WirtschaftsWoche: Herr Weber, gerade erschüttert ein Solarbeben Deutschland. Beinahe jede Woche strauchelt ein anderes Unternehmen. Ist die Branche noch zu retten?
Eicke Weber: Was wir gerade erleben, ist die Folge einer verfehlten Politik. Allein die Ankündigung Anfang des Jahres, die Einspeisevergütung für Solarstrom weit massiver zu kürzen als geplant und größere Freiflächenanlagen gar nicht mehr zu fördern, führte dazu, dass Kraftwerksprojekte storniert wurden und Banken ihre Kreditlinien für die Solarhersteller nicht verlängert haben. Die Bundesregierung hat sich damit offen gegen die Fotovoltaik gestellt.
Sie wollte die ausufernden Kosten der Solarförderung bremsen.
Bisher haben die deutschen Fotovoltaikunternehmen keinen einzigen Cent Subvention aus dem Erneuerbaren-Energien-Gesetz (EEG) bekommen.
Eine kühne Behauptung angesichts der Milliarden, mit denen die Stromkunden den Solarstrom über die Einspeisevergütung finanzieren.
Mit der Einspeisevergütung hat der Staat Bedingungen definiert, die es für Investoren lohnend macht, Geld in die Fotovoltaik zu stecken. Übrigens mit Erfolg. Vergangenes Jahr haben Privatleute allein in Deutschland für 20 Milliarden Euro Solaranlagen gekauft. Das ist etwas anderes als eine Subvention.
Bestreiten Sie, dass die Strompreise wegen der Solarförderung stark steigen?
Ja, da werden den Verbraucher gerade viele Lügen aufgetischt, um sie gegen die erneuerbaren Energien aufzubringen.
Wie sieht denn die Wahrheit aus?
Der Strompreis steigt seit 15 Jahren um durchschnittlich vier Prozent im Jahr, lange bevor die Energiewende ausgerufen wurde. Der durchschnittliche Strompreis in Deutschland beträgt heute 23 Cent die Kilowattstunde. Und davon fließen ganze 3,6 Cent in den Aufbau der Erneuerbaren. Dafür erhalten wir eines der modernsten Energiesysteme der Welt.
Stabile Strompreise ab 2030
Reden Sie die Kosten der Energiewende nicht schön? Laut einer aktuellen McKinsey-Studie werden die Strompreise bis 2020 inflationsbereinigt um 20 Prozent steigen und Privathaushalte dann 29 statt heute durchschnittlich 23 Cent für die Kilowattstunde zahlen müssen.
Kann sein, dass es so kommt. Aber die Ursache ist nicht die Energiewende.
Sondern?
Die Strompreise steigen vor allem, weil Öl, Gas und Kohle stetig teurer werden.
Aber es ist doch nicht zu leugnen, dass der Bau zusätzlicher Stromleitungen, von Reservekraftwerken und Speichern gewaltige Zusatzkosten verursacht.
Investitionen in einer ähnlichen Größenordnung wären auch ohne die Energiewende fällig, weil unsere Energieinfrastruktur in großen Teilen veraltet ist. Die Differenz zu den Kosten der Energiewende hat noch niemand ausgerechnet – ich vermute, sie ist klein. Im Übrigen bin ich zuversichtlich, dass die jetzt prognostizierten Erhöhungen der Strompreise gar nicht eintreten werden.
Woher nehmen Sie den Optimismus?
Bei der Fotovoltaik haben wir die Preisparität mit dem Endkunden-Strompreis bereits 2012 erreicht. Insgesamt sinken die Stromerzeugungskosten der Erneuerbaren rasch. Nach unserer Prognose kostet Solarstrom aus Freiflächenanlagen mit etwa neun Cent je Kilowattstunde schon 2023 nicht mehr als Elektrizität aus fossilen Quellen. Bei Dachanlagen wird die Parität 2030 erreicht. Windstrom vom Land ist mit rund sieben Cent schon in fünf Jahren voll konkurrenzfähig zu konventionellem Strom. Das bedeutet: Je schneller die Erneuerbaren ausgebaut werden, umso früher macht sich ihr preisdämpfender Effekt bemerkbar.
Die Warnungen vor steigenden Strompreisen sind nur Panikmache?
Tatsache ist: Mit dem sinkenden Börsenpreis beginnen wir schon heute die volkswirtschaftlichen Vorteile der Energiewende zu spüren. Spätestens von 2030 an wird Deutschland stabile Strompreise haben, während Länder, die weiter von den Fossilen abhängen, immer mehr für die Energie zahlen müssen.
Wir brauchen ein Investitionsklima wie in Asien
Bleibt die Frage, ob der Solarstrom dann komplett mit chinesischen Modulen produziert wird, weil die deutschen Hersteller vom Markt gefegt wurden?
Die Gefahr ist real. Die Regierungen in China und Malaysia sehen in der Fotovoltaik eine Schlüsseltechnologie für die künftige Energieversorgung und bauen daher eine starke Solarindustrie auf. Allein China hat 40 Milliarden Dollar an billigen Krediten bereitgestellt. Die chinesischen Hersteller können mit dem Geld die neuesten Anlagen kaufen. Das ermöglicht es ihnen, heute weltweit am preisgünstigsten zu produzieren. Nicht wegen der niedrigen Löhne, sondern wegen der Größe und Modernität der Anlagen.
Die hiesige Solarindustrie hätte in den wirtschaftlich guten Zeiten selbst in Wachstum und moderne Maschinen investieren können.
