Einzelhandel Drogeriekette Schlecker gerät ins Hintertreffen

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Die Entwicklung der Drogeriebranche seit 2005

Kaum 30 Kilometer liegen die Müller-Zentrale und die Schlecker-Kapitale Ehingen auseinander – anders als Rossmann und dm eine aus Verdi-Sicht Achse des Bösen. Doch der geballte Zorn der Gewerkschaft traf bisher meist Schlecker. Horrorgeschichten über schlechte Behandlung von Mitarbeitern, Kontrollwut und Überfälle füllen bei Verdi Aktenordner. Schlecker-Läden gelten als die am häufigsten überfallenen des Einzelhandels. Gerade wieder musste sich ein 36-Jähriger für 16 Schlecker-Überfälle von Oktober 2008 bis Februar 2009 vor dem Bochumer Landgericht verantworten. Nach Angaben von Verdi wurden im vergangenen Jahr rund 500 Überfälle gemeldet – mit steigender Tendenz

Denn Schlecker gilt als leichte Beute: Eine einzelne Angestellte – bei Schlecker arbeiten fast ausnahmslos Frauen – hält oft über Stunden allein die Stellung. Sie sitzt meist mit dem Rücken zur Tür. Und auf Passanten, die zur Hilfe eilen, können die Verkäuferinnen dank der Lage der Filialen kaum zählen. Nun will die Gewerkschaft die Ausstattung mit speziellen Tresoren, Zweierbesetzung in den Filialen und die Geldabholung durch externe Unternehmen per Sicherheitstarifvertrag durchsetzen. Zusätzlich fordert Verdi Beschäftigungsgarantien. „Andernfalls gibt’s Ärger, notfalls auch Streik“, droht der für Schlecker zuständige Verdi-Mann Achim Neumann. Im Herbst könnte es losgehen.

Schlecker setzt auf neue XL-Filialen

Noch wichtiger für Verdi wie für Schlecker sind allerdings die neuen sogenannten XL-Filialen. Schlecker hofft, mit luftiger gestalteten Geschäften, die über Verkaufsflächen von 400 bis 1000 Quadratmetern verfügen, den grassierenden Kundenschwund zu stoppen. Seit das Unternehmen im September 2008 mit dem ersten Markt in Bad Grönenbach im Allgäu gestartet ist, wurden rund 100 XL-Filialen eröffnet. Bis Ende 2010 soll sich die Zahl verzehnfachen.

Wie ein Mix aus dm- und Edeka-Märkten wirken Schleckers neue Großfilialen. Der schnelle Formatwechsel in den Städten ist im Grunde die einzige Chance, die Schlecker bleibt, um wieder Anschluss an die Wettbewerber zu finden. Doch der Wandel kommt spät – und wird teuer.

Auch wenn ein Teil der Kosten auf die Lieferanten abgewälzt wird, müssen Millionenbeträge in den Umbau des Filialnetzes fließen. Geld, das Schlecker trotz der happigen Rückgänge im Stammgeschäft investieren muss. Zumal auch erhebliche Schließungskosten anfallen. Nach internen Informationen wurden allein im ersten Halbjahr 2009 mindestens 390 Verkaufsstellen dichtgemacht, nachdem im Jahr 2008 bereits über 500 Filialen geschlossen wurden.

Verdi-Mann Neumann rechnet mit durchschnittlich drei bis vier Standardfilialen, die schließen, sobald ein XL-Markt öffnet. „Das kann insgesamt mehr als 10.000 Arbeitsplätze kosten“, erwartet Neumann. Nur wenige Verkäuferinnen würden in die XL-Märkte übernommen – zu schlechteren Konditionen. Denn die neuen Filialen laufen über eine separate Gesellschaft, die nicht tarifgebunden ist.

Anton Schlecker hat sich verrechnet

In Ehingen werden die Verdi-Prognosen derweil als Panikmache abgetan. Konkrete Aussagen, wie viele Standardläden schließen müssen oder zur Zahl der Überfälle, vermeidet ein Unternehmenssprecher jedoch.

Der Umsatz bricht ein, der Filialumbau verschlingt Unsummen, die Gewerkschaft droht mit Streiks – und die Wettbewerber expandieren kräftig. Anton Schlecker hat sich gründlich verrechnet.

„Die Konkurrenz wird auch nicht mehr so stark wachsen“, sagte er 2004 der WirtschaftsWoche in einem seiner seltenen Statements. Der Drogeriefürst sah sein Unternehmen damals gut aufgestellt: „Das Konzept stimmt, es muss nur weiter verfeinert werden“, befand Schlecker und deutete voller Stolz auf eine Karikatur an der Wand: Anton Schlecker als strahlender Gondoliere, seine Frau als Galionsfigur am Bug der schönsten und größten Gondel. Dahinter paddeln die Schlecker-Jäger Götz Werner und Dirk Roßmann. „Bis die anderen Schlecker überholt haben, gibt es mich nicht mehr“, gab der Drogeriekönig selbstbewusst zu Protokoll.

Ob er den Satz heute wiederholen würde?

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