehr gut. Nach dem zweiten Weltkrieg fiel ihm die Umstellung leichter als anderen Unternehmen in der Region, die sich auf Uniformen spezialisiert hatten.
Wolfgang Grupp besitzt eine 400 Hektar große Eigenjagd im Allgäu. Schon als Jugendlicher liebte er es, hoch zu Ross hinterm Wild herzujagen.
Romantischer geht es kaum: 1986 ging Grupp auf Auerhahnjagd in der Obersteiermark. Während der Jagd besuchte der damals 44-Jährige einen Freund. Der Baron hatte eine 22-jährige Tochter. Fortan konnte Grupp die Schönheit nicht mehr vergessen.
Er ließ sich eine sehr große Begräbnisstätte errichten: Umfriedet von einer hohen Mauer liegt die Grabstätte für seine Familie angelegte inmitten einer 600 Quadratmeter großen Grünflache. Ein kleines, frei zugängliches Areal am Rande des eigentlichen Friedhofes.
Manchettenknöpfe, Einstucktuch und schmale Krawatte - Grupps akkurate Kleidung hat sich praktisch nicht verändert: Maßanzug, meisten auffällig gestreiftes Hemd, Kragen und Manchetten weiß, schmale Krawatte und Einstucktuch in den Farben des Hemdstoffes.
Es ist ein Großraumbüro, dass er sich mit Mitarbeitern teilt: In den 70er-Jahren hat sich Grupp ein Großraumbüro entworfen, das er gemeinsam mit Verwaltungsangestellten belegt. Wenn sich seine ehrliche Empörung, wofür er durchaus bekannt ist, in großer Lautstärke Luft macht, bekommen das also einige Mitmenschen zu hören.
Josef Mayer war für seinen Enkel als Mensch und Unternehmer das größte Vorbild. Zwischen Wolfgang Grupp und seinem Vater entwickelte sich ein veritabler Generationenkonflikt. Der Sohn nahm es dem Vater übel, dass er mit dem Unternehmen allzu arg expandierte, wodurch Trigema ins Schlingern geriet.
Das Äußere musste für ihn schon als Jugendlicher stets erstklassig sein. Daher bat er Eltern und Verwandte, ihm Geld zu schenken statt Gegenständen. Wolfgang sparte und kaufte sich 1962, mit 20 Jahren, eine teure, ultraflache Uhr. Er trägt sie bis heute voller Stolz.
Er schlüpfte persönlich in das Nikolaus-Kostüm. Bonita und Wolfgang junior merkten irgendwann, dass ihr Vater selbst in dem Kostüm steckte, ließen es sich aber lange nicht anmerken. Grupp übernahm diese Job, weil ihm im Jahr zuvor der Auftritt des engagierten Gabenbringers nicht gefallen hatte.
1987 kam es zum Bruch zwischen Grupp und Aldi-Nord: Der Discounter wollte, dass die Ware nicht mehr unter dem Label Trigema, sondern als Eigenmarke in die Regale kam. Dazu gehörte ein Preisnachlass von 40 Prozent. Grupp verzichtete lieber auf den Umsatz von 25 Millionen Mark jährlich.
Pünktlich vor sieben Uhr springt er in den Pool und schwimmt acht Bahnen, das entspricht 360 Metern. Das tut er auch im Winter bei Minusgraden, allerdings lässt Grupp das Wasser dann auf 19 Grad temperieren.
Weil er wegen Raserei drei Punkte in Flensburg kassierte. Grupp wollte stets ein Vorbild an Disziplin sein und hielt sich streng an seine Regeln. Umso mehr ärgerte er sich über den Verkehrsdelikt.
Ohne Englischkenntnisse, durch einen Crash-Kurs ungenügend präpariert, übersteht Fabrikantensohn Wolfgang die ersten drei, vier Monate an seinem neuen Lebensmittelpunkt ohne Eltern nur, weil die zwei Jahre ältere Bonita bereits dort ist und sich um ihn kümmert. „Ich hatte ungeheuer Heimweh“, erinnert er sich. „Das Heimweh war so schlimm, dass ich die Erlaubnis bekam, meine Eltern anzurufen, obwohl Handys im College verboten waren.“
Die Erfahrung schweißt die Geschwister in einem Maß zusammen, wie dies kaum passiert wäre, hätte der Vater sie in Burladingen behalten. Trotzdem hat die Trennung sie den Eltern und dem Unternehmen nicht entfremdet, sondern eine besondere Nähe zu beiden entstehen lassen. „Wir sind mit Trigema und Burladingen verwurzelt, obwohl wir nicht immer hier gelebt haben“, sagt Bonita.