Da wurden ohne Zweifel große strategische Fehler gemacht. Allerdings waren die Systempreise vor 18 Monaten noch auf einem Niveau, das jedem Anbieter ein profitables Geschäftsmodell erlaubte. Jeder wusste zwar, ich muss nächstes Jahr kostengünstiger produzieren können, aber es ging um Raten von 10 oder 20 Prozent und nicht um eine glatte Halbierung der Fertigungskosten wie nach dem jetzigen extremen Preisrutsch.
Alle haben sich verkalkuliert?
Es gibt ja keine internationale Meldestelle für neue Solarfabriken. Und so ahnte niemand, wie gigantisch vor allem das Angebot aus China wuchs. Die 40 Milliarden bedeuten umgesetzt etwa 30 bis 40 Gigawatt Produktionskapazität. Solche Mengen kann selbst der schnell wachsende Fotovoltaikmarkt nicht aufnehmen.
Sind die deutschen Hersteller aus dem Rennen?
Deutschland und Europa müssen jetzt die Frage beantworten: Wollen wir die Fotovoltaik wegschenken oder hier halten? Für Zweites gibt es einen einfachen Rettungsmechanismus, nämlich Kreditgarantien. Sie würden helfen, dass die Banken den Solarunternehmen Geld zu Zinsen leihen, die diese sich leisten können. Und dann wäre diese Zukunftsindustrie von den Kosten her absolut konkurrenzfähig und könnte vom riesigen Wachstum profitieren. Schon 2020 erwarten wir eine jährliche globale Nachfrage von 100 Gigawatt.
Auch die asiatischen Anbieter werden ihre Kosten weiter senken. Zieht Deutschland in diesem Wettlauf nicht zwangläufig den Kürzeren?
Die asiatischen Hersteller realisieren ihre Kostenvorteile weitgehend mit deutscher Anlagentechnik. Das bedeutet: Wenn wir hier ein ähnliches Investitionsklima schaffen wie dort, können sich unsere Unternehmen ebenfalls die neuesten Maschinen leisten und gleichziehen.
Haben Sie für diese Idee ein Vorbild?
Ich denke an Albany bei New York. In das dortige Mikro-Nano-Elektronikzentrum haben die US-Regierung und Branchengrößen wie IBM und Intel fünf Milliarden Dollar investiert, um sicherzustellen, dass die USA in der strategisch wichtigen Halbleiterindustrie und Nanotechnologie weltweit an der Spitze bleiben. Solch ein Denken bräuchten wir auch in Europa.
Und Freiburg mit dem ISE würde das Albany für die Fotovoltaik werden?
Wir sind das größte Solarforschungsinstitut Europas. In einem solchen Verbund sollte es uns gelingen, die Herstellungskosten der Solarmodule bis 2014 von 60 bis 70 Cent je Watt auf 40 bis 50 Cent zu drücken und damit die globale Kostenführerschaft zu erreichen.
Warum sollen wir nicht auch unsere Solarmodule aus Asien beziehen wie heute schon Laptops und Fernsehgeräte?
Im Kern geht es um die Frage: Wollen wir mit den asiatischen Ländern bei wichtigen Zukunftstechnologien mithalten oder uns von ihnen abhängig machen? Und da geht es nicht nur um die Fotovoltaik, sondern etwa auch um Flachbildschirme, Mikroelektronik und Nanomaterialien. Wir müssen entscheiden, ob wir die Massenproduktion dieser Güter den Ländern überlassen, die dafür das entscheidende strategische Investment bereitstellen, oder ob wir das nicht besser selbst tun.
Wir entwickeln, die anderen verkaufen.
In diese Richtung geht es. Das große Problem ist: Wenn es hier keine Modulhersteller mehr gibt, werden auch die Anlagenbauer ihren Kunden folgen. Denn was nutzt ihnen eine Fabrik im Schwarzwald, wenn die Käufer alle in China sitzen.
Den Unternehmen fehlt das Geld
Jobs vernichten hiesige Solarhersteller derzeit zu Hunderten. Sie selbst sitzen im Aufsichtsrat von Q-Cells, das Insolvenz angemeldet hat. Welche Fehler wurden gemacht?
Ein fataler Irrtum war die Annahme, die kristallinen Solarzellen seien lediglich für eine Übergangszeit der Hauptmarkt, und danach würden sich die Dünnschichttechnologien durchsetzen. Das Management hat deshalb die hohen Gewinne aus diesen wirtschaftlich erfolgreichen Jahren in die Entwicklung solcher Technologien reinvestiert. Doch wegen des rapiden Preisverfalls der kristallinen Zellen kam die Dünnschicht, deren Hauptvorteil ihre niedrigeren Produktionskosten waren, nie in Fahrt. Besser wäre es gewesen, das Geld damals in konkurrenzfähige Produktionslinien für herkömmliche Solarmodule zu stecken.
Haben die asiatischen Wettbewerber Q-Cells auch technologisch überholt?
Ganz und gar nicht. Q-Cells ist nach wie vor ein Juwel der Hochtechnologie. Das Unternehmen ist bereit, im Sommer die sogenannte Qantum-Technologie an den Markt zu bringen, die an meinem Institut mitentwickelt worden ist.
Worin besteht der Quantensprung?
Auf der Rückseite der Zelle werden die Ladungsträger viel gezielter als bisher eingesammelt, wodurch die Stromausbeute um fast ein Prozent steigt. Zugleich lässt sich der Zelltyp billiger herstellen. Die Markteinführung dieser Technologie bedeutet eine kleine Revolution.
Liegt Deutschland technisch noch vorn?
In der Forschung auf jeden Fall. Wir halten allein am ISE zehn neue Solarzellen-Technologien in petto, die deutliche Verbesserungen der heutigen Standardprozesse bringen.
Warum greifen die hiesigen Unternehmen sie nicht begierig auf?
Fast allen fehlen die finanziellen Mittel, sie serientauglich zu machen. Das ist ja das Drama.