Eicke Weber Beim Strompreis wird viel gelogen

Der Sprecher der Fraunhofer-Allianz Energie fordert Staatshilfen zur Rettung der deutschen Solarindustrie und warnt davor, Hochtechnologien den Asiaten zu überlassen.

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Eicke Weber, 62, leitet seit 2006 das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE in Freiburg und ist Sprecher der Fraunhofer-Allianz Energie. Eine Experten-Jury der WirtschaftsWoche wählte den Physiker zu einem der wichtigsten Macher der Energiewende.

WirtschaftsWoche: Herr Weber, gerade erschüttert ein Solarbeben Deutschland. Beinahe jede Woche strauchelt ein anderes Unternehmen. Ist die Branche noch zu retten?

Eicke Weber: Was wir gerade erleben, ist die Folge einer verfehlten Politik. Allein die Ankündigung Anfang des Jahres, die Einspeisevergütung für Solarstrom weit massiver zu kürzen als geplant und größere Freiflächenanlagen gar nicht mehr zu fördern, führte dazu, dass Kraftwerksprojekte storniert wurden und Banken ihre Kreditlinien für die Solarhersteller nicht verlängert haben. Die Bundesregierung hat sich damit offen gegen die Fotovoltaik gestellt.

Sie wollte die ausufernden Kosten der Solarförderung bremsen.

Bisher haben die deutschen Fotovoltaikunternehmen keinen einzigen Cent Subvention aus dem Erneuerbaren-Energien-Gesetz (EEG) bekommen.

Eine kühne Behauptung angesichts der Milliarden, mit denen die Stromkunden den Solarstrom über die Einspeisevergütung finanzieren.

Mit der Einspeisevergütung hat der Staat Bedingungen definiert, die es für Investoren lohnend macht, Geld in die Fotovoltaik zu stecken. Übrigens mit Erfolg. Vergangenes Jahr haben Privatleute allein in Deutschland für 20 Milliarden Euro Solaranlagen gekauft. Das ist etwas anderes als eine Subvention.

Bestreiten Sie, dass die Strompreise wegen der Solarförderung stark steigen?

Ja, da werden den Verbraucher gerade viele Lügen aufgetischt, um sie gegen die erneuerbaren Energien aufzubringen.

Wie sieht denn die Wahrheit aus?

Der Strompreis steigt seit 15 Jahren um durchschnittlich vier Prozent im Jahr, lange bevor die Energiewende ausgerufen wurde. Der durchschnittliche Strompreis in Deutschland beträgt heute 23 Cent die Kilowattstunde. Und davon fließen ganze 3,6 Cent in den Aufbau der Erneuerbaren. Dafür erhalten wir eines der modernsten Energiesysteme der Welt.

Stabile Strompreise ab 2030

Das bittere Fazit aus einem Jahr Energiewende
Kühltürme des Braunkohlekraftwerkes der Vattenfall AG im brandenburgischen Jänschwalde (Spree-Neiße) Quelle: dpa
Freileitungen verlaufen in der Nähe eines Umspannwerkes bei Schwerin über Felder Quelle: dpa
Die Flagge Österreichs weht auf einem Hausdach Quelle: dpa
Ein Strommast steht neben Windkraftanlagen Quelle: AP
Windräder des Windpark BARD Offshore 1 in der Nordsee Quelle: dpa
Eine Photovoltaikanlage der Solartechnikfirma SMA Quelle: dpa
Euroscheine stecken in einem Stromverteile Quelle: dpa

Reden Sie die Kosten der Energiewende nicht schön? Laut einer aktuellen McKinsey-Studie werden die Strompreise bis 2020 inflationsbereinigt um 20 Prozent steigen und Privathaushalte dann 29 statt heute durchschnittlich 23 Cent für die Kilowattstunde zahlen müssen.

Kann sein, dass es so kommt. Aber die Ursache ist nicht die Energiewende.

Sondern?

Die Strompreise steigen vor allem, weil Öl, Gas und Kohle stetig teurer werden.

Aber es ist doch nicht zu leugnen, dass der Bau zusätzlicher Stromleitungen, von Reservekraftwerken und Speichern gewaltige Zusatzkosten verursacht.

Investitionen in einer ähnlichen Größenordnung wären auch ohne die Energiewende fällig, weil unsere Energieinfrastruktur in großen Teilen veraltet ist. Die Differenz zu den Kosten der Energiewende hat noch niemand ausgerechnet – ich vermute, sie ist klein. Im Übrigen bin ich zuversichtlich, dass die jetzt prognostizierten Erhöhungen der Strompreise gar nicht eintreten werden.

