CO2-Freikauf im Selbstversuch Moderner Ablasshandel für Klimasünder

Private Klimasünder können sich von ihren CO2-Lasten freikaufen. Chronik eines Selbstversuchs.

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WirtschaftsWoche-Redakteur Martin Gerth wagt einen CO2-Selbstversuch und berichtet Quelle: Roland Warzecha

Wenn Miroslav Zadach aufs Gaspedal tritt, muss der Fahrer des HSV-Mannschaftsbusses kein schlechtes Gewissen haben. Der Hamburger Sportverein will sich für jedes Gramm CO2, das der Transport der Profikicker verursacht, freikaufen: Etwa 30 000 Euro wird der Verein pro Saison an die Klimaagentur Atmosfair zahlen, die das Geld in Klimaschutzprojekte in Thailand, Honduras oder Burkina Faso steckt. Der HSV ist in guter Gesellschaft: Auch die Deutsche Bahn, Unilever, Bosch, die Marriott-Hotels und die Münchener Rück kaufen sich vom Klimamakel frei.

Und so funktioniert der neuzeitliche Ablasshandel: Erst beichten Unternehmen oder Privatpersonen ihre CO2-Sünden einer Klimaagentur. Die rechnet aus, wie hoch die Emissionen eines Fluges, eines Rockkonzerts oder eines kompletten Privathaushalts sind. Anschließend verkauft die Agentur Zertifikate in entsprechender Höhe an den Verursacher der Treibhausgase. Die Einnahmen aus diesen Verkäufen finanzieren Solarstromprojekte, Biogasanlagen oder effiziente Bewässerungssysteme – zumeist in Entwicklungs- oder Schwellenländern – und tilgen so die eigene CO2-Schuld.

Unter der Dusche fängt die Sünde an

So hilfreich das sein mag: Nach den Studien des Weltklimarats IPCC werden derlei Maßnahmen kaum reichen, um den Klimawandel zu begrenzen. Um Treibhausgase drastisch zu reduzieren, hat die Bundesregierung daher den Deutschen das Ziel vorgegeben, bis 2020 rund 40 Prozent weniger Treibhausgase zu produzieren als noch 1990.

Das schreit nach einem Selbstversuch: Soll ich mich auf die Politiker verlassen, oder kann ich selbst etwas für das Weltklima tun? Wenn ich weniger CO2-Spuren in der Klimabilanz hinterlasse – und mit mir die Masse der rund 80 Millionen Bundesbürger –, dann müsste sich doch etwas bewegen lassen.

8.00 Uhr unter der Dusche: Wohlig warm oder nur lau? Meine Wahl fällt auf die niedrigste Stufe des Durchlauferhitzers. Ein fauler Kompromiss. Wasser mit Strom zu erwärmen ist Sünde pur: 600 Gramm CO2 pro Kilowattstunde frisst der Boiler – ohne Ökostrom. Eine Gastherme liefert eine warme Dusche schon für 250 Gramm CO2 pro Kilowattstunde. Doch was bleibt, wenn nur die Heizkörper und nicht die Wasserleitungen am Heizkessel hängen? Kalt duschen geht wegen der November-Tristesse vor der Haustür nicht.

Lieber Muskelkater als Grippe

9.00 Uhr Aufbruch zur Arbeit: Im Treppenhaus zögere ich: Rad oder Bahn? In der Bahn bleibe ich trocken, und sie ist abgasfrei – bis auf den Strom, der auch aus schmutzigen Kohlekraftwerken stammt. Zu komisch, dass die Bahnbetreiber als größte Stromkunden Deutschlands ab 2013 auch zu den größten Zahlern im Handel mit Emissionsrechten für den Ausstoß klimaschädlicher Abgase zählen. Ab dann nämlich müssen die Energieversorger 100 Prozent ihrer Verschmutzungsrechte ersteigern. Die Mehrkosten werden die Kunden zahlen. Fluglinien dagegen müssen nur für zwölf Prozent ihrer Emissionsrechte zahlen, obwohl sie pro Kilometer vier bis fünf Mal mehr CO2 in die Luft abgeben.

Noch korrekter als die Bahn wäre das Rad, trotz klammer Finger und des Regenrisikos. Die Bahn verliert. Nicht wegen des Klimas, sondern wegen der Aussicht auf hustende und niesende Mitfahrer. Lieber Muskelkater als Grippe.

9.15 Uhr im Büro: Nun will ich es genau wissen. Die Klimasünden unseres Zwei-Personen-Haushalts lassen mir keine Ruhe. Im Internet steuere ich den CO2-Rechner des Umweltbundesamtes an. In neun Schritten zur persönlichen CO2-Bilanz verspricht der virtuelle Rechenschieber.