Familienleben und Arbeit verbinden
Dafür hat Grupp gesorgt, indem er, wo immer möglich, Familienleben und Unternehmen auf das Engste miteinander verwob. Sohn Wolfgang wird nie vergessen, wie „schön es war, als Kleinkind bei Mitarbeitern von Trigema auf dem Schoß zu sitzen“. Mussten er und seine Schwester zurück ins Internat, brachte der Firmenfahrer sie hin. „Ich weiß noch genau, wie mich unser Fahrer getröstet hat, als ich geweint habe, weil ich wieder weg musste“, erinnert sich Wolfgang. „So jemand ist für mich natürlich mehr als nur ein Mitarbeiter.“
In der schulfreien Zeit wiederum unternahm Grupp alles, um die Kinder mit Leib und Seele in seine Firma zu tauchen. „Ich durfte schon als Baby bei Modeaufnahmen mitwirken“, sagt Bonita. Von klein auf habe sie im Lager und im Verkauf geholfen und die Mutter in den Verkaufsläden unterstützt. „Aus dieser Zeit kenne ich noch viele Mitarbeiter.“ Grupp steckte die Kinder sogar in Trigema-T-Shirts und bannte ihre Fotos auf die firmeneigenen Lastwagen, die damit bis heute herumfahren.
So hart die Expatriierung für die Kleinen anfangs gewesen sein mag, für Grupp hatte sie eine nützliche Nebenwirkung. Denn auf diese Weise entschärfte er – bewusst oder unbewusst – mögliche Konflikte während der Pubertät, deren Ausgang für ihn unkalkulierbar gewesen wäre. Wer im Alter von 14 bis 16 ständig mit Gleichaltrigen aus 52 Ländern von Argentinien bis China verkehrte, hatte wenig Anlass, aus einer dörflichen Beschränktheit wie in Burladingen auszubrechen. Und wer bei der Suche nach der eigenen Identität nicht ständig den Alltag mit einem Vater verbringen musste, der Folgsamkeit liebt, hatte auch weniger Anlass aufzubegehren. „Ich habe nie rebelliert“, sagt Sohn Wolfgang.
Derart präpariert, ist es für Bonita und Wolfgang nur noch ein kleiner Schritt, den gemeinsamen Weg auch im Studium fortzusetzen – und es dem Vater endgültig gleichzutun. Erst zieht die Schwester in die britische Hauptstadt und schreibt sich an der London School of Economics and Political Science im Fach Betriebswirtschaftslehre (BWL) ein. „Irgendwie war das naheliegend“, erinnert sie sich, „Papa hat ja auch BWL studiert.“ Zwei Jahre später beginnt auch der Bruder das BWL-Studium an der berühmten Hochschule, an der einst der österreichische Philosoph Karl Popper und der deutsche Liberale Ralf Dahrendorf der Marktwirtschaft im Nachkriegsdeutschland den ideologischen Überbau lieferten.
Herkunft der Kinder lenkt ihre Interessen
Doch derart Grundsätzliches interessiert die beiden nicht. Als es auf den Abschluss des Studiums zugeht, wählt Wolfgang für seine Masterarbeit das Thema „Institutionelle Voraussetzung für die Textilindustrie in Europa am Beispiel Deutschlands und Großbritanniens“. Schwester Bonita hatte zuvor eine Masterarbeit über „Lohnunterschiede zwischen Männern und Frauen in der südwestdeutschen Textilindustrie in den Zwanziger- und Dreißigerjahren“ des vergangenen Jahrhunderts verfasst. Erst im Nachhinein habe sie festgestellt, dass ihr Vater in seiner Diplomarbeit ein ähnliches Thema gewählt hatte.
Und wie die Herkunft ihre Interessen lenkt, so hat diese die beiden auch gegen den angelsächsischen Finanzkapitalismus der Londoner City imprägniert. Die Denke von Investmentbankern, etwa das Leveraging, bei dem Investoren Geld aus dem Unternehmen ziehen und die Verschuldung erhöhen, um die Verzinsung des Eigenkapitals zu steigern, perlt von ihnen ab. Wolfgang ist das „zu abgehoben“ und „nichts für ein solides Familienunternehmen“. Schwester Bonita kann sich „persönlich überhaupt nicht vorstellen, so etwas zu machen“.
Das müssen die beiden auch nicht. Ihr Vater hat viel Handfesteres vorgesehen, ein regelrechtes Trainee-Programm, um sie in sein Reich Trigema hineinwachsen zu lassen, damit einer von beiden die Firma einmal übernehme, wer auch immer dies am Ende sein möge.