Woher nehmen Sie den Optimismus?

Bei der Fotovoltaik haben wir die Preisparität mit dem Endkunden-Strompreis bereits 2012 erreicht. Insgesamt sinken die Stromerzeugungskosten der Erneuerbaren rasch. Nach unserer Prognose kostet Solarstrom aus Freiflächenanlagen mit etwa neun Cent je Kilowattstunde schon 2023 nicht mehr als Elektrizität aus fossilen Quellen. Bei Dachanlagen wird die Parität 2030 erreicht. Windstrom vom Land ist mit rund sieben Cent schon in fünf Jahren voll konkurrenzfähig zu konventionellem Strom. Das bedeutet: Je schneller die Erneuerbaren ausgebaut werden, umso früher macht sich ihr preisdämpfender Effekt bemerkbar.

Die Warnungen vor steigenden Strompreisen sind nur Panikmache?

Tatsache ist: Mit dem sinkenden Börsenpreis beginnen wir schon heute die volkswirtschaftlichen Vorteile der Energiewende zu spüren. Spätestens von 2030 an wird Deutschland stabile Strompreise haben, während Länder, die weiter von den Fossilen abhängen, immer mehr für die Energie zahlen müssen.

Wir brauchen ein Investitionsklima wie in Asien

Was Verbraucher zahlen
Stromverbraucher finden bei der Zusammensetzung des Strompreises einen Posten namens EEG-Umlage. Sie ist seit dem Jahr 2000 im Erneuerbare-Energie-Gesetz (EEG) verankert, um Ökoenergien zu fördern. Quelle: dpa
Derzeit sind 3,59 Cent je Kilowattstunde zu zahlen. Bei einem Verbrauch von 3500 Kilowattstunden pro Jahr sind das für eine Familie Ökoförderkosten von 125 Euro pro Jahr. Gezahlt wird die Differenz zwischen dem Marktpreis, etwa für eine Kilowattstunde Solarstrom, und dem festen Fördersatz. Ein Beispiel: Quelle: dpa
Derzeit bekommt ein Hausbesitzer mit einer Solaranlage auf dem Dach 19,5 Cent pro Kilowattstunde. Wird der Strom an der Strombörse für 7 Cent verkauft, müssen die Verbraucher 12,5 Cent über die EEG-Umlage bezahlen. Quelle: dpa
Die Verwalter des Umlage-Kontos, die Übertragungsnetzbetreiber, berechnen angesichts der Anlagenzahl und Erfahrungswerten beim Wetter die möglichen Förderzahlungen und geben immer zum 15. Oktober eine Umlage für das kommende Jahr an. Verrechnen sie sich, wird das mit der nächsten Umlage korrigiert. Für 2013 werden Steigerungen bei der Umlage vorausgesagt. Quelle: dpa
Diese wären aber nicht primär dem rasant steigenden Anteil erneuerbarer Energien am Strommix (derzeit 20 Prozent) anzulasten. Industrieunternehmen wurden teilweise von Ökoförderkosten befreit, um sie in Deutschland zu halten. Gleiches gilt für Netznutzungskosten. Lasten werden also auf weniger Schultern verteilt. Quelle: dpa
Hinzu kommt eine teure Marktprämie für Besitzer von Wind- und Solarparks, die Strom selbst vermarkten. Und die mögliche Steigerung liegt in der Umlageberechnung begründet. Da immer mehr Solarstrom mittags den Börsenstrompreis senkt, wächst die Differenz zum Fördersatz und damit die Kosten für die Bürger. Der Solarstrom wird so also Opfer des eigenen Erfolges. Quelle: dpa

Bleibt die Frage, ob der Solarstrom dann komplett mit chinesischen Modulen produziert wird, weil die deutschen Hersteller vom Markt gefegt wurden?

Die Gefahr ist real. Die Regierungen in China und Malaysia sehen in der Fotovoltaik eine Schlüsseltechnologie für die künftige Energieversorgung und bauen daher eine starke Solarindustrie auf. Allein China hat 40 Milliarden Dollar an billigen Krediten bereitgestellt. Die chinesischen Hersteller können mit dem Geld die neuesten Anlagen kaufen. Das ermöglicht es ihnen, heute weltweit am preisgünstigsten zu produzieren. Nicht wegen der niedrigen Löhne, sondern wegen der Größe und Modernität der Anlagen.

Die hiesige Solarindustrie hätte in den wirtschaftlich guten Zeiten selbst in Wachstum und moderne Maschinen investieren können.