Bevor ich überhaupt etwas Persönliches eingebe, habe ich schon 1,24 Tonnen CO2 auf mich geladen. Das ist die Menge Treibhausgas, die der Staat pro Kopf verursacht, zum Beispiel mit dem Bau von Straßen, dem Heizen öffentlicher Schulen oder dem Stromverbrauch von Behörden.

Beim zweiten Punkt „Wohnung und Heizung“ wird es persönlich. Der Altbau ohne Dämmung wirft mich zurück. Da helfen auch die neuen Fenster nicht: Statt 3,96 Tonnen CO2 pro Jahr wie beim Durchschnittshaushalt schlägt unsere Ölheizung mit 5,17 Tonnen jährlich zu Buche. Bei Konsum, Auto und Reisen dagegen kann ich punkten. Unser neuer Kleinwagen, der 6,5 Liter auf 100 Kilometer schluckt und 15 000 Kilometer pro Jahr läuft, liegt mit 2,71 Tonnen CO2 13 Prozent unter dem Durchschnitt.

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Kurios ist Schritt 7 mit dem Abschnitt Ernährung. Wenn ich mein Körpergewicht um zehn Kilo nach unten mogele, spare ich 0,11 Tonnen CO2. Der Rechner unterstellt nämlich, dass schlankere Menschen weniger essen. Weniger Nahrungsmittel bedeuten weniger Treibhausgase in der Landwirtschaft.

Gebe ich dagegen vor, Extremsportler zu sein – was glatt gelogen ist –, schlägt der Rechner 0,1 Tonnen CO2 auf. Schließlich muss die Waschmaschine Überstunden machen, wegen der vielen verschwitzten Klamotten. Wer also ein paar Pfunde zu viel hat, schont das Klima, wenn er nicht joggen geht. Wenn das die Krankenkasse wüsste.

Nun ist es amtlich: Trotz Heizungsmalus liegen wir mit 20,4 Tonnen CO2 pro Jahr 6,25 Prozent unter dem Durchschnitt. Tröstlich, aber zu wenig, um sich als Gutmensch zu fühlen. Damit sich das Gefühl einstellt, müsste ich 469,20 Euro CO2-Ablass im Jahr an Atmosfair zahlen. Das Geld würde genutzt, die gleiche Menge Treibhausgas andernorts einzusparen. Mein Beitrag und der anderer Klimasünder flösse zum Beispiel in Biogasanlagen in Thailand, die Abwässer aus Palmölfabriken verwerten, oder in effiziente Brennholzkocher für nigerianische Bauern, die bei gleicher Leistung 80 Prozent weniger Energie benötigen als die alten.

WWF empfiehlt: Klimaschutzprodukte statt CO2-Zertifikate

11.00 Uhr Das Telefon klingelt Rückruf von der Umweltorganisation WWF. „CO2 über Zertifikate zu kompensieren ist immer die zweitbeste Lösung“, sagt Klimaschutzexpertin Juliette de Grandpré. „Nur wenn sich etwa ein Flug gar nicht vermeiden lässt, ist es sinnvoll, in Klimaschutzprojekte zu investieren.“

Dabei sei es gar nicht so einfach, seriöse Klimaagenturen zu finden: Nur sehr wenige Anbieter seien vertrauenswürdig, weil die mitfinanzierten Projekte, tatsächlich die versprochene Menge CO2 einsparen. „Für Privatpersonen ist es meist einfacher, einen guten Ökostromanbieter zu finden und somit mehr fürs Klima zu tun“, sagt WWF-Expertin de Grandpré.

Ökostrom bringt mich also schneller zur Absolution meiner Klimasünden. Unser Strom kommt derzeit von den Düsseldorfer Stadtwerken, die mehrheitlich dem Energieriesen EnBw gehören. Nur wie viel Öko ist in Düsseldorfer Strom? Auf der Jahresabrechnung steht es nicht. Auf der Internet-Seite weisen die Stadtwerke 17,7 Prozent für Wasser-, Wind- und Sonnenenergie aus. Der Rest entfällt auf Atom, Kohle und Gas; grob der durchschnittliche Strommix in Deutschland.

Bis 2020 will die Bundesregierung den Ökostrom-Anteil – ohne Kernenergie – auf 30 Prozent anheben. Für das Sündenkonto unseres Haushalts wäre das nur ein minimaler Fortschritt. Warum warten, wenn schon jetzt 100 Prozent Ökostrom möglich sind? Für 19,90 Cent je Kilowattstunde und 7,95 Euro Grundgebühr monatlich verspricht der Versorger Naturstrom Energie nur aus Wasser, Wind und Sonne. Der Wechsel sei kinderleicht, flugs den Vertrag unterschreiben, um den Rest kümmere sich Naturstrom.

