Aufspaltung des Energieriesen Kommt E.Ons Notbremse zu spät?

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"In 20 Jahren werden E.On und RWE keine große Rolle mehr spielen"

Patrick Graichen, Chef des Energiewende-Thinktanks Agora, hält es für möglich, dass am Ende doch der Steuerzahler für die Abwicklung der Atomkraft aufkommt. „Ein öffentlich-rechtlicher Fonds hätte Charme“, meint Graichen. „Dann wandert zwar das Risiko von Kostenexplosionen beim Rückbau zum Staat. Dafür läuft er aber nicht mehr Gefahr, dass die Rückstellungen in den kommenden Jahren langsam aufgefressen werden.“

Diesen Pragmatismus den Politikern zu vermitteln, dürfte nicht einfach werden. Denn dass es E.On schlecht wie nie geht, liegt nur zum Teil an der Energiewende und der vorfahrtsberechtigten Ökostromflut. Die 32 Milliarden Euro Nettoschulden, die in den Büchern stehen, hat E.On zum einen Teyssens Vorgänger Wulf Bernotat zu verdanken.

Der war 2007 schmählich beim Versuch gescheitert, den spanischen Stromversorger Endesa zu übernehmen, und hatte daraufhin wie berauscht Kraftwerke im Ausland von Südeuropa bis Brasilien geschluckt, die bis heute die Bilanz belasten.

Das sind die Fallen beim Billigstrom
Verbraucher wollen keine StromdiscounterWie das Magazin Spiegel berichtet, haben Verbraucher spätestens seit der Pleite von Flexstrom die Nase voll von Billigstromanbietern. Laut einer Erhebung des Marktforschungsunternehmens YouGov, die der Spiegel zitiert, können sihc nur noch 18 Prozent der Deutschen vorstellen, ihren Strom beim Billiganbieter zu beziehen. 71 Prozent lehnten Billigstrom ab. Quelle: dpa
StrompreisvergleicheGerade mit ihrer Preispolitik verscherzen es sich die Anbieter bei den Kunden. Billig und guter Service passen nämlich in vielen Fällen nicht zusammen. Um am hart umkämpften Strommarkt teilnehmen zu können, müssen die Anbieter wahlweise ein spezielles Nischenprodukt bieten oder eben spottbillig sein. Gerade bei Vergleichsrechnern im Netz zählt letzteres, hier können die Billiganbieter punkten. Allerdings sind viele Stromdiscounter nur im ersten Jahr wirklich günstig - die Lockangebote finden sich dann in den Vergleichsportalen. Die Unternehmen setzen darauf, dass die Kunden zu bequem sind, den Tarif zu wechseln, wenn es dann im zweiten Jahr richtig teuer wird. Verbraucherschützer empfehlen deshalb, nicht nur auf den Preis im Netz zu achten, sondern sich auch das Kleingedruckte auf der Website des vermeintlich günstigsten Anbieters durchzulesen. Quelle: dpa
VorauszahlungenViele Anbieter, wie auch die beiden insolventen Unternehmen Teldafax und Flexstrom, verlangen von ihren Kunden Geld im Voraus. Verbraucherschützer warnen vor solchen Vorkasse-Modellen, gerade, wenn für ein ganzes Jahr im Voraus bezahlt werden soll. Geht das Unternehmen Pleite, ist das Geld weg und der Kunde sieht keine Leistung dafür, sprich: bekommt keinen Strom. Quelle: dpa
BonuszahlungenEin anderer, weit verbreiteter Trick sind Bonuszahlungen, mit denen Kunden geködert werden. Diese Extras für Neukunden gibt es meist nur im ersten Jahr. wer nach zwölf Monaten aus seinem Vertrag aussteigen und den Anbieter wechseln will, muss mitunter gerichtlich um die Auszahlung seiner Boni kämpfen. Auch der Billiganbieter Flexstrom hatte die Auszahlung der Boni immer wieder verweigert. Quelle: dpa
GuthabenAuch wegen der Auszahlung von Guthaben ging es in der Vergangenheit häufig vor Gericht beziehungsweise vor die Schlichtungsstelle für Energie. Wer mehr Geld bezahlt hat, als er an Strom verbraucht hat, müsste das Guthaben unverzüglich ausgezahlt bekommen. Stattdessen nutzen es Billiganbieter gerne, um sich ein kleines Finanzpolster anzulegen, heißt es seitens der Verbraucherzentralen. Statt die Summe zurückzuzahlen, verrechnen einige Anbieter das Guthaben mit den nächsten Abschlagszahlungen: Der Kunde muss also so lange nicht mehr für Strom zahlen, bis sein Guthaben aufgebraucht ist. Quelle: AP
KautionenEine Kaution mag bei der Anmietung einer Immobilie sinnvoll sein, beim Abschluss eines Vertrages mit einem Stromanbieter ist sie es nicht. Viele Billigstromanbieter setzen jedoch auf diese zusätzliche Gebühr. Zwar gibt es sie bei Vertragsende zurück, einen nutzen hat der Kunde davon allerdings nicht. Quelle: dpa
PaketangebotePaketpreise mögen bei Vertragsabschluss verlockend klingen. Sie lohnen sich allerdings nur für Kunden, die ihren Stromverbrauch wirklich sehr genau kennen. Wer weniger Strom verbraucht, als im Paket enthalten, zahlt nämlich trotzdem den vereinbarten Preis, er legt also drauf. Verbraucht er mehr Energie, werden die zusätzlich verbrauchten Kilowattstunden richtig teuer. Quelle: dpa