Da wurden ohne Zweifel große strategische Fehler gemacht. Allerdings waren die Systempreise vor 18 Monaten noch auf einem Niveau, das jedem Anbieter ein profitables Geschäftsmodell erlaubte. Jeder wusste zwar, ich muss nächstes Jahr kostengünstiger produzieren können, aber es ging um Raten von 10 oder 20 Prozent und nicht um eine glatte Halbierung der Fertigungskosten wie nach dem jetzigen extremen Preisrutsch.

Alle haben sich verkalkuliert?

Es gibt ja keine internationale Meldestelle für neue Solarfabriken. Und so ahnte niemand, wie gigantisch vor allem das Angebot aus China wuchs. Die 40 Milliarden bedeuten umgesetzt etwa 30 bis 40 Gigawatt Produktionskapazität. Solche Mengen kann selbst der schnell wachsende Fotovoltaikmarkt nicht aufnehmen.

Sind die deutschen Hersteller aus dem Rennen?

Deutschland und Europa müssen jetzt die Frage beantworten: Wollen wir die Fotovoltaik wegschenken oder hier halten? Für Zweites gibt es einen einfachen Rettungsmechanismus, nämlich Kreditgarantien. Sie würden helfen, dass die Banken den Solarunternehmen Geld zu Zinsen leihen, die diese sich leisten können. Und dann wäre diese Zukunftsindustrie von den Kosten her absolut konkurrenzfähig und könnte vom riesigen Wachstum profitieren. Schon 2020 erwarten wir eine jährliche globale Nachfrage von 100 Gigawatt.

Auch die asiatischen Anbieter werden ihre Kosten weiter senken. Zieht Deutschland in diesem Wettlauf nicht zwangläufig den Kürzeren?

Die asiatischen Hersteller realisieren ihre Kostenvorteile weitgehend mit deutscher Anlagentechnik. Das bedeutet: Wenn wir hier ein ähnliches Investitionsklima schaffen wie dort, können sich unsere Unternehmen ebenfalls die neuesten Maschinen leisten und gleichziehen.

Haben Sie für diese Idee ein Vorbild?

Ich denke an Albany bei New York. In das dortige Mikro-Nano-Elektronikzentrum haben die US-Regierung und Branchengrößen wie IBM und Intel fünf Milliarden Dollar investiert, um sicherzustellen, dass die USA in der strategisch wichtigen Halbleiterindustrie und Nanotechnologie weltweit an der Spitze bleiben. Solch ein Denken bräuchten wir auch in Europa.

Und Freiburg mit dem ISE würde das Albany für die Fotovoltaik werden?

Wir sind das größte Solarforschungsinstitut Europas. In einem solchen Verbund sollte es uns gelingen, die Herstellungskosten der Solarmodule bis 2014 von 60 bis 70 Cent je Watt auf 40 bis 50 Cent zu drücken und damit die globale Kostenführerschaft zu erreichen.

Warum sollen wir nicht auch unsere Solarmodule aus Asien beziehen wie heute schon Laptops und Fernsehgeräte?

Im Kern geht es um die Frage: Wollen wir mit den asiatischen Ländern bei wichtigen Zukunftstechnologien mithalten oder uns von ihnen abhängig machen? Und da geht es nicht nur um die Fotovoltaik, sondern etwa auch um Flachbildschirme, Mikroelektronik und Nanomaterialien. Wir müssen entscheiden, ob wir die Massenproduktion dieser Güter den Ländern überlassen, die dafür das entscheidende strategische Investment bereitstellen, oder ob wir das nicht besser selbst tun.

Wir entwickeln, die anderen verkaufen.

In diese Richtung geht es. Das große Problem ist: Wenn es hier keine Modulhersteller mehr gibt, werden auch die Anlagenbauer ihren Kunden folgen. Denn was nutzt ihnen eine Fabrik im Schwarzwald, wenn die Käufer alle in China sitzen.