Das Sündenkonto wächst

Schnell noch der Blick aufs Sündenkonto: Laut CO2-Rechner spart der Ökostrom 1,63 Tonnen Treibhausgas pro Jahr, was 37,49 Euro weniger für den Ablass macht. Für den grünen Strom hätten wir in diesem Jahr also nur 12,12 Euro mehr zahlen müssen als bei den Stadtwerken.

12.15 Uhr Mittagspause Den Aufzug nehmen oder Strom sparen und sich beim Treppenlaufen die Knie ruinieren? Die Knie sind mir wichtiger. Unten angekommen, fällt mir ein, dass ich den PC hätte abschalten können. Für eine halbe Stunde. Das Sündenkonto wächst. Fürs Umkehren ist der Hunger zu groß.

„Die Bürger unterliegen dem Irrtum, der Einzelne könnte im Kampf gegen die Erderwärmung nichts ausrichten, es sei Sache der Regierungen“, sagt Professor Klaus Arntz, Moraltheologe an der katholischen Uni Augsburg. Als Trittbrettfahrer auf Wohltaten der anderen zu warten sei zwar unethisch, könne sich aber lohnen. „Solange der Einzelne keinen Anreiz hat, etwas für den Klimaschutz zu tun, sind moralische Appelle fruchtlos“, sagt Arntz.

Mein Gewissen regt sich, aber der PC bleibt trotzdem angeschaltet, so wie Millionen anderer Elektrogeräte in der EU. Jedes für sich ist nur eine Minisünde. Doch in der Summe verschwenden EU-Bürger jedes Jahr den gesamten Stromverbrauch Ungarns mit Stand-by-Betrieb.

Martin Gerth, Der grüne Bertug, erscheint im Dezember 2009, 240 Seiten

So viel Strom wird der Italiener auf dem Düsseldorfer Karlsplatz kaum brauchen, um meine Pasta zu kochen. Mit oder ohne Parmesan, will der Kellner wissen? Ein wenig Dolce Vita im Novembergrau könnte nicht schaden. Was aber sagt das Sündenkonto? Ich hatte es geahnt: Ein Kilo Käse herzustellen verursacht genussfeindliche 8,3 Kilogramm CO2. Schuld daran hat vor allem das in CO2-Einheiten umgerechnete Methan, das die Rinder als Wiederkäuer an die Umwelt abgeben. Und Experten warnen: Methan wirke 25-mal klimaschädlicher als Kohlendioxid.

Es ist nicht einerlei, was auf den Teller kommt. Ein Fünftel der privaten CO2--Emissionen entfallen auf Ernährung. Inzwischen schmückt eine kleine Schneewehe aus Hartkäse die Nudeln. Zu spät, um wegen des Klimas zu protestieren.

15.30 Uhr Kurze Pause Nach Pasta und Parmesan wäre etwas Gesundes nicht schlecht. Liegt nicht noch ein Apfel in der Schublade? Ist überhaupt die richtige Saison? Das Freiburger Öko-Institut empfiehlt saisonale und regionale Lebensmittel. Die müssen nicht um den halben Erdball transportiert oder nach der Ernte monatelang gekühlt werden, was weniger CO2-Ausstoß bedeutet.

Ein Blick auf den ökologisch korrekten Ernte-Kalender von Greenpeace zeigt: Die Apfelernte endet Mitte November. Danach kommen sie aus dem Lager. Mein Apfel ist noch knapp im grünen Bereich. Dass er aus Tönisvorst bei Krefeld stammt, nur etwa 30 Kilometer von Düsseldorf entfernt, treibt mein Konto für gute Klimataten in ungeahnte Höhen.

Nach Irland lieber fliegen

19.30 Uhr zu Hause Der bestellte Irland-Reiseführer ist eingetroffen. Nach einem flugfreien 2009 sollte 2010 ein kurzer Flug auf die Grüne Insel drin sein. Von Düsseldorf nach Dublin und zurück sind es 1930 Kilometer. Mit Zug und Schiff wäre ich 15 Stunden unterwegs und müsste sechs Mal umsteigen. Ein zu hoher Preis fürs Klima.

Bleibt also nur, die Sünde eines Irland-Flugs zu schultern. Pro Flugkilometer und Person berechnet die Klimaagentur Atmosfair 269 Gramm CO2, was bei zwei Personen einer Tonne CO2 für die gesamte Reise entspricht. Das ist in etwa ein Fünftel unserer jährlichen Heizkosten. Für 26 Euro, oder zwei Tickets für Stehplätze in der Arena meines Vereins Schalke 04, wäre ich die Klimasünde los.

Ob Schalke etwas für den Klimaschutz tut? Keine Ahnung. Zu einer anderen Fußballreligion werde ich sicher nicht konvertieren, auch wenn die Kicker des Freiburger SC mit Solarstrom warm duschen. Der Fußballgott wird mir sicher verzeihen.

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