„Wir können alles, auch Weltmeister“
Morgens kurz vor zehn, Wolfgang sitzt – nach vier Eingewöhnungswochen neben dem Vater – an einem Schreibtisch in der Einkaufsabteilung von Trigema. „Wolfgang Grupp Junior“, meldet er sich am Telefon, um nicht mit dem Senior aus den Talkshows verwechselt zu werden. Wolfgang checkt heute viel Klein-Klein, von den Dispositionslisten für Knöpfe über Reißverschlüsse und Schleifchen bis zu den Zahlen der firmeneigenen Tankstellen. Seine nächste Station wird die Verkaufsabteilung sein, wo gerade eine Stelle frei geworden ist.
Schwester Bonita arbeitet dort bereits. Sie kümmert sich um den Online-Shop, den Grupp vor gut zehn Jahren einrichten ließ. Inzwischen trägt das Internet, darunter auch Handelsplattformen wie Zalando und Otto.de, zwölf Prozent zu den Firmeneinnahmen bei. Während Grupp persönlich sich dem Web verweigert und nicht einmal E-Mails schreibt oder empfängt, sieht Bonita in der Digitalisierung ihre große Leidenschaft. „Ich habe mich immer sehr für Social Media interessiert“ , sagt sie. Heute überprüft sie, ob die Artikel des neuen Trigema-Katalogs richtig im Internet eingespielt sind, und unterstützt die Online-Abteilung beim Relaunch des firmeneigenen Web-Shops.
Das bisher größte Erfolgserlebnis der Geschwister bei Trigema war ein T-Shirt, das sie zwischen dem Halbfinale und dem Titel-Gewinn der deutschen Nationalelf bei der Fußball-WM in Brasilien kreierten und nach dem Sieg gegen Argentinien blitzschnell über das Internet auf den Markt warfen. Die Idee für den Aufdruck „Wir können alles, auch Weltmeister“ hatte Wolfgang, die Platzierung auf der Web-Site besorgte Bonita. Mehrere Tausend Stück à 29 Euro habe Trigema in wenigen Tagen verkauft. „Das konnten wir nur“, sagt Bonita, weil wir in Deutschland und auf Lager produzieren und damit sehr flexibel sind.“ Als Nächstes darf sie den Online-Verkauf von Trigema-Shirts in China betreuen, den Grupp gerade perfekt gemacht hat.
Kinder als Konzernlenker
Doch was bringen die beiden Fabrikantenkinder mit, um einmal Trigema zu führen, außer Englisch wie Muttersprachler zu beherrschen, Master-Arbeiten über die Textilindustrie verfasst zu haben und Vater und Mutter abgöttisch zu lieben? Diese Kernfrage kann kein stundenlanges Gespräch, keine Begegnung am Arbeitsplatz und vermutlich nicht einmal der Vater oder die Mutter sicher beantworten. Belastbare Hinweise können eher diejenigen geben, die Wolfgang und Bonita über Jahre begleiteten und Momente erlebten, die nur sie mit ihnen teilten.
Huma Kabakci, 24, ist die Tochter eines reichen türkischen Kunstsammlers. Fast acht Jahre verbrachte sie mit Bonita, von 2004 im Internat in der Schweiz bis zum Ende des Studiums in London 2013. Bonita pflege ein „sehr gesundes Verhältnis“ zu Bruder Wolfgang und zeichne sich durch außergewöhnliche Empathie aus. „Als mein Vater 2009 starb, war Bonita immer für mich da“, sagt Kabakci. Sie besitze einen „starken Charakter“ und die „Fähigkeit, zu integrieren“. Als Bergführerin bei Wanderungen in den Alpen etwa habe sie „viel Feingefühl“ gegenüber Mitschülern bewiesen, sei aber auch „energisch und motivierend zugleich“ aufgetreten. Wenn Bonita von Trigema und dem Geschäft spreche, sei sie „sehr leidenschaftlich“, aber auch „very down to earth“, sehr geerdet, nicht vom angelsächsischen Kapitalismus infiziert. Wer sie kenne, spüre die „Verwurzelung in den Anschauungen des Vaters“.
Charlotte de Brabandt, 27, kennt Bonita noch länger, seit 2001. Die Tochter zweier Gynäkologen aus Bielefeld, die inzwischen bei Porsche arbeitet, betont den Hang ihrer Freundin „zum Perfektionismus“. Seit Bonita sich für das Leben in Burladingen entschieden habe, sei sie die Woche über „komplett auf die Arbeit fokussiert“. Ebenso „komplett“ stehe sie „hinter ihrem Papa“, sagt de Brabandt, „ihr Vater ist ihr Idol“.