Den Unternehmen fehlt das Geld

Kuriose Folgen der Energiewende
Schwierige Löschung von Windrad-BrändenDie schmalen, hohen Windmasten sind bei einem Brand kaum zu löschen. Deshalb lassen Feuerwehrleute sie meist kontrolliert ausbrennen – wie im April in Neukirchen bei Heiligenhafen (Schleswig-Holstein). Quelle: dpa
Tiefflughöhe steigtDie Bundeswehr hat die Höhe bei nächtlichen Tiefflügen angepasst. Wegen Windradmasten kann die Tiefflughöhe bei Bedarf um 100 Meter angehoben werden. Der Bundesverband Windenergie (BWE) begrüßt, dass dadurch Bauhöhen von bis zu 220 Meter realisiert werden können. Die Höhe des derzeit höchsten Windradtyps liegt bei etwa 200 Metern. Quelle: dpa
Dieselverbrauch durch WindräderViele neue Windkraftanlagen entstehen – ohne ans Netz angeschlossen zu sein. Solange der Netzausbau hinterherhinkt, erzeugen die Windräder keine Energie, sondern verbrauchen welche. Um die sensible Technik am Laufen zu halten, müssen Windräder bis zu ihrem Netzanschluss mit Diesel betrieben werden. Das plant etwa RWE bei seinem im noch im Bau befindlichen Offshore-Windpark „Nordsee Ost“. Quelle: AP
Stromschläge für FeuerwehrleuteSolarzellen lassen sich meist nicht komplett ausschalten. Solange Licht auf sie fällt, produzieren sie auch Strom. Bei einem Brand droht Feuerwehrleuten ein Stromschlag, wenn sie ihren Wasserstrahl auf beschädigte Solarzellen oder Kabel halten. Diese Gefahr droht nicht, wenn die Feuerwehrleute aus sicherer Entfernung den Wasserstrahl auf ein Haus richten – aber, wenn sie dabei ins Haus oder aufs Dach gehen. Stromschlagsgefahr gibt es ebenso für Feuerwehrleute, wenn sie nach einem Straßenunfall Personen aus einem beschädigten Elektroauto bergen müssen. Quelle: AP
Störende SchattenWindräder werfen Schatten – manche Anwohner sehen darin eine „unzumutbare optische Bedrängung“, wie es das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen ausdrückte. Es gab einer Klage recht, die gegen ein Windrad in Bochum gerichtet war. Im Februar wies das Bundesverwaltungsgericht die Revision des Investors ab. Das Windrad wird nun gesprengt. Quelle: dpa
Gestörte NavigationAuf hoher See wird es voll. Windparks steigern nicht nur das Kollisionsrisiko mit Schiffen. Die Rotoren stören auch das Radarsystem. Der Deutsche Nautische Verein schlägt daher vor, dass Windparks nur genehmigt werden, wenn die Betreiber auch neue Radaranlagen an den Masten installieren. Quelle: dapd
Windrad-LärmWindräder drehen sich nicht nur, dabei machen sie auch Geräusche. Je stärker der Wind, desto lauter das Windrad – und das wollen viele Bürgerinitiativen nicht hinnehmen. Ein Beschwerdeführer aus dem westfälischen Warendorf erreichte im September 2011 vorm Verwaltungsgericht Münster zumindest, dass eine Windkraftanlage nachts zwischen 22 und 6 Uhr abgeschaltet wird. Quelle: dpa

Jobs vernichten hiesige Solarhersteller derzeit zu Hunderten. Sie selbst sitzen im Aufsichtsrat von Q-Cells, das Insolvenz angemeldet hat. Welche Fehler wurden gemacht?

Ein fataler Irrtum war die Annahme, die kristallinen Solarzellen seien lediglich für eine Übergangszeit der Hauptmarkt, und danach würden sich die Dünnschichttechnologien durchsetzen. Das Management hat deshalb die hohen Gewinne aus diesen wirtschaftlich erfolgreichen Jahren in die Entwicklung solcher Technologien reinvestiert. Doch wegen des rapiden Preisverfalls der kristallinen Zellen kam die Dünnschicht, deren Hauptvorteil ihre niedrigeren Produktionskosten waren, nie in Fahrt. Besser wäre es gewesen, das Geld damals in konkurrenzfähige Produktionslinien für herkömmliche Solarmodule zu stecken.

Haben die asiatischen Wettbewerber Q-Cells auch technologisch überholt?

Ganz und gar nicht. Q-Cells ist nach wie vor ein Juwel der Hochtechnologie. Das Unternehmen ist bereit, im Sommer die sogenannte Qantum-Technologie an den Markt zu bringen, die an meinem Institut mitentwickelt worden ist.

Worin besteht der Quantensprung?

Auf der Rückseite der Zelle werden die Ladungsträger viel gezielter als bisher eingesammelt, wodurch die Stromausbeute um fast ein Prozent steigt. Zugleich lässt sich der Zelltyp billiger herstellen. Die Markteinführung dieser Technologie bedeutet eine kleine Revolution.

Liegt Deutschland technisch noch vorn?

In der Forschung auf jeden Fall. Wir halten allein am ISE zehn neue Solarzellen-Technologien in petto, die deutliche Verbesserungen der heutigen Standardprozesse bringen.

Warum greifen die hiesigen Unternehmen sie nicht begierig auf?

Fast allen fehlen die finanziellen Mittel, sie serientauglich zu machen. Das ist ja das Drama.

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