Atomkraft Reicht das Geld für den Akw-Abriss?

Ein Stresstest soll klären, ob die Stromriesen RWE, E.On, EnBW und Vattenfall genug Geld für den Abriss der Atommeiler und die Entsorgung haben. Die Zweifel sind groß. Dem Test müssen sich auch zwei Stadtwerke stellen.

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Die letzten Kernkraftwerke
AKW Grafenrheinfeld in Bayern Quelle: Creative Commons
Kernkraftwerk Gundremmingen Quelle: dpa/dpaweb
Kernkraftwerk Philippsburg Quelle: dpa
Kernkraftwerk Brokdorf Quelle: dpa
Kernkraftwerk Grohnde Quelle: dpa
Kernkraftwerk Neckarwestheim Quelle: dpa
Kernkraftwerk Isar II Quelle: dpa

RWE-Chef Peter Terium hat ein Problem weniger: Die von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) geplante Strafgebühr für alte Kohlekraftwerke, die besonders viel Kohlendioxid in die Luft blasen, ist vom Tisch. Stattdessen erhalten RWE und Co. rund 270 Millionen Euro dafür, dass sie ab 2017 einige Kohlekraftwerke nur noch als Notreserve bereithalten und nach vier Jahren ganz stilllegen. Terium meldete den Kommunen, seinen wichtigsten Aktionären, das Braunkohlethema sei „beherrschbar“, erinnert sich ein kommunaler Vertreter.

Doch Teriums Argument, mit dem er gegen diese Gebühr gekämpft hatte, fällt ihm nun bei einem noch viel größeren Problem auf die Füße: Der RWE-Chef hatte gedroht, der Stromkonzern könne möglicherweise die Kosten für den Rückbau der Atomkraftwerke und die Entsorgung des Atommülls nicht mehr leisten, wenn der Staat dem finanzschwachen Versorger nun auch noch eine Kohleabgabe aufbrumme. Das Argument zog, Gabriel musste nachgeben.

Welche deutschen Atomkraftwerke demnächst vom Netz gehen

Teriums Drohung, der Konzern könnte den Atomrückbau nicht stemmen, hat aber alte Zweifel des Ministers bestätigt. Die immer wieder abgegebenen Beteuerungen, die Rückstellungen in den Bilanzen der vier AKW-Betreiber RWE, E.On, EnBW und Vattenfall von zusammen rund 32 Milliarden Euro für die deutschen Atommeiler reichten, um die Kosten für deren Abriss und der Endlagerung des Atommülls zu decken, scheinen noch weniger glaubhaft. Reichen die Polster nicht aus, so die Sorge in Berlin, muss womöglich der Steuerzahler ran.

Was sind Sachanlagen wie Kraftwerke noch wert?

Dass die Milliarden tatsächlich nicht reichen werden, um den Rückbau der Meiler und die Kosten für die Endlagerung des radioaktiven Mülls nicht reichten, zu diesem Ergebnis kamen bereits einige Studien; etwa schon im März dieses Jahres ein Gutachten der Kanzlei Becker Büttner Held im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums. Anfang August warnte die Hochschule Ruhr West  in einer Studie im Auftrag der Grünen, dass „sowohl bei E.On wie auch bei RWE die vorhandene materielle Substanz derzeit höchstens annähernd ausreicht, um die Gesamtheit der langfristigen Verpflichtungen decken zu können.“

Nun soll ein Stresstest bei den AKW-Betreibern im Auftrag von Bundeswirtschaftsminister Gabriel Klarheit schaffen, wie werthaltig Sachanlagen (zum Beispiel Kraftwerke) oder Finanzanlagen sind, die hinter diesen Rückstellungen stecken.

Seit Monatsmitte haben deshalb nun die Essener ungebetene Gäste im Haus: Mitarbeiter der Düsseldorfer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Warth & Klein Grant Thornton. Sie sollen im Auftrag des Ministers überprüfen, ob die Rückstellungen in der RWE-Bilanz korrekt berechnet sind, und ausrechnen, wie viel die Vermögenswerte, mit denen Verpflichtungen aus Rückbau und Endlagerung bezahlt werden sollen, tatsächlich wert sind. Der Auftrag an Warth & Klein Grant Thornton ist auch ein Affront für die Wirtschaftsprüfer von PwC, die regulär die RWE-Bilanzen testieren. Ergeben die neuen Berechnungen von Warth & Klein bei RWE und den anderen drei Versorgern, dass die derzeitigen Vermögenswerte nicht ausreichten, müssten die Versorger ihre Rückstellungen erhöhen.

Die Atomklagen der Energiekonzerne

Das träfe nicht nur die großen Betreiber, sondern auch Städte und deren Stadtwerke, die an Atomkraftwerken beteiligt sind. Sie müssten ebenfalls nachschießen, falls die Rückstellungen nicht ausreichen. „Wir schauen uns die Werthaltigkeit der Rückstellungen in den Bilanzen aller Betreiber der 23 Atomkraftwerke in Deutschland an“, sagt Warth & Klein-Prüfer Martin Jonas. Jonas, Kölner Honorarprofessor und Heike Wieland-Blöse leiten die Prüfung. „Dazu gehören auch die der Stadtwerke München und Bielefeld.“ Die Städte haben insgesamt über 900 Millionen Euro zurückgestellt.

So halten die Stadtwerke München 25 Prozent am AKW Isar II in Bayern, das E.On Ende 2022 vom Netz nehmen soll. Die Bayern haben für Abriss und Endlagerung des strahlenden Mülls ihrem Anteil entsprechend 563 Millionen Euro zurückgestellt.

Diese Länder setzen (noch) auf Atomenergie
Hokkaido Electric Power's Tomari nuclear power station at Tomari village in Japan's northern island of Hokkaido. Quelle: dpa
Kuehlturm von Block 2 (r.) und die Reaktoren Block 2 (l.) und Block 1 (M.) des Kernkraftwerk Isar Quelle: dapd
Mitglieder der Aktion "Bern ohne Atomkraftwerk" fahren am Dienstag, 2. August 2005, vor dem Bundeshaus in Bern, Schweiz, mit einem fiktiven Atommuelltransporter auf Quelle: AP
Arbeiter gehen am 15.04.2008 an der Baustelle des größte Atomkraftwerk der Welt in Olkiluoto/Finnland vorbei Quelle: dpa
Kernkraftwerk Sellafield in Nordwestengland Quelle: dapd
Aljona Kirssanowa, die bei einer früheren Wahl zur "Miss Atom" das Motto «Atomkraft macht sexy» auf die Spitze trieb. D Quelle: dpa
Warsaw's skyline is reflected in the icy Vistula river as sun sets Quelle: dapd

Die zweite Kommune, die für den Atomausstieg bezahlen muss, ist Bielefeld. Die Westfalen sind über ihr Stadtwerk mittelbar mit 16,7 Prozent am AKW Grohnde beteiligt, das Ende 2021 stillgelegt werden wird. Die Bielefelder haben 400 Millionen Euro für den Rückbau auf die hohe Kante gelegt.

Wer zahlt, wenn ein AKW-Betreiber pleitegeht?

Damit steht das zehnköpfige Team des Düsseldorfer Wirtschaftsprüfers vor einer Rechnung mit noch mehr Unbekannten, als wenn es nur die ohnehin komplizierten Rückstellungen der Konzerne checken müsste. So bestehen bei den Stadtwerken Bielefeld die Rückstellungen ausschließlich aus Finanzanlagen. Zu prüfen ist nun, was die Papiere auf dem Markt wert sind, wenn sie verkauft werden müssen, um den Abriss von Grohnde zu bezahlen. Das hängt unter anderem von der Zinsentwicklung ab, die allenfalls in verschiedenen Szenarien zu prognostizieren ist.

Deutschlands Energieriesen im Vergleich

Bei den Konzernen dagegen seien die unterschiedlichen Vermögenswerte, in denen die Rückstellungen stecken, das Kernproblem, sagt Wirtschaftsprüfer Jonas. Teilweise hätten diese in Wertpapiere investiert und unterliegen damit den gleichen Problemen wie die Stadtwerke. Teilweise seien die Gegenwerte für die Rückstellungen auch in Sachwerten wie Kraftwerke oder Stromnetze gebunden. Wie wurden deren Werte berechnet – und geschah dies bei allen Versorgern nach der gleichen Methode? Wieso gibt es unterschiedliche Abzinsungssätze und warum gibt es unterschiedliche Aufstockungen der Rückstellungen? Was ist ein Kraftwerk noch wert, wenn es in Zukunft kaum ausgelastet ist? Schon Abwertungen von etwa zehn Prozent rissen bei den Rückstellungen ein Loch von rund drei Milliarden Euro bei den großen Stromkonzernen.

Abwasser galt lange als Abfallprodukt, dessen Aufbereitung viel Energie verbraucht. Dabei hat es als Rohstoff einiges zu bieten. Mithilfe innovativer Technologien lässt sich viel Energie sparen – und erzeugen.

Verstaatlichung der Atomrückstellungen

Die Wirtschaftsprüfer werden voraussichtlich bis Mitte August rechnen. Danach wird es richtig spannend, denn dann werden sie die errechneten Rückstellungen bis Mitte September einem Stresstest unterziehen. Dabei werden sie abschätzen, wie tragfähig das Geschäft der Versorger ist und wie sich etwa die rückläufigen Umsätze auf die Finanzkraft und damit die Fähigkeit auswirken, Geld nachzuschießen. So dürften Kraftwerke noch unwirtschaftlicher werden und damit an Wert verlieren, wenn die Großhandelspreise für Strom weiter sinken.

Die lange Suche nach einem Atommüllendlager

Sorge herrscht in Berlin auch darüber, was mit den Rückstellungen passiert, wenn ein Versorger pleitegeht und dann seinen Verpflichtungen nicht mehr nachkommen kann. Befeuert hat diese Angst E.On. Der Konzern hat 2014 beschlossen, sich in zwei Unternehmen aufzuspalten. Die weniger zukunftsträchtigen konventionellen Kraftwerke einschließlich der Atommeiler werden in eine eigene Gesellschaft ausgegliedert. Für diese haftet der bisherige Mutterkonzern ab 2016 nur noch fünf Jahre.

Noch in diesem Sommer will Minister Gabriel deshalb eine Gesetzesänderung ins Bundeskabinett beschließen, die diese Fünf-Jahres-Frist für die gesamtschuldnerische Nachhaftung nach einer Aufspaltung eines Konzerns abschafft. Die neue E.On würde also weiter für die Lasten der alten E.On haften. Womöglich, heißt es in Branchenkreisen, könnte das die Aufspaltung des Konzerns sogar torpedieren.

Bis November soll eine neue Kommission für die Atomrückstellungen empfehlen, wie es nun weitergehen soll mit den Atomrückstellungen: Sollten diese Rückstellungen besser in einem öffentlichen Fonds verwaltet werden oder in einer Stiftung nach dem Vorbild der RAG-Stiftung für den Ausstieg aus der Steinkohle?

Mit den Ergebnissen des Stresstests fällt der Startschuss für das wirtschaftliche Endspiel der Atomära: Vor Jahrzehnten hatte der Staat die Energiekonzerne mit Milliardenvergünstigungen in die Atomkraft gezogen. Den Ausstieg aus der Kernkraft und Endlagerung des radioaktiven Abfalls, das deutet sich heute schon an, wird am Ende wohl auch der Staat bezahlen müssen.

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