Auch an Wolfgang fällt langjährigen Weggefährten auf, wie sehr er „den Vater bewundert und zu ihm aufschaut“. Das sagt die Araberin Dania Champs, 23, die ihn erstmals 2002 im Internat traf. Er sei „super organisiert“, alles, was er anpacke, klappe. Der Franzose Anthony Comas, 23, hat fünf Jahre mit Wolfgang das Zimmer im Internat geteilt. Er findet, sein deutscher Freund mache „keine halben Sachen, immer alles zu 120 Prozent“. Die Entscheidung, nach der Schweiz und London „gleich nach Burladingen gegangen zu sein“, sei allerdings „sehr mutig“ gewesen.
Wie Wolfgang Grupp seine Kinder belohnt
Grupp kann nur hoffen, dass diese Tugenden einmal ausreichen, um ihn zu ersetzen, und dass seine Kinder ihm nicht doch noch entweichen. Denn die Provinz kann zum Gift für junge Leute werden, die wie Bonita und Wolfgang ohne festen Partner fünf Tage die Woche ihr Dasein in der sozialen Fremde fristen, umgeben nur von den treu sorgenden Eltern.
Um die Situation erträglich zu gestalten, lässt Grupp es seinen beiden Sprösslingen an nichts mangeln. Tochter Bonita darf im Nachbargebäude der Villa logieren, Sohn Wolfgang erhielt im Haupttrakt ein Wohnstudio – Unterkunft, Kost und Bedienung frei. Wer ein Auto braucht, kann sich am Wagenpark des Vaters bedienen und zwischen einem Mercedes CL, einem Geländewagen Suzuki Jimny oder der neuen Mercedes S-Klasse wählen. Für ausgefallene Spritztouren hat Grupp zwei jener 111.000 Euro teuren 1-Liter-Autos gekauft, von denen Volkswagen nur 200 Exemplare herstellen will. Ein weißes bekam Wolfgang, ein rotes Bonita.
Schwere Aufgaben
Ein Urlaub in Brasilien, am Wochenende mal nach London – Geld spielt im Leben der zwei keine Rolle. Was sie bei Trigema verdienen, sagt einer von ihnen, hätten sie nicht eingefordert, sondern den Vater bestimmen lassen. Der habe das Salär so hoch bemessen, dass sie nicht in die gesetzliche Krankenkasse müssten, sondern sich privat versichern könnten, macht mindestens 4600 Euro brutto pro Monat.
Neun Uhr abends, Vater, Mutter, Sohn und Tochter sitzen im Salon zum Glas Rotwein. Das Gespräch kommt auf den Flagship-Store, den Grupp am Leipziger Platz in Berlin eröffnet hat. Trigema müsse sich als wertvolle Marke made in Germany präsentieren, sagt er, die wachsende Zahl ausländischer Touristen böte dazu gute Möglichkeiten. Die Diskussion wird hitzig, weil unsicher ist, ob der Plan aufgeht. Grupp verfällt in die Tonalität, die er pflegt, wenn er in Wallung gerät. „Sprich doch normal“, entfährt es einem der Runde.
Vollbracht, nein, vollbracht ist für Deutschlands berühmtesten Mittelständler noch lange nichts. Eine Marke ohne Marketingspezialisten und berühmten Designer, die expandieren soll, ein Unternehmen, das nur einer repräsentiert, nämlich er, dazu beflissene, den Eltern ergebene Kinder, die bestenfalls am Anfang als Unternehmer stehen: Niemand muss Grupp sagen, dass die Zeit für ihn endlich ist.
Wenn der alternde Unternehmer etwas vollbracht hat, dann sein Vermächtnis. Das Haus, dass er hinterlassen wird, ist übersät mit seinen Initialen, ob am Besteck, auf Bettbezügen oder auf dem Lätzchen des Eimers unterm Waschbecken. Einzig bei seinem Schlafanzug machte Grupp eine Ausnahme, hier ließ er zum „W“ noch das „E“ seiner Gattin Elisabeth sticken.
Und vollbracht hat Grupp auch den Bau seiner letzten Ruhestätte mit den Grabtafeln. Für sie hat er ein Stück Friedhof erworben, hat einen Weg zu seiner Gruft pflastern, Rasen einsähen, ein Brünnlein bauen, ein Kreuz aufstellen – und alles mit einer Mauer einfrieden lassen.
Es ist die gleiche weiße, grob verputzte Mauer, die seine Fabrik und seine Villa umgibt. Mit ihr, so hat Grupp entschieden, sollen auch Bonita oder Wolfgang, wenn einer von ihnen Trigema übernimmt, ganz Burladingen und noch viel mehr überstrahlen.