Zudem hatten zuerst Bernotat und dann Teyssen gemeinsam mit den anderen damaligen Chefs der drei Stromgiganten bewusst entschieden, ihre Milliardenprofite aus dem Atomstrom nicht in erneuerbare Energien zu investieren. Zwar hatte die rot-grüne Koalition unter Kanzler Gerhard Schröder (SPD) 2002 die Laufzeit der Atommeiler verkürzt. Gleichzeitig erlaubte sie den Konzernen aber ausdrücklich, von nun an ebenfalls den vorfahrtsberechtigten Grünstrom zu produzieren und dafür die Ökostromzulage zu kassieren.

Konzerne setzten aufs falsche Pferd

Doch statt sich auf dieses Geschäft zu stürzen, setzten die großen Versorger mit dem damaligen RWE-Chef Jürgen Großmann vorweg erfolgreich darauf, der schwarz-gelben Koalition eine Laufzeitverlängerung der Atommeiler abzuringen. Umso härter traf sie der Beschluss von Kanzlerin Angela Merkel nach der Havarie des Kernkraftwerks in Fukushima 2011, das Atomkapitel in Deutschland 2022 zu beenden.

Dass E.On und Co. sich nun auf alles werfen, was nach sauberer, moderner Energieversorgung und dazugehörigen Dienstleistungen klingt, ist kein Wunder, sondern später Einsicht geschuldet. So hat EnBW inzwischen herausgefunden, dass der europäische Markt für dezentrale Energieerzeugung im Jahr 2020 rund 80 Milliarden Euro betragen wird, viermal so viel wie heute.

Abschied von der Größe

Konzernchef Frank Mastiaux will darum mit Langzeit-Dienstleistungsverträgen Mittelständler und Kommunen an sich binden. Und RWE-Chef Peter Terium verkündet stolz, an virtuellen Kraftwerken zu arbeiten, die mittelständische Kunden miteinander vernetzen.

Doch ihre bisherige Größe dürften die Konzerne damit nicht halten. „Unser Neugeschäft kann niemals das wegbrechende Altgeschäft mit der flächendeckenden Stromversorgung durch Großkraftwerke ersetzen“, sagt Michael Stangel, Leiter des Geschäfts mit Unternehmen bei RWE.

Energieexperte Leprich zieht daraus für E.On nur einen Schluss. „Ich halte es für Pfeifen im Walde, wenn Herr Teyssen erklärt, E.On sei in diesem Bereich der große neue Player.“ Da lüge er sich selbst in die Tasche. „In 20 Jahren werden E.On und RWE keine große Rolle mehr spielen.“

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