Dioxinskandal Was taugen Bioprodukte aus dem Ausland?

Seite 2/3

Klaffende Lücke

Kein Wunder: Bio habe sich innerhalb weniger Jahre zu einem „mehrheitsfähigen Lebensstil entwickelt“, sagt Boris Hedde, Geschäftsführer des Kölner Instituts für Handelsforschung. Das Marktvolumen der Branche in Deutschland taxiert er für 2010 auf rund 5,6 Milliarden Euro. Vor zehn Jahren waren es knapp zwei Milliarden Euro. Hedde erwartet allerdings, dass das Wachstumstempo etwas nachlässt, auch weil der Preis für breite Bevölkerungsgruppen weiter das entscheidende Kaufkriterium bleibt. Modellrechnungen zufolge wird der Biomarkt bis 2015 auf 6,3 Milliarden Euro zulegen und 2020 rund 6,9 Milliarden Euro umsetzen.

Weitaus mehr traut die Beratung Booz & Company aus München der Branche zu: „Der deutsche Biomarkt könnte um vier bis fünf Milliarden Euro auf ein Gesamtvolumen von neun bis zehn Milliarden Euro im Jahr 2016 wachsen“, sagt Florian Beil, Mitglied der Geschäftsleitung.

Die hohe Nachfrage trifft auf ein überschaubares Angebot. 952 000 Hektar – knapp sechs Prozent – der deutschen Landwirtschaftsfläche werden von rund 21 000 Ökobetrieben beackert. Das ist zu wenig, um die Regale von rund 550 Biosupermärkten und großen Lebensmittelketten zu füllen. Die Lücke wird durch Importe geschlossen. Während die ökologisch bewirtschafteten Flächen in Deutschland zwischen 2004 und 2008 um 18 Prozent wuchsen, waren es in Polen, Lettland und Litauen mehr als 200 Prozent – Länder, in denen es keinen ausgeprägten Käufermarkt für Bioprodukte gibt, die aber wegen des niedrigen Lohnniveaus billig produzieren und viel exportieren.

Die Importmengen von Bioprodukten insgesamt haben sich zwischen 2007 und 2010 laut einer Befragung von Importunternehmen ungefähr verdoppelt. Die Einfuhren von Biogetreide sind bei den befragten Unternehmen im Betrachtungszeitraum um 65 Prozent gestiegen, bei Frischgemüse haben sich die Importmengen verdoppelt. So kommt mittlerweile jede zweite Biomöhre aus dem Ausland, vor allem aus den Niederlanden. Bei Kartoffeln stammen immerhin noch zwei Drittel von heimischen Feldern; wichtigste Importländer sind hier zu gleichen Teilen Israel und Ägypten

DDT und Pilzgifte

In der Regel sind Obst und Gemüse aus biologischem Anbau frei von Pestiziden. Nach Untersuchungen verschiedener staatlicher Kontrollstellen sind bei pflanzlichen Biolebensmitteln in mehr als 90 Prozent der Fälle keine Pestizidrückstände messbar. Bei konventionellem Obst und Gemüse sind mehr als 80 Prozent der Proben mit Rückständen belastet. Das gilt vor allem für Produkte aus dem Ausland.

Dass der Fall am Frankfurter Flughafen kein isolierter Zufallsfund ist, zeigt das europaweite Schnellwarnsystem für Lebensmittel. Sobald bei Kontrollen innerhalb der EU oder an den Außengrenzen gesundheitsgefährdende Lebensmittel auftauchen, tauschen die EU-Länder über das Rapid Alert System for Food and Feed – kurz RASFF – Informationen aus. Laut einer RASFF-Jahresübersicht für 2010, die der WirtschaftsWoche vorliegt, wiesen deutsche Behörden im Dezember beispielsweise Aflatoxine, das sind langfristig krebserregende Pilzgifte, in türkischen Biofeigen nach und entsorgten die Ware.

Zwar beanstandeten die Lebensmittelkontrolleure innerhalb der EU auch deutsche Biosalami oder niederländisches Apfel-Zimt-Müsli. Doch vor allem Bioimporte aus Nicht-EU-Ländern sorgten für Alarmstimmung. So wurde in Biorosenpfeffer aus Madagaskar das Umweltgift DDT nachgewiesen. Auch Bioexotika wie chinesische Gojibeeren, Kokosnussmehl von den Philippinen oder albanischen Wegerich-Extrakt zogen die Behörden aus dem Verkehr. Allerdings machen die Biowarnungen nur einen Bruchteil der insgesamt 3358 RASFF-Meldungen aus. Konventionelle Lebensmittel dominieren die 524 Seiten starke RASFF-Übersicht.

Ein Grund zur Entwarnung ist das nicht. Aus immer exotischeren Gefilden stammen Körner, Knollen und Kerne. Das weckt nicht nur Zweifel an der Umweltbilanz der vermeintlich ökologisch korrekten Kost, sondern wirft auch die Frage auf: Wie viel Bio steckt tatsächlich in Biokartoffeln aus Israel, -reis aus China und -ölsaaten aus der Ukraine? Und wer kontrolliert die Qualität?

Proben erst bei Verdacht

Das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz teilt dazu mit: Biolebensmittel aus Nicht-EU-Ländern, den sogenannten Drittländern, dürfen nur importiert werden, wenn sie nach gleichwertigen Erzeugungs- und Verarbeitungsbestimmungen hergestellt werden und gleichwertigen Kontrollbestimmungen unterliegen, wie Lebensmittel mit dem Bio-Siegel nach der EG-Öko-Verordnung.

Hierzu müssen Hersteller wie Kontrollstellen die Einhaltung der EU-Erzeugungsrichtlinien für Biolebensmittel belegen. Bestimmte Drittstaaten wie Australien und Neuseeland haben eine allgemeine Anerkennung ihrer Biokontrollstellen erhalten. In allen anderen Fällen muss für jedes Bioprodukt eine Ermächtigung zum Import beantragt werden.

Und wieso tauchen dann trotzdem immer wieder belastete Biolebensmittel an den Grenzen oder sogar in deutschen Supermärkten auf? Nicht in allen Ländern funktioniert das Kontrollsystem so gut wie in Deutschland, auch hapert es beim Datenaustausch über Ländergrenzen hinweg. Und in vielen Ländern wie etwa in Indien und China boomt die biologische Landwirtschaft so kräftig, dass staatliche Behörden oder private Prüffirmen mit den Kontrollen und Zertifizierungen kaum nachkommen oder es nicht immer so genau nehmen.

Und noch einen Haken haben die Kontrollen. Meist nehmen die Kontrolleure erst bei einem konkreten Verdacht Proben. So kann ein Bauer, der nicht auffällt, theoretisch auch Lebensmittel aus der konventionellen Landwirtschaft als Bio verkaufen. Viele Importeure und Großhändler lassen ihre Bioware deshalb regelmäßig auf Rückstände kontrollieren, damit es möglichst wenig unangenehme Überraschungen gibt.

Eine der großen Ökokontrollfirmen ist Imo, das Institut für Marktökologie, mit Sitz im schweizerischen Weinfelden und einer deutschen Niederlassung in Konstanz. Imo ist in mehr als 25 weltweiten Niederlassungen und Büros vertreten. Mehr als 300 Mitarbeiter kontrollieren und zertifizieren in mehr als 90 Ländern Erzeuger, Verarbeiter und Handel